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Ausgabe:

1971

Spalte:

108-111

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kümmel, Werner Georg

Titel/Untertitel:

Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus, Paulus, Johannes 1971

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

108

Radikalisierung und Verfälschung eines ursprünglich
schriftgemäß erfaßten theologischen Erkenntnisweges, bemüht
sich aber wenigstens in der Form laufender Anfragen
darum, den Dialog mit dem Gegner nicht vorzeitig abzubrechen
. Im Endeffekt dürfte aber auch er dem Urteil
Freys zustimmen, der von K. zu behaupten wagt: »Aus
der Entmythologisierung und Rationalisierung des Kreuzes
ergibt sich die Rationalisierung und Spiritualisierung des
ganzen Evangeliums, der Cestalt Jesu, der Schrift als
Zeugnis von ihm, der Nachfolge als Kreuzesnachfolge.
Herkunft und Würde, Präexistenz und Inkarnation, Selbstzeugnisse
und Wunder, Sühnecharakter seines Todes, leibhafte
Auferstehung und leeres Grab werden geleugnet,
umgedeutet oder spiritualisiert. Die Schrift wird vom
Verstände her gemeistert, die Nachfolge enthusiastisch
ethisiert. Das alles geschieht trotz glühender Liebe zu
Jesus (wie Käsemann ihn sich zurechtmacht), bohrenden
Horchens in die Schrift (mit dem Organ, das er allein
anerkennt), leidenschaftlichen Engagements in der Nachfolge
, radikaler Ausrichtung der Theologie vom Kreuz her
(wie Käsemann beides versteht)" (81).

Ich erwähne nur am Rande, daß Zitationsweise und
Ausdeutung des K.sehen Schrifttums gelegentlich sehr zu
wünschen übriglassen (vgl. z. B. 31. 59.116), melde meinen
entschiedenen Protest gegen den eben zitierten Nekrolog
an und versuche, auf die Wurzeln des Streites durchzustoßen
. Da alle drei Autoren von K. eine Taufe des Denkens
, vor allem die Anerkennung des Todes Jesu als einer
blutigen Sühne für unsere Sünden und schließlich den
Vollzug der Scheidung von Kirche und Welt verlangen,
liegt die Wurzel des Streites in der Verhältnisbestimmung
von fides und ratio, d. h. im hermeneutischen Bereich, der,
wie sich gerade an unserer Publikation zeigt, fundamentaltheologische
Auswirkungen hat.

Das abgründige Mißtrauen, das die Autoren gegen die
historische Kritik hegen, das sie für ein »getauftes Denken"
(Findeisen, 31), für »gläubiges Erkennen" (Frey, 112), für
ein Denken »aus der Initiative des lebendigen Gottes durch
sein Wort" (Johanning, 44) plädieren läßt, läßt sie nicht zu
der Überlegung kommen, daß es heute gilt, das Verhältnis
von Wille und Denkvollzug theologisch zu diskutieren, statt
sich einfach auf 1. Kor. 2,10 ff. zu berufen und für die
eigene theologische Tradition das Siegel des hl. Geistes
zu beanspruchen.

Wenn die Autoren durchweg eine massive Satisfaktionstheologie
vertreten und diese für die einzig heilswirksame
Aussage über Jesu Tod halten, dann läßt sich darüber
biblisch mit K. erst dann diskutieren, wenn die selbst
bei Anselm v. Canterbury so nicht nachweisbare und schon
von Luther als Fehldeutung erkannte Vorstellung von der
Strafgerechtigkeit Gottes (vgl. 39) als ihrerseits korrekturbedürftig
erkannt, viel klarer als Frey es S. 68 ff. versucht,
hervorgehoben wird, daß Gottes helfende Liebe in Jesu
Person und Schicksal Befreiung von Sünden schafft und
daß Ziel des Erlösungswerkes die Absicht Gottes ist, den
Gottlosen in Jesus Christus die Gemeinschaft mit sich und
damit das Heil zu eröffnen.

Was schließlich die Scheidung von Heilsgemeinde und
Welt anbelangt, so erscheint es angebracht, die Autoren
an Jesu Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen zu
erinnern, welches K.s angeblich irrige Ansicht von der
Kirche, in der bis zum jüngsten Tage Jakob und Esau
beieinanderwohnen, deckt und statt dessen den Blick für
die Notwendigkeit der Nachfolge Jesu in Liebe und ernster
Gottesfurcht schärft. Die immer wieder durchschlagende
Angst vor der Profanität (vgl. 27. 32. 35. 41. 49 ff. usw.)
scheint dem Rezensenten durchaus unvereinbar mit dem
paulinischen Kirchengedanken vom dienenden Christusleib
und viel eher ein Anzeichen für »sarkische Theologie"
(Frey, 122) als Käsemanns Insistieren auf der Rechtfertigung
der Gottlosen als Kanon im Kanon.

