Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

113-114

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hare, Douglas R.

Titel/Untertitel:

The theme of Jewish persecution of Christians in the gospel according to St. Matthew 1971

Rezensent:

Haufe, Christoph

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

113

Hare, Douglas R., Prof.: The Theme of Jewish Persecution
of Christians in the Gospel according to St. Matthew.

Cambridge: University Press; London: Oxford University
Press 1967. XIV, 204 S. 8° Society for New Testament
Studies, Monograph Scries, ed. by M. Black, 6. Lw. 50 s.

Die Dissertation des Professors für Neues Testament
am Theologischen Seminar in Pittsburgh, Pennsylvania,
will zu einem besseren Verständnis des Konflikts zwischen
Kirche und Synagoge im 1. Jahrhundert führen. Sie wird
ilire Leser vor allem unter den Interessenten der neutesta-
mentlichen Zeitgeschichte finden. Widerspruch und Kritik
können nicht ausbleiben. Oft werden die Texte exegetisch
überstrapaziert. Aber das Buch wirkt auf alle Fälle anregend
und ist gut lesbar. Seine Haupttendenz besteht darin,
bisher vertretene Auffassungen von blutiger Feindschaft
und Verfolgung der Juden gegen die Christen im 1. Jahrhundert
als unzutreffend zu erweisen. Wohl werden die
rcdaktionsgeschichtlichen Erkenntnisse anerkannt, nach
denen der Evangelist Matthäus als Redaktor die verwendeten
Überlieferungen vom Konflikt zwischen Jesus und
den Pharisäern durch Überarbeitung und Zutaten verschärft
hat und daß sich gerade darin als Sitz im Leben die
Auseinandersetzung zwischen Kirche und Synagoge seiner
Zeit reflektiert, aber die Texte werden in einer relativierenden
Weise interpretiert und dem Ergebnis der
Untersuchung aufierchristlicher Quellen angepaßt. Danach
hat es - mit Ausnahme der Zeit des jüdischen Krieges -
keinerlei von den Pharisäern gelenkte Verfolgung der
Christen gegeben. Höchstens einige leidenschaftliche Missionare
mögen von einzelnen Synagogen zu bestimmten
Zeiten aus verschiedenen Gründen mit der Prügelstrafe
belegt oder durch den Bann ausgeschlossen worden sein
(78). Dementsprechend werden die Texte bei Matthäus
gedeutet. So sei z. B. die Überlieferung von der Verfolgung
der Jünger Jesu Matth. 10,16-33 in den Kontext der
missionarischen Instruktion an die Jünger gestellt, wodurch
deutlich werde, daß die Verfolgungen mit der Mission
zusammenhingen, folglich nur die Missionare trafen. Gleiches
gilt für Matth. 5,10-12. Die hier Angesprochenen müssen
in der prophetischen Tradition stehen. Der Text spricht
folglich von christlichen Propheten bei ihrer Missionsarbeit
unter dem ungläubigen Israel (121). Andere Texte werden
auf die apokalyptische Endzeit der messianischen Wehen
bezogen, in der wohl alle Christen Verfolgung erfahren
werden, jedoch nicht nur seitens der Juden, sondern aller
Nationen (163). Matthäus kann somit nicht als Zeugnis
für jüdische Christenverfolgungen im 1. Jh. verwertet
werden.

Kritische Untersuchungen der aufjerchristlichen Quellen
führen H. zu dem Ergebnis, daß es bis zum Bar-Kochba-
Aufstand - wahrscheinlich mit geringen Ausnahmen während
des 1. jüdischen Krieges - keine Hinrichtung von
Christen seitens der jüdischen religiösen Autoritäten aus
rein religiösen Gründen gegeben habe. „Es gab keine
jüdischen Vorgängen der spanischen Inquisition (42). Höchstens
Belästigungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher
Art seien vorgekommen (54. 56). Die Notizen der Apostelgeschichte
werden abgeschwächt oder historisch in Frage
gestellt (64.75). Auch die Verfolgung seitens des noch
nicht bekehrten Paulus könne nicht verglichen werden mit
einer Inquisition spanischen Typs (54). Seine Aktivität sei
vor allem das Wort gewesen. Möglicherweise hätten sich
durch seine leidenschaftliche Rede Juden zu Ausschreitungen
hinreißen lassen, vor allem zu Aktionen gegen evangelische
Missionare, die den Frieden störten, aber Paulus
selbst sei nicht verantwortlich für den Tod irgendeines
Christen (60). Bis einschließlich Justin habe es keinen
einzigen Fall einer gerichtlich verhängten Todesstrafe gegeben
(20). Etwaige Martyrien seien durch spontane Wutausbrüche
des Pöbels oder willkürliche Aktionen eines
Königs oder Hohenpriesters bedingt gewesen (64). Selbst
für die Zeit nach dem L jüdischen Krieg gab es kein

114

Anzeichen, dafi von Seiten der rabbinischen Autoritäten in
Jamnia der Versuch unternommen worden sei, eine gew llt
same Verfolgung in die Wege zu leiten (65). So kann die
Kirche in Judäa keineswegs als eine verfolgte Kirche bezeichnet
werden (78). Erst während des Bar-Kochba-Auf-
standes sei es dann zur organisierten Verfolgung gekommen
(65).

