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Ausgabe:

1971

Spalte:

118-119

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Haselbach, Irene

Titel/Untertitel:

Aufstieg und Herrschaft der Karlinger in der Darstellung der sogenannten annales Mettenses priores 1971

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

118

aufgeführt, ein Stemma erstellt, sowie die griechisch-lateinischen
Drucke als gegenüber den bekannten Handschriften
als im wesentlichen unselbständig charakterisiert, wobei
Mignes letzter Abdruck - im Gegensatz zum landläufigen
Urteil - als relativ verläßlich herausgestellt wird.

Auf dieser gesicherten Textgrundlage baut dann der
zweite Teil (S. 235-459) auf, im Endergebnis weniger
gesichert als der erste, aber dennoch voll anregender
Hinweise auf den Gebieten der Rhetorik (antihäretische
Polemik, Poesie), der theologischen Arbeitsweise (Bibel-
i'nd Liturgiezitation, patristische Kompilation, Bibliothekskunde
), der Geographie und allgemeinen Kultur (Reiseroute
und höfische Gewandtheit des Kompilators), der Philologie
(Orthographie und Hapaxlegomena des 6. Jahrhunderts)
sowie der theologischen Bildung und Richtungskämpfe
des justinianischen Zeitalters (syrischer Monophysitismus.
Neuchalcedonismus). Die trotz jahrelanger, intensiver
Beschäftigung mit der Materie sehr vorsichtig vorgetragenen
Schlußfolgerungen zu diesem zweiten Teil sind etwa
folgende: Der Name „Kaisarios" führt in der Erforschung
des Verfassers auf keinen Fall weiter; die in den .Fragen
und Antworten" gewählte Gesprächsform ist literarische
Fiktion; es kommen also nur indirekte, unfreiwillige
Zeugnisse für die genauere Identifikation des Verfassers
in Frage. Für die Lebenszeit ist die besondere Verwendung
des pseudodionysischen Schlüsselwortes "OeavSpiMÖ^"
besonders aufschlußreich und verweist auf die Mitte des
8. Jahrhunderts als Abfassungszeit des Dialogs, was sich
durch andere Hinweise, wie die Polemik gegen die Juden,
stützen läßt. Der Lebensraum dagegen läßt sich nur im
äußersten Polen (Donauprovinzen - Palästina - Kaiserhof
in Konstantinopel) abstecken. Obwohl das theologische
Interesse des Kompilators gegenüber anderen nicht sehr
stark ausgeprägt ist, bietet das gewählte Pseudepigraph des
^Kaisarios' doch den verläßlichsten, psychologisch freilich
schwer deutbaren Schlüssel zur weiteren Einengung der
möglichen Namensträqer. Die Benutzung des Pseudo-
Dionysios, der von Riedinger mit dem Akoimetenmönch
Petrus dem Walker gleichgesetzt wurde, sowie die weitreichende
Literaturkenntnis des Kompilators lassen ebenfalls
auf einen Bewohner des Akoimetenklosters der
Hauptstadt schließen, der nicht nur neuchalcedonischen
Orthodoxie, sondern den verfolgten, monophysitischen
Schützlingen Kaiserin Theodoras zuzuzählen ist, welche
Tendenz er freilich unter dem gut renommierten Pseudonym
geschickt zu verbergen trachtet. Die Studien über Aufbau
und Bewohner dieses Akoimetenklosters müßten noch vertieft
werden.

All diese sorgfältig belegten Schlüsse werden, wie
lesagt, mit jeweils möglichen. Einwänden abgesichert, was
ihren erhöhten wissenschaftlichen Wert und wohl auch
ihre Dauerhaftigkeit ausmachen dürfte; immerhin enthalten
sie soviel gesichertes Gut, daß die beiden Wegweisung
beanspruchenden Lexikonartikel O. v. Seecks (RE) und
H. Dörries' (RAC) damit zu korrigieren bzw. neuzufassen
wären: die sich naiv an den Namen „Kaisarios" anschließende
Deutung ist nicht länger vertretbar.

Aus dem Gesagten ergibt sich wohl zur Genüge, daß
wir bei dem vorliegenden Buch keinen flüssig zu lesenden
byzantinischen „Bestseller" erwarten können, eher ein auch
durch seine zahlreichen Tabellen übersichtlich gegliedertes
und veranschaulichtes Nachschlagwerk. Der Autor läßt sich
in seiner Arbeit bei jedem seiner methodischen Schritte
gleichsam über die Schulter schauen, und so dürfte das
Werk kommenden Forschern bei der Untersuchung der in
der Byzantinistik besonders zahlreichen Pseudepigraphen
und Apokryphen besonders nützlich sein. - Die berechtigte
Kritik früherer, unzulänglicher Arbeiten gerät zuweilen
im Ton etwas zu scharf, obwohl man für die
grundsätzlich klassifizierende Aufführung der Sekundärliteratur
dankbar sein darf.