Wegweisung für Ratlose? Kaum. Höchstens ein erschreckendes
Zeichen, daß auch der Pietismus und die
Bekenntnisbewegung einer ebenso gründlichen theologischen
Neubesinnung bedürfen, wie sie sie ihren Gegnern abverlangen
.

Erlangen Veter Stulilmncher

Kümmel, Werner Georg: Die Theologie des Neuen Testaments
nach seinen Hauptzeugen Jesus, Paulus, Johannes.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1969. 312 S. gr. 8" =
Grundrisse zum Neuen Testament. Das Neue Testament
Deutsch, Ergänzungsreihe, hrsg. v. G. Friedrich, 3. Kart.
DM 16,80.

Die Eigentümlichkeit der vorliegenden Darstellung wird
sofort deutlich, wenn man sie etwa mit H. Conzelmanns
„Grundriß" vergleicht (s. ThLZ 94, Sp. 833 f.). K.s Werk
will »kein Lehrbuch ersetzen" (S. 16), sondern entsprechend
den für das NTD geltenden Richtlinien seinen Gegenstand
in allgemeinverständlicher Form, ohne gelehrten Apparat,
einem größeren Leserkreis nahebringen. Auseinandersetzung
mit abweichenden Meinungen erfolgt nur implizit; Gewährsmänner
werden namentlich nur da genannt, wo
der Vf. besonders treffende Formulierungen übernimmt. So
ist eine sehr geschlossene Darstellung entstanden, die dank
ihrer stets klaren und flüssigen Diktion ein hohes Maß
an Lesbarkeit besitzt. Ein auf Wesentliches beschränktes
Literaturverzeichnis, ein Sach- und Namenregister sowie
ein Stellenregister erhöhen die Brauchbarkeit des Werkes.

Was den methodischen Ansatz betrifft, so bekennt sich
K. zunächst ausdrücklich zu der für alle Schriften des
Altertums gültigen Methode historischer Forschung, die
den einzigen Zugang zum Verstehen auch der neutesta-
mentlichen Schriften bildet (S. 14). Gerade sie aber hat
längst erkennen gelehrt, daß das N. T. alles andere als
einstimmig ist. Für K. folgt daraus, daß eine Theologie
des N. T. nicht primär das Ganze im Blick haben kann,
sondern zuerst den Gedankengehalt der einzelnen Schriften
oder Schriftengruppen je für sich erheben muß. Erst abschließend
kann auch nach ihrem gemeinsamen Gehalt
gefragt werden. Dieser Ansatz schließt zugleich ein, daß
K. weder Theologie wesenhaft als Auslegung der ältesten
Formulierungen des Credo versteht noch seine Darstellung
prinzipiell nach dem heutigen Stand der Traditionsgeschichte
disponiert. Konsequenterweise wird der Begriff
„Kerygma" sorgfältig gemieden, desgleichen die ganze
existentialtheologische Begrifflichkeit. K. lehnt es als
unsachgemäß ab, die einzelnen Verkündigungsformen dem
gleichen Darstellungsschema zu unterwerfen. Dieses muß
vielmehr aus dem eigentümlichen Charakter der jeweiligen
Verkündigungsform gewonnen werden, d. h„ K.s Darstellung
ist primär am jeweiligen theologischen Aussagegehalt
orientiert, den sie nach seiner spezifischen Struktur
zu entfalten sucht Die Durchführung des methodisch so
bestimmten Programms konzentriert sich auf die »Hauptzeugen
" des Neuen Testaments. Das sind für K. Jesus,
Paulus und Johannes. K. rechtfertigt diese ungewöhnliche
Beschränkung mit der Überzeugung, daß die mit den
genannten Namen verbundenen Formen der Verkündigung
es ermöglichen, sich »ein klares und ausreichendes Bild von
der zentralen Verkündigung des Neuen Testaments zu
machen" (S. 15). Freilich mag man fragen, mit welchem
Recht Jesus im strengen Sinn zu den „Hauptzeugen" des
N.T. gezählt wird» wo man doch dabei in erster Linie an
die neutestamentlichen Autoren denken möchte. Hier liegt
zumindest eine begriffliche Unschärfe vor, wenn man nicht
sogar von einer Unklarheit im Ansatz sprechen will.

Das 1. Kapitel (S. 20-85) behandelt »Die Verkündigung
Jesu nach den drei ersten Evangelien". Das meint nicht,
wie die Formulierung zunächst vermuten läßt, eine synoptische
Darstellung Jm Stile einer Evangelienharmonie. K.
sieht die Aufgabe fielmehr darin, nach der ältesten Über-