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Ausgabe:

1971

Spalte:

124-127

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Neuser, Wilhelm H.

Titel/Untertitel:

Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung 1971

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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zeigen" (S. 7). Um dieser These gerecht zu werden, hält sich
der Vf. an die Aussagen des „späteren Luther", ohne jedoch
gelegentliche Rückblicke auf die Zeit vor 1520 ganz auszuschließen
(S. 9). Seine Hauptquellen sind: Die Katechismen,
Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrherrn, Wider die himmlischen
Propheten, De raptivitate babylonica sowie Predigten
Luthers (vgl. S. 10) und als systematischer Grundriß
nicht nur für die Frage nach der Taufe, sondern nach
Luthers Theologie insgesamt, dessen Schrift Vom Abendmahl
Christi, Bekenntnis, 1528. - Reichtum und Mannigfaltigkeit
der dem Leser dargebotenen Aspekte sind so
groß, daß es unmöglich ist, hier den einzelnen Kapiteln
nachzugehen. An dieser Stelle kann nur auf die Zusammenfassung
der Studie (S. 239-241) verwiesen werden ■ darüber
hinaus auf den Vergleich und die sorgfältige Registrierung
einzelner unterschiedlich akzentuierender Gesichtspunkte
in den Auffassungen Luthers in den Jahren 1520 und 1529
(S. 127-129).

Es sind, wenn ich recht sehe, zumal zwei Gesichtspunkte
, die unseren Verfasser in die Lage versetzen, seine
Aufgabe durchzuführen. Einmal die These: „Das trinita-
rische Denken ist ... eine conditio sine qua non für die
ganze reformatorische Theologie Luthers' (S. 199; doch
vgl. bes. das I. Kap.). Zum andern das. was er - vielleicht
nicht besonders glücklich formuliert, der Intention nach
aber gut erkennbar - so ausdrückt: „Wenn ... nach
Luther ... ein wesentlicher Zusammenhang zwischen den
Artikeln (sc. des Glaubens) und den Gotteswerken besteht,
so gibt es auch wichtige Unterschiede. Diese Gotteswerke
werden von Luther nicht identifiziert. Es ist auch nicht
davon die Rede, daß sie aus einander oder aus einem
allgemeinen Prinzip abzuleiten wären. Luthers Ausganas-
punkt ist um so mehr theologisch-nositivistisch: er redet
von verschiedenen Gotteswerken, die in der Offenbarung
und in der Heilsgeschichte tatsächlich vorliegen. Deswegen
werden aus die Unterschiede zwischen den Gotteswerken
in der Darstellung Luthers deutlich bemerkbar* (S. 16;
vgl. S. 19, 29, 35, 52, 73, 78 u. ö.). Es ist dieser „theologische
Positivismus" Luthers, welcher es dem Autor
erlaubt, seinerseits theologisch-rjositivistisch vorzugehen;
oder - wie er sich abgrenzend gelegentlich der Auseinandersetzung
mit P. Althaus einmal schreibt - seiner
theologischen Arbeit eben nicht den Charakter einer
„transzendenten Kritik" an Luther zu geben (vgl. S. 168).
Wie diese Gestalt des „extra" nach seiner Meinung für
Luther schlechthin entscheidend war. so setzt er sich seinerseits
Luthers Theologie als ein solches „extra" voraus und
gegenüber, um es nun mit Sorgfalt und nach allen Reqeln
svstematischer Kunst zu analysieren: von der Schöpfunq
(S. 20 ff) bis hin zur Eschatologie (S. 229 ff) erstreckt sich
der Bogen. Und ganz unstreitig ist es dem Vf. auch
gelungen, den bei Luther immer wieder festzustellenden
Bezug gerade der Taufe auf all diese loci aupzusnür^n.
Ihm, dem Vf., liegt dabei vor allem an jenem Luther, der
darauf insistierte, daß „der glaube etwas haben mus das
er glaube, das ist daran er sich halte und darauff stehe
und fusse" (aus dem Gr. K. S. 61 u. ö. zitiert).

Bei allem Dank und Anerkennung für die gebotene
Leistung können in diesem Zusammenhang zwei untereinander
ihrerseits zusammenhängende Fragen nicht unterdrückt
werden. Einmal: wie kommt es, daß Luther sein;
Theologie anders, nämlich nicht theologisch-positivistisch,
entfaltet und dargeboten hat? Hängt das nur mit seiner,
Luthers, persönlicher Eigenart zusammen oder meldet sich
hier nicht ein anderes Verständnis jenes „extra" auch im
Bereich des Stils? Diese Frage als Frage müßte doch woh!
berücksichtigt und beantwortet werden. Zum anderen: der
Vf. versteht seine Arbeit in der Korrelation von (1) systematisch
hinsichtlich der Aufgabe und Gliederung, (2) historisch
hinsichtlich des Materials und (3) rein deskriptiv
hinsichtlich der Methode (vgl. S. 8). Kann eine systematische
Arbeit aber deskriptiv sein in dem Sinne, daß sie be-