München Gerhard Podskalftky

Brakmann, Heinzgerd: Die angeblichen eucharistischen

Mahlzeiten des 4. und 5. Jahrhunderts - Zu einem neuen

Buch von Klaus Gamber (RQ 65, 1970 S. 82-97).
Danielou, Jean: Salbung und Taufe bei Gregor von Nyssa

(Kyrios 10, 1970 S. 1-7).
Drijvers, H. J. W.: Het image van Bardesanes van Edessa

(NedThT 24, 1970 S. 260-262).
Gessel, Wilhelm: Germanus von Auxerre (um 378 bis 448).

Die Vita des Konstantius von Lyon als homiletische

Paränese in hagiographischer Form (RQ 65, 1970 S. 1-14).
Jansma, T.: Bardesanes van Edessa en Hermogenes van

Carthago (NedThT 24, 1970 S. 256-259).
Löf, L. J. van der: Traditio im arianischen Streit (NThT 24,

1970 S. 421-429).
Quispel, G.: Gregorius van Nyssa en de mystiek (NedThT

24, 1970 S. 250-255).
Raasch, Juana: The monastic coneept of purity of heart

and its sources. V. Symeon-Macarius, the school of

Evagrius Ponticus, and the Apophthegmata patrum

(Studia Monastica 12, 1970 S. 7-41).
Speigl, Jakob: Zum Kirchenbegriff des Laktanz (RQ 65,

1970 S. 15-28).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Haselbach, Irene: Aufstieg und Herrschaft der Karlinger
in der Darstellung der sogenannten Annales Mettenses
priores. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Ideen
im Reiche Karls des Großen. Lübeck-Hamburg: Mathiesen
Verlag 1970. 208 S. gr. 8° = Historische Studien, 412.
DM 28,60.

Die Annales Mettenses priores sind eine frühmittelalterliche
Quelle, deren Wert seit langem umstritten ist.
Sie bieten einen Überblick über den Aufstieg der Karolinger
bis in die ersten Jahre des Kaisertums Karls d. Gr.
hinein. Zahlreiche Wiederholungen und Stilbrüche sowie
direkte Unstimmigkeiten sind immer wieder konstatiert
worden und haben zu den verschiedensten Erklärungsversuchen
geführt. Die Verfasserin meint nun in Fortsetzung
anderer Arbeiten, daß die Annales Mettenses von nur
einen Verfasser stammen, der während seiner Arbeit mehrfach
seine Konzeption geändert habe. Sie gibt zu: „Dabei
muß man selbstverständlich einen bedeutenden Unsicher-
heitsfaktor in Rechnung stellen" (S. 37). Immerhin gibt es
Gründe dafür, „daß den Metzer Annalen in ihrer Gesamtheit
nicht von vornherein eine einheitliche Konzeption
zugrunde gelegen hat, sondern daß vielmehr mit den
verschiedenen Erweiterungen des Werkes auch neue Gedanken
eingearbeitet worden sind" (S. 40). Gerade auch
für die ältere Karolingerzeit haben die Annalen Wert. Das
Herauswachsen der Pippiniden aus dem fränkischen Adel
spielt eine wichtige Rolle. „Die gentile Auffassung des
Imperiums Romanum in den Annales Mettenses priores"
lautet die Überschrift für ein besonders eindrucksvolles
Kapitel (V, S. 132-142). Letztlich wollte der Vf. der Annalen
die Grundlagen der karolingischen Macht im fränkischen
Volkstum verwurzelt sehen. Damit wollte er jener Gruppe
des fränkischen Adels entgegenkommen, die das neue universale
Kaisertum Karls d. Gr. (und vorher die Italienpolitik
seiner Vorfahren) mit Mißtrauen sah. Im Gegensatz
zur bisherigen Auffassung betont H., daß „die Ideen vom
imperium christianum und sogenannten Königspriestertum
nur spurenhaft bzw. überhaupt nicht erkennbar sind, während
die altfränkische Gedankenwelt mit ihren gentilen
Ideen - Auffassung des Königtums als Repräsentation der
gesamten gens, Reichsvolkgedanke, Auffassung des imperium
Francorum als Herrschaft über viele Völker, adlige
Mitwirkung bei der Begründung und Ausübung von Herrschaft
- durchaus vorherrschend ist" (S. 185). Nach dem
von H. gezeichneten Bild erscheint der Vf. der Annales
Mettenses „als Vertreter einer älteren Denkrichtung, die