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Ausgabe:

1971

Spalte:

135-136

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kuitert, Harry M.

Titel/Untertitel:

De realiteit van het geloof 1971

Rezensent:

Benktson, Benkt-Erik

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Seite 1

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135

Theologische Litcraturzcitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

136

Kemp, Peter: Phänomenologie und Hermeneutik in der

Philosophie Paul Ricoeurs (ZThK 67, 1970 S. 335-347).
Seiffert, Helmut: „Verständlichkeit" der Wissenschaft:

dialektisch - sprachanalytisch - hermeneutisch (Neue

Sammlung 10, 1970 S. 275-289).
Vandenbulcke, J.: Betti - Gadamer: een hermeneutische

kontroverse (Tijdschrift voor Filosofie 32, 1970 S. 105 bis

113).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Kuitert, H. M., Dr.: De realiteit van het geloof. Over de
anti-metafysische tendens in de huidige theologische
ontwikkelins l. Kampen: Kok 1966. 228 S. 8°. Lw. hfl.
14,25.

Seit vielen Jahren erregt der niederländische Katholizismus
Aufsehen. Der Holländische Katechismus hat das
gesteigerte Interesse einer breiten Öffentlichkeit gefunden.
Der nachkonziliare Diskussionsbeitrag der hervorragenden
katholischen Theologen Hollands wird mit allgemeiner
Aufmerksamkeit verfolgt. Gleichzeitig sind aber auch weiterhin
nichtkatholische Theologen in Holland in beispielhafter
Weise an der theologischen Arbeit beteiligt. Einer
der interessantesten Theologen ist meiner Meinung nach
Dr. H.M. Kuitert.

Kuitert hat sein Buch über die antimetaphysische Tendenz
in der heutigen theologischen Entwicklung „Die Wirklichkeit
des Glaubens" überschrieben. Dieser Titel erinnert
an ein Buch von Wilhelm Knevels, „Die Wirklichkeit Gottes.
Ein Weg zur Überwindung der Orthodoxie und des Existentialismus
" (Stuttgart 1964, 2. A. Siehe a. Bd. 68 der Stundenbücher
, Furche-Verlag, Hamburg 1966). Kuitert zieht es
jedoch vor, von einem eigenen - nicht dem dritten -
Weg der Theologie zu sprechen. Er skizziert diesen eigenen
Weg mit Wissen und Besonnenheit in fünf Kapiteln:
1. Terreinverkenning, 2. Het onstaan van de antimeta-
fysische tendens, 3. Anti-metafysische tendens en herme-
neutiek, 4. Wanneer is het heil werkelijk? 5. Het heil
historisch in ons midden. Der Rezensent möchte gerne
bescheinigen, daß das Lesen der Mühe wert ist. Das Buch
ist sowohl theologiegeschichtlich als auch systematisch
von großer Bedeutung.

Kuitert versteht - um mit dem Nestor der schwedischen
Theologie, Gustaf Aulen, zu sprechen - die Kunst, in
Epochen zu denken. Treffsicher verlegt er den Anfang der
antimetaphysischen Tendenz in die Zeit der Auflösung der
„protestantischen Scholastik", er analysiert die Vorgeschichte
der Existenztheologie bei Ritsehl und Herrmann und stellt
die wichtige Frage, ob die Existenztheologie, die einen
Mittelweg finden will zwischen einer metaphysischen
Theologie mit all ihren Abstraktionen und einem Positivismus
, der für die menschlichen Lebensbedingungen nur
Gleichgültigkeit zeige, nicht trotzdem in einem Verwandtschaftsverhältnis
zum philosophischen Positivismus stehe?

Kuitert ist sich darüber klar, daß er „eine große Perspektive
* anlegt, wenn er schreibt, daß „die Negierung des
geschichtlichen Moments die Folge einer philosophischen
Stellungnahme sei" (S. 208).

Gegen Lessinig hat die Orthodoxie behauptet, dafj die
christliche Wahrheit nicht historisch - nicht zufällig -,
sondern ewig sei. Diese unhistorische Haltung hinderte
aber die Orthodoxie nicht daran, die Botschaft der Heilsgeschichte
von Generation zu Generation weiterzugeben.
Nun betrachtete jedoch der Pietismus das theologische
System der Orthodoxie, das seinerzeit ein wissenschaftliches
und nicht nur ein metaphysisches System war, als
imbrauchbar. Sein Interesse konzentrierte sich auf einen
Punkt: auf die Erfahrung des Einzelnen. Dieser Subjektivismus
ist nach Kuitert ein wichtiger Einschlag in derjenigen
Theologie, die heute eine antimetaphysische Tenden z
vorweist. Wie der Pietismus bewegt sich heute die Existenztheologie
in jenem Sektor der klassischen Dogmatik, der
die applicatio behandelt. Sie macht die Frage der
Anwendbarkeit zur Hauptsache. Die Reduzierung des
Glaubensinhaltes durch diese Konzentration ist bei John
A. T. Robinson konsequent durchgeführt worden; in „Gott
ist anders" bedeutet "applicable", anwendbar, dasselbe wie
"credible", glaubbar (S. 76 f.). Auch Rudolf Bultmann ist
in diesem Sinne eindeutig pietistisch (S. 45).