Vor dem Hintergrund dieses - unserem Wunschdenken
entsprechenden - von H. gezeichneten Bildes kann die
jüdische tolerante Haltung gegenüber der christlichen Gemeinde
des 1. Jahrhunderts geradezu bewundert werden;
vor allem, wenn man bedenkt, dafi die Christen die zentralen
Symbole des jüdisch-nationalen Vorzugs in Frage
stellten: Tora, Tempel, heilige Stadt, Reinheits- und
Speisegebote, Beschneidung, Sabbat und traditionelle Exegese
(3.15); und daß ihre Lehre von Jesus als „Gottes
Sohn" sich gegen den radikalen jüdischen Monotheismus
wendete (17). Angesichts einer solchen mit brisantem Konfliktsstoff
geladenen kritischen Haltung der Christen gegen
die etablierte Religion und ihre Führerschaft (13 f) „kann
man die von der jüdischen Gemeinschaft an den Tag
gelegte Zurückhaltung gegenüber einer herausfordernden
Minorität in ihrer eigenen Mitte nur bewundern. Jedenfalls
sollte es nicht überraschen, wenn bei solchem (christlichen
) Überschreiten der (jüdischen) Toleranzgrenzen die
Zurückhaltung ab und zu durchbrochen wurde" (18).

Den Leser muß es nun allerdings verwundern, wenn in
den beiden letzten Kapiteln des Buches über die theologische
Verwertung dieses Sachverhalts im Matthäus-Evangelium
H. den Evangelisten diese Toleranz keineswegs
honorieren lä§t. Obwohl die Zahl der verfolgten Missionare
relativ niedrig gewesen sei, wie die Belege bei Matthäus
geradezu beweisen sollen (129), habe doch eine so zurückhaltende
jüdische Feindschaft gegen die christliche Mission
sowohl das theologische Verständnis des Platzes Israels in
Gottes Plan als auch die missionarische Strategie im
Sinne eines unbedingten Pessimismus beeinflußt. Im Unterschied
zu Paulus kenne Matthäus keinen Restgedanken
(153), und er habe zugunsten der Heidenmission jede
Mission an Israel als sinnlos aufgegeben (148).

Leipzitf Chrislopli Haute

Lambrecht, Jan, Dr., S. J.: Marcus Interpretator. Stijl en
boodschap in Mc. 3,20-4,34. With a Summary in English.
Voorwoord van I. de la Potterie. Brugge-Utrecht: Desclee
de Brouwer [1969], 148 S. gr. 8°. bfr. 210,-.

Das Buch bietet einen wertvollen Beitrag sowohl zur
Literarkritik als auch zur redaktionsgeschichtlichen Erklärung
des Markusevangeliums. Nach der traditionellen
Zwei-Quellen-Hypothese sind Mk und Q die beiden ältesten
Quellen der synoptischen Evangelien. Aus der Definition von
Q ergibt sich dabei, daß Mk und Q voneinander unabhängig
sind. Nun hat die Logienquelle in jüngster Zeit
wieder mehrere gesonderte Untersuchungen erfahren (vgl.
die Bemerkungen bei H. E. Tödt: Der Menschensohn in
der synoptischen Überlieferung 1959, S. 215 ff; D. Lühr-
mann: Die Redaktion der Logienquelle 1969; P. Hoffmann:
Studien zur Theologie der Logienquelle. Habil. Münster
1968, erscheint 1971). Je mehr Q aber ein eigenes Profil
gewinnt, um so notwendiger wird es, die schematische
Definition von Q als Stoff, den Mt und Lk über Mk hinaus
gemeinsam bieten, kritisch zu hinterfragen und die Möglichkeit
zu prüfen, ob nicht auch Mk seinerseits die Logienquelle
benutzt haben könnte. Diese Hypothese wurde bisher
nur gelegentlich und beiläufig erwogen. Lambrecht erhebt
sie im ersten Hauptteil über „Ware Verwantschap en
Eeuwige Zonde. Ontstaan en Structuur van Mc. 3, 20-35"
(S. 15-97) durch sehr sorgfältige Analyse zu hoher Wahrscheinlichkeit
.

Theologische Litcraturzeitung 96. Jahrgarg 1971 Nr. 2