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Ausgabe:

1971

Spalte:

129-132

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Küng, Hans

Titel/Untertitel:

Menschwerdung Gottes 1971

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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kratischen Typs mit einer einzigen hierarchischen und
autoritativen Autorität. Im Jahre 1947 ist schließlich diese
Kommission mit kirchlichen Mitgliedern ergänzt worden.

2. In den Jahren 1850-1890 wird der Versuch deutlich,
die englische Kirchenorganisation in ein annehmbares
System repräsentativer Versammlungen zu institutionalisieren
. Die Kirche sah sich auf Grund der sozialen Entwicklung
veranlaßt, die Laien-Mittelklasse zu verantwortlicher
Stellung in ihrer Organisation zu gewinnen. Es ging
dabei der Kirche um Beeinflussung der öffentlichen Meinung
zu ihren Gunsten. Sie hatte erkannt, daß sie sich
nicht länger auf ihre traditionelle Bindung an die Aristokratie
und die Gutsbesitzer verlassen konnte. Die soziale
Differenzierung und die wachsende institutionelle Autonomie
trug dazu bei, daß die Kirche ihrer bisherigen
Einkommensquellen und Verwaltungsgebühren verlustig
ging.

Im weiteren Verlauf der Darstellung wird die Rolle
der Convocation, der beiden Erzbischöfe, das Verhältnis
der Convocation zur Laien-Repräsentation, sowie die Veränderung
der kirchlichen Gruppen und ihre Stellung zur
Kirchenreform untersucht. Aktuelles Interesse dürften die
Ausführungen über die Reformbewegung als solche und
über die Stellung zum Sozialismus und der arbeitenden
Klasse beanspruchen.

3. Die 3. Phase begann während des 1. Weltkrieges
und zeigt u. a. das christliche und soziale Engagement
William Temples, des späteren Erzbischofs von Canterbury.
Am Schluß der in dem Buch geschilderten Entwicklung
steht die Kirchenversammlung von 1920. Sie besteht seitdem
aus 38 Bischöfen, 251 Klerikern und 357 Laien. Die
enge Verquickung von staatlicher und kirchlicher Verwaltung
besteht weiter. Den Abschluß des Buches bildet eine
Zusammenfassung der dargestellten Entwicklung. Das Verhältnis
der Kirchenorganisation zu der sozialen Veränderung
des englischen Volkes wird als Teil eines Prozesses
der Differenzierung der institutionellen Herrschaften in
der Sozialstruktur gesehen. In ihr hat die Kirche gleich
anderen Institutionen eine zunehmende Autonomie gewonnen
und ihre separate administrative und leitende Organisation
entwickelt. Andererseits hat sie den Charakter als
e,n national-religiöses Kirchensystem (ecclesia) bewahrt.
Als solche streckt sie sich aus zu den Grenzen der Gesellschaft
und sucht alle Klassen einzuschließen.

Es ist keine Frage, daß es sich in dem Buch um eine
wichtige soziologische Untersuchung handelt, die von
gesicherten kirchengeschichtlichen Voraussetzungen ausgeht
und sie wissenschaftlich einzuordnen versteht. Eine gleiche
Untersuchung für die kirchlichen Verhältnisse bei uns
fehlt noch.

Berlin V;illcr Delhis

PHILOSOPHIE UND
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Küng, Hans: Menschwerdung Gottes. Eine Einführung in
Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer
künftigen Christologie. Freiburg-Basel-Wien: Herder
[1970). 704 S. gr. 8° = ökumenische Forschungen, hrsg.
v- H. Küng u. J. Ratzinger. II. Soteriologische Abt. Bd. 1.

Dieses Buch ist nicht zum Hegel-Jubiläum geschrieben
(S. 5), sosehr es sich in diesem als würdigen Beitrag der
Theologie darstellt. Sein eigentlicher sachlicher Ursprung
lst das wieder wachsende Interesse an der Gottesfrage nach
nunmehr auch aus dem „westlichen Säkularismus" aufgebrochener
radikaler Infragestellung des Gottesglaubens.
Dieser entgegen gelte es, da anzuknüpfen, „wo vor der
frühen dialektischen Theologie zum letzten Mal die Gottes-