Schon jener Pietismus, der radikal soteriologisch und
nicht mehr metaphysisch ist, gibt mit seiner neuen
Auffassung der Wirklichkeit den Hintergrund ab für das
pietistische „Betroffensein" der Existenztheologie. Die neue
Wirklichkeit bedeutet, dafj die realitas fidei nicht
als Genitivus objectivus, sondern als Genitivus subjectivus
zu verstehen ist. Die antimetaphysische Tendenz in der
heutigen Theologie läßt sich nach Kuiterts Meinung mit
dieser Umkehrung identifizieren (S. 14 f., S. 33 f.) Das
Dilemma zwischen Personalismus und Ontologie kann
überwunden werden. Bultmanns Frage: „Hilft er mir, weil
er der Sohn Gottes ist, oder ist er der Sohn Gottes, wei!
er mir hilft?', ist eine falsche Alternative (S. 51). Wenn
die Theologie ihren „eigenen" Weg geht, findet sie sowohl
in der existentialen Interpretation als auch in der „metaphysischen
" Lehre für sie notwendige Elemente. Das bedeutet
vor allem, daß die Wirklichkeit des Glaubens auch
diejenige Wirklichkeit sein darf, auf die sich der Glaube
bezieht. Die realitas fidei muß auch als Genetivus
objectivus aufgefaßt werden (S. 211).

Der schon genannte schwedische Theologe Gustaf Aulen
spricht in seinem Buch „Das Drama und die Symbole"
(Göttingen 1968) von einem „Zeitschema des Glaubens".
Da, wo Aulen die Tempusformen des Glaubens analysiert,
geht er vom Heute aus, zeigt dann aber, wie das, was in
der Gegenwart geschieht, unlöslich mit dem verbunden
ist, was in der Vergangenheit geschah, und mit dem, was
in der Zukunft geschehen wird. Man könnte sagen, dafj
Kuitert - um Aulens Terminologie zu gebrauchen -
demonstriert, wie das „Jetzt des Glaubens" in der Existenztheologie
zur einzigen Tempusform des Glaubens wird.
Offenbarung ist „Ereignis", reine Aktualität, „Augenblick"
(S. 71). Hebr. 4, 7 wird so zum locus classicus der
Existenztheologie: „heute, so ihr seine Stimme hört .."
(S. 122). Der Druck naturwissenschaftlicher und historischkritischer
Methodik veranlaßt die Existenztheologie, sich
um das Präsens des Glaubens, um das, was "happening"
ist, zu kümmern - nicht aber um das Perfektum "something
happened" oder um das Futurum (vgl. S. 130 und Aulen,
aaO S. 97 ff).

Man könnte auch sagen, daß Kuitert gegen diese Auffassung
sämtliche Tempusformen des Glaubens mobilisiere.
Die Vergangenheit ist nicht „passe"! Die Gottesbeziehung
bezieht sich ja auf den „handelnden Gott" primär - und
Christus ist der Kulminationspunkt und die Mitte in der
Kontinuität aller Gottestaten (S. 194 f.). Der Aussichtspunkt
des glaubenden Menschen, von dem aus er rückwärts in
die Vergangenheit und zugleich vorwärts in die Zukunft
blicken kann, wird von Kuitert mit zwei Wörtern beschrieben
, die eine authentische menschliche Aktivität
bezeichnen: „im Gedächtnis behalten" (holl.: gedenken) und
„erwarten" (holl.: verwachten). „In der konkreten Erfahrung
dieses ,im Gedächtnis Behaltens' und des ,Erwartens' ist
das Heil anwesend. Wir können auch sagen: ,gedenken'
und .verwachten' sind die beiden untrennbar vereinigten
Wege und Weisen, auf welche das Heil hier und jetzt in
der Geschichte gegenwärtig ist" (S. 201 f.).

Lnnd/Schweden Benkt-TCrik Bonkteon

1 Amerik. Ausgabe: "The reality of faith. A way between
Protestant orthodoxy and exlstentinl theoloery." Grnnd Rapids,
Mich. 196S.