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schreibt, was (historisch dem Material nach) beschreibbar
vorliegt? Muß sie nicht sagen, was das ist, was da vorliegt?
Kann sie sich damit bescheiden - und so bescheiden ist
das vielleicht gar nicht -, zu ordnen (und zwar nach
dogmatischen Kriterien zu ordnen), was als faktisches
(historisches) Insgesamt geschichtlich vorliegt? Natürlich:
keine Arbeit kann alles wollen und leisten. Aber den
Rezensenten hat es um der theologischen Sache willen,
die Luther zur Sprache bringen wollte und verkündigt hat,
doch ein bißchen bekümmert, daß dieser Aspekt so gut
wie ganz unberücksichtigt geblieben ist. Denn gerade wenn
man akzeptiert, was Luther gewollt hat, wird man diese
Frage stellen und in die Darstellung einbeziehen müssen.
Denn Dasselbe und Eine kann ja wohl erst dann in den
Blick und zum - sei es denn: strittigen - Austrag kommen
, wenn diese Fragen die Theologen in Atem halten.
Dann erst käme es in Warhrheit zur „Wiederholung".

Zum Schluß kann ich ein Bedauern darüber nicht unterdrücken
, daß die deutschsprachigen Freunde des Vf. und
der deutsche Verlag nicht mehr Sorgfalt auf die Korrekturen
angewandt haben. Nach anfänglichem Notieren
habe ich es wegen der Fülle an Druckfehlern aufgegeben,
mir eine Liste zu machen. Neben dem Respekt vor der
Leistung des Autors hätte er es gewiß verdient gehabt,
auch auf diesem so äußerlichen Gebiet respektiert zu
werden.

Bonn Hans-Jonchitn Rothert

Neuser, Wilhelm H: Die Abendmahlslehre Melanchthons
in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1519-1530). Neukirchen
-Vluyn: Neukirchener Verlag d. Erziehungsvereins
1968. 479 S. 8° = Beiträge z. Geschichte u. Lehre d.
Reformierten Kirche, hrsg. v. P. Jacobs, H. Jahr, W. Kreck,
G. W. Locher u. J. Moltmann. 26. Bd.: Melanchthon-Stu-
dien, 2. Kart. DM 49,80.

Vf. schließt mit seinem Buch, das teilweise der Westfälischen
Wilhelms-Universität als Habilitationsschrift vorgelegen
hat, eine bisher immer wieder empfundene Lücke
aus. Ausführliche Monographien zur Abendmahlslehre
Mel.s liegen überhaupt nicht vor, kürzere stammen sämtlich
aus dem 19. Jahrhundert! Die nicht wenigen Zeitschriftenaufsätze
und Lexikonartikel werden der komplexen Materie
nicht gerecht, „die Urteile ... sind wesentlich durch den
Mangel an Quellenmaterial bestimmt" (14). Vf. hat darum
versucht, alles verfügbare Quellenmaterial - weit über
das CR hinaus - zu untersuchen.

Vf. stellt bewußt Mel.s Abendmahlslehre „in ihrer geschichtlichen
Entwicklung" dar (10). Das 1. Kap. geht der
Entwicklung einer evangelischen Abendmahlslehre in der
Auseinandersetzung mit dem römischen Katholizismus
(1519-1521) nach,"das 2. Kap. (114 - 234) stellt die Abkehr
von den radikalen Reformen (1521-1524) dar, das 3. Kap.
untersucht Mel.s Hervortreten im Abendmahlsstreft (1524 bis
1529), während das 4. Kap. systematisch Mel.s Abendmahlslehre
1525-1529 analysiert (314-413). Abschließend wird
der Abendmahlsartikel der CA (414-473) besonders behandelt
. Hier schließt Vf., indem er auf einen zweiten Band
hinweist, der dann Mel.s Abendmahlslehre bis 1560 behandeln
soll.

Die Arbeit geht also historisch vor. Damit will Vf. vorschnelle
systematische Folgerungen vermeiden, denn nur
im historischen Zusammenhang könne das jeweilig Besondere
des Anliegens Mel.s berücksichtigt werden. So sieht
Vf. in den Wittenberger Unruhen 1521/22 (denen das ganze
2. Kap. gewidmet ist, wobei Mel.s Haltung sehr blaß
bleibt) beim Beginn des Abendmahlsstreits 1525 und in
den Visitationserfahrungen 1527 Einschnitte, die zu Veränderungen
seiner Abendmahlsauffassung geführt haben.
Bewußt verfolgt dabei Vf. das jeweilige Verhältnis zu
Luther, denn nur im Vergleich mit Luther könne das
Besondere der Abendmahlslchrc Mel.s erkannt werden (Bf.).

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2