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frage im Mittelpunkt gestanden hat, beim deutschen Idealismus
, und insbesondere bei dem Denker, der für das
säkulare Bürgertum wie für den marxistischen Sozialismus
besonders viel zu sagen hat: bei Hegel" (S. 5). Hierbei
ist das Buch zu einer der umfassendsten Hegel-Mouo
graphien geworden, obwohl als eigentliche Aufgabe „nicht
die Beschreibung der allgemeinen philosophischen Entwicklung
" Hegels vor Augen steht, sondern „- auf dem
Hintergrund dieser - die Beschreibung der Stellung Hegels
zu Christus* (S. 139). Sieben Kapitel durchlaufen „fünf
ineinandergreifende Schichten: Hegels Leben und Wirken,
die allgemeine Entwicklung seines Denkens, den geistesgeschichtlichen
Kontext, dann die Entfaltung seiner Christologie
und schließlich die theologische Auseinandersetzung"
(S. 503). Ein achtes Kapitel ist „Prolegomena zu einer
künftigen Christologie" überschrieben. Es faßt die nun
allerdings uns sehr fragwürdige Ambition Küngs, ,von
Hegel her' die Christologie zu ereneuern, zusammen (unterstützt
von 60 Seiten „Exkurse", die das Buch abschließen).
Als Resümee dieses theologischen Anliegens an Hegel läßt
sich kurz sagen: daß Hegels dialektische Gottesmetaphysik
(.Selbstbewegung des Begriffs') besser als die
statische griechische Seinsmetaphysik der frühen Dogmen-
geschichtc geeignet sei, einen ,sich verändernden', ja
.leidens- und sterbensfähigen' Gott zu denken, kurz gesagt:
die Inkarnation Gottes in Jesus Christus denkmögHch zu
machen (s. z.B. 557 f.). So sehr indes sich Küng von diesem
Problem fasziniert zeigt und hierbei von einer breiten
Welle ncospekulativer Christologie in der gegenwärtigen
Theologie beider Konfessionen tragen läßt, so ist doch
die eigentliche Überraschung dieses Buches, daß Küng zum
Schluß (S. 599-610) Gliederung und Struktur einer eigenen
Vorstellung von „künftiger Christologie", genauer gesagt:
der neutestamentlichen Basis einer solchen, andeutet, die
gerade nicht Wiederbelebung der „klassischen" chalcedonen-
sischen Christologie sein würde, sondern eine „die Geschichtlichkeit
Jesu" entfaltende mit den Unterabteilungen:
Jesu Verkündigung, Jesu Verhalten, Jesu Geschick, Jesu
Bedeutsamkeit. Welchen Sinn neben dieser „neutestamentlichen
Basis" allerdings noch das abstrakt-spekulative Aufzeigen
der Denkmöglichkeit eines leidens- und sterbensfähigen
Gottes mit Hilfe Hegelscher Dialektik haben soll,
ist uns trotz der an sich lehrreichen Exkurse (Der Weg
zur klassischen Christologie, Kann Gott leiden?. Die
Dialektik der Eigenschaften Gottes, Unveränderlichkeit
Gottes?, Neuere Lösungsversuche der alten Problematik)
immer fraglicher geworden. Küng selbst kann gelegentlich
sehr radikale Zweifel schon an der ganzen Problemstellung,
nicht erst der griechischen Begrifflichkeit, der „klassischen
Christologie" nicht unterdrücken, so sehr seine theologische
Hegel-Ambition ihn auf diese im Prinzip festlegt. Es
bedarf nicht der (wohl unentscheidbaren) Debatte darüber,
wie ernst Hegels Sichbeziehen auf die großen Worte der
christlichen Glaubenslehre (zumal in seiner Zeit und Umwelt
) genommen werden, wie sehr man ihn hierbei beim
Wort nehmen darf (und ob sein persönlicher Glaube oder
das sachliche Gewicht seiner Gedanken ausschlaggebend
sein soll), allein der Umstand, daß es, jedenfalls im vorliegenden
Fall, die großen Worte einer geschichtlich
gewordenen (um nicht zu sagen: vergangenen) Dogmatik
sind, ist u. E. Grund genug, Küngs christologischem Anliegen
an Hegel, jedenfalls im genannten Sinne, sehr kritisch
gegenüberzustehen. „Künftige Christologie" braucht nicht
eine weitere und zeitgemäßere Autorität (die des heutigen
Aristoteles), sondern sollte, besonders nach protestantischer
Auffassung, wieder ursprüngliche, direkt aus der Quelle
schöpfende Christologie sein - worauf Küng ja selbst in
dem genannten Entwurf „Die Geschichtlichkeit Jesu" faktisch
hinauskommt. Noch folgendes Bedenken drängt sich auf.
Die sog. ,Gott-ist-tot-Theologie' sollte zu künftiger Christologie
eine Zäsur spüren lassen, statt daß man in ihr nur
die etwas tumultuarische Banalisierung des in der klassi-

Thcologische Litcraturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2