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Ausgabe:

1971

Spalte:

132-134

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schiwy, Günther

Titel/Untertitel:

Strukturalismus und Christentum 1971

Rezensent:

Krusche, Günter

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sehen Tradition seit eh und je vorhandenen tiefsinnigen
Gedankens des Patripassianismus wahrhaben will - und
die somit meint, spekulativ ,aufheben', „hinter sich" haben
zu können. Die Aufnahme des Wortes vom Tode Gottes
(s. bes. S. 217) schlicht als Bild und Gleichnis (unter genauerer
Klärung: wofür) möchten wir in künftiger Christo-
logie lieber sehen als äußerst abstrakte Erörterungen
darüber, daß Hegels Welt- und Geist-Dialektik den heutigen
intellektuellen Menschen wieder daran glauben lassen
könne, daß es einen wirklichen Tod Gottes gebe, der
aber im tiefsten Grunde gerade das Moment seines um
so lebendigeren Auferstehens sei.

Wir haben damit eine Auseinandersetzung mit Küngs
christologischem Anliegen vorweggenommen. Zum Hegel-
Buch als solchem, und gerade auch, inwiefern es ein
theologisches Hegel-Buch überhaupt ist, noch folgendes
: Daß Hegel Christ war und in wachsendem Maße
als bewußter Christ sein philosophisches System entfaltete,
ja sogar als eine Art neuer Theologie, sollte in der Tat
nicht in Vergessenheit geraten. Die Neigung protestantischer
Theologiegeschichtsbetrachtung dazu, möglichst nur
mit Vorgängern in der eigenen Fakultät zu tun haben zu
wollen, verbunden mit der zum Komplex ausgewachsenen
Scheu vor philosophischer Überfremdung (die verkennt, daß
es nur eine Wirklichkeit gibt und Gott entweder in
dieser wirkt - oder schlechterdings nicht ist) begibt sich
vieler glücklicher Gelegenheiten, am Denken von überragenden
Leuten, die aus einer zu eng gewordenen kirchlichen
geistigen Atmosphäre in eine andere Fakultät
flüchteten, den von der Bibel vorausgesetzten weiten Horizont
wieder in den Blick zu bekommen. Dabei ist im
Falle Hegel besonders aufschlußreich, welche Anlässe, Frontstellungen
und Bestrebungen dem reifer werdenden Denker
den Zugang zum Christusglauben ebneten, nachdem der
jüngere Hegel kein besonderes Interesse an der Jesus-
Gestalt (zeitweise Sokrates dieser weit überordnend) gezeigt
hatte. Sehr eindrucksvoll führt Küng vor, wie es
(abgesehen von der Losung ,Reich Gottes' der drei Freunde
Hegel, Schelling und Hölderlin beim Verlassen des Tübinger
Stiftes) zunächst Hegels Gegensatz zu Kants ihn
alttestamentlich-jüdisch anmutendem Rigorismus und Dualismus
war, was ihm Jesu Liebesgebot und Versöhnungsgesinnung
einleuchtend machte und relevant werden ließ. -
Fragwürdiger, als bei Küng erscheint, sollte allerdings
Hegels Parallelisierung der unzählbaren Reihe philosophisch
zu versöhnender Gegesätze mit dem biblischen
und theologischen Versöhnungsbegriff sein, sosehr Hegels
(einseitige) Versöhnungskonzeption den Theologen
daran gemahnen wird, daß es ohne Versöhnung im biblischen
Sinne auch keine wahre Erlösung geben kann.
Aber auf einem anderen Blatt steht das Problem, ob die
Geschichte ihre .Widersprüche' vermittelt oder aufhebt
(s. S. 507). - Als besonders wichtig erscheinen uns Küngs
Hinweise auf Hegels Sichbeziehen auf den Johannes-Prolog
(S. 323 ff.). U. E. müßte von hieraus Hegels hauptsächliche
Bedeutung für die Theologie sichtbar werden: Hegel der
Philosoph der grundlegenden gnadenhaften Vorgabe eines
objektiven Sinnes in der Welt und Geschichte, ehe der
Mensch und damit der Mensch durch sein Handeln diesem
entsprechen kann - und der Mensch hierbei rezeptiv, als
Erfinder wie als Mann der Geschichte, wobei das Gott-
in-ihm-Handeln (bzw. sich in ihm Denken) ihn nur erhöht.
Man freut sich auch des Einschärfens Küngs, daß Hegel
eine christliche Geschichtsdeutung wollte und Jesus
Christus als weltwendende Zäsur einer Menschheitsgeschichte,
in der sich die Liebe eines dem Menschen nicht rivalisierend
gegenüberstehenden Gottes verwirkliche. Von diesem
weltgeschichtlichen Aspekt Hegels könnte u. E. „künftige
Christologie" mehr an Hegelschcm Geist zur Geltung bringen
als aus Hegels sog. Logik, jedenfalls wenn „künftige
Christologie" eher in der weit- und menschheitsgeschichtlichen
Zentralstellung Christi samt seinem geschichtlichen
Werk der Versöhnung und Erlösung seine .Gottheit'

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reflektieren würde als an der Metapher seiner gott-mensch-
heitlichen Person (und innertrinitarisch-vorzeitlicher
sog. .Geschichtlichkeit' Gottes).

Die Hauptkritik Küngs an Hegel: „bei Hegel fällt die
Zukunft als entscheidende Dimension der Geschichtlichkeit,
ja der Geschichte aus" (S. 489) wird gewiß sehr sinnvoll
zu dem Bemühen, sofort „künftige Christologie" zu konzipieren
, gewendet, schärft dann freilich auch das Verlangen
des Lesers nach echter Offenheit dieser Zukunft. Im Blick
darauf erhebt sich allerdings an dem insgesamt äußerst
glücklichen Studierwerk Küngs die Frage: ob künftige
Christologie nicht in sehr viel radikalerer Weise neu bei
den biblischen Zeugen einsetzen müßte, gewissermaßen
vor der heutigen Situation des Auseinandertreibens der
beiden Schollen der klassisch-chalcedonensischen und einer
exegetisch-existentialen Christologie. Jedenfalls wird Hegels
Geist nicht deswegen diese beiden zusammenzwingen, weil
er beiden nach ihren Richtungen hin Antrieb gab.

Berlin Hnns-Gnorg Fritzscho

Schiwy, Günther: Strukturalismus und Christentum. Eine
gegenseitige Herausforderung. Freiburg-Basel-Wien: Herder
[1969]. 104 S. 8°.

Der Begriff „Struktur" übt eine eigentümliche Faszination
aus. Im Dialog der Wissenschaften erweist er sich
als Schlüsselbegriff, wenn es darum geht, das Zusammenwirken
von Teilen eines Ganzen zu beschreiben. So hat
er sich, von den Naturwissenschaften ausgehend, auch
die Anthropologie, Soziologie und Linguistik erobert; die
Kybernetik als Systemwissenschaft hat seinen universalen
Charakter lediglich wissenschaftlich beschrieben. Daher ist
es kaum verwunderlich, daß sich der Begriff „Struktur"
als Schlüssel für ein neues Weltverständnis anbietet. Ihm
verdankt sich eine neue Weltanschauung, der Strukturalismus
, der in Frankreich aus der konsequenten Anwendung
der strukturalistischen Methode auf die Ethnologie (Levi-
Strauss) und die Sprachwissenschaft (Barthes u. a.) entstand
und dessen Verfechter die Bestseller der letzten Jahre verfaßten
und bereits in zahlreichen anderen Ländern begeisterte
Anhänger gefunden haben. So ist der Strukturalismus
aus einer Modewissenschaft zu einer Herausforderung an
das Christentum geworden, die um so ernster zu nehmen
ist, als die strukturalistische Methode wesentliche Elemente
einer neuen Sicht vom Menschen und von der Gesellschaft
aufweist.

Der Vf. ist bemüht, Strukturalismus und Christentum
zu konfrontieren und die wechselseitige Herausforderung
herauszuarbeiten. Diesem Anliegen dient auch der Stil des
Buches. Nach einer kurzen Darstellung der Geschichte der
Bewegung geht der Vf. sogleich zur Auseinandersetzung
über. Kurze Darstellungen der Positionen des Gegenübers
wechseln mit Schilderungen des eigenen Standpunktes ab;
Repliken auf die Herausforderung werden zur Rückfrage
an die eigene Theologie: es ist ein dialogischer Stil, der
bemüht ist, den Distinktionen des Gesprächspartners so
weit wie möglich zu folgen. Die Lektüre des Buches setzt
eine gewisse Kenntnis des Gegenstandes voraus. Wenn
auch deutlich wird, daß der Vf., ausgewiesen durch zahlreiche
Veröffentlichungen zum gleichen Thema, selbst ein
ausgezeichneter Kenner der Materie ist, erfolgt keine umfassende
Darstellung des Strukturalismus. Trotzdem wird
deutlich, daß der Strukturalismus kein geschlossenes Bild
darbietet. Sowohl vom Gegenstand der Untersuchungen
(Ethnologie, Soziologie, Linguistik) wie vom ideologischen
Standort her gibt es viele Spielarten von Strukturalismus.
Indem sich der Vf. - m. E. mit Erfolg - um ein differenziertes
Urteil bemüht, liefert er ein Schulbeispiel für
verstehende Auseinandersetzung zwischen dem Christentum
und anderen konkurrierenden Weltanschauungen.

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2