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Ausgabe:

1971

Spalte:

106-108

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Das Kreuz Jesu und die Krise der evangelischen Kirche 1971

Rezensent:

Stuhlmacher, Peter

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

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übrigen Welt zutiefst abgrenzbares Individuum zu verstehen
. Das ergibt sich am schärfsten aus dem" Begriff
Leib (36). Dieser meint nicht Person (37), sondern bezeichnet
den Menschen als den, der an der Kreatürlichkeit
teilhat und „auf eine ihm jeweils vorgegebene Welt" bezogen
ist (43). „Es gibt den Menschen nie ohne seine
jeweilige Welt"; und Welt ist stets Herrschaftsbereich (53).
Der Mensch „existiert von außerhalb seiner selbst her" (54).

Zwischen 1. und 5. - dem ersten und dem letzten der
Amerika-Vorträge - ergeben sich besondere Beziehungen
vom Verständnis des Leibes aus. »Wie der menschliche
Leib die Notwendigkeit und Wirklichkeit existentieller
Kommunikation ist, so erscheint die Kirche als Möglichkeit
und Wirklichkeit der Kommunikation zwischen dem Auferstandenen
und unserer Welt und heißt insofern sein
Leib ... Leib Christi ist sie als sein gegenwärtiger Herrschaftsbereich
, in welchem er durch Wort, Sakrament und
Sendung der Christen mit der Welt handelt" (204). „Die
existemiale Voraussetzung dafür, daß wir als Glaubende
der Christusherrschaft eingegliedert werden können, und
Zwar ... mit all unsern ... Relationen zu unserer Welt",
ist darin gegeben, daß der Mensch durch das Wort Leib
im vorhin skizzierten Sinn gekennzeichnet wird (198). Von
dem vorhin zitierten Satz (204) her ist es zu verstehen,
wenn K. betont, daß Rom. 12, 5; 1. Kor. 12,13 „den Charakter
von Identitätsaussagen" haben und daß von einer
Leugnung dessen „die gesamte paulinische Theologie betroffen
" wird (181). „Der erhöhte Christus hat wirkl.ch
einen irdischen Leib" (182). Hat Paulus das Motiv des
Christusleibes von der hellenistischen Christenheit übernommen
(183), so fügt er sich doch seiner Theologie völlig
ein; „kein anderer Kirchenbegriff" bezeichnet „in gleicher
Weise die Welt als das von Christus beanspruchte Herrschaftsgebiet
" (185; zum Vergleich wird die - judenchristliche
[190] - Vorstellung vom Cottesvolk herangezogen
[185-190]). Konkret gesagt: „Wo immer Christen
sich als solche bewähren, manifestiert sich für" Paulus
»der Christusleib" (200; von hier aus wird gegen „das
Schlagwort der Entweltlichung des Glaubenden" polemisiert
[200 f.]). Der Christusleib ist „neue Schöpfung in
weltweiter Dimension" (189). Dabei löst sich Christus
nicht etwa in die Kirche auf; er „bleibt als Schöpfer und
Richter das Gegenüber zu seinen Gliedern" (202).

K. betont in diesem Rahmen, daß Christus (nur) durch
den Geist in der Kirche, seinem Leib, gegenwärtig wird
(196 '). Wie sich schon andeutete, wirkt er durch ihn auch
in den Sakramenten. Das Teilhaben „am göttlichen Geist",
die Eingliederung „in Christus", das Hineingezogenwerden
»in Jesu Todesschicksal" geschieht durch „Taufe und
Eucharistie" (181; „in Christus" und die Anschauung vom
Christusleib interpretieren sich gegenseitig [185]). „Für den
Apostel bewirkt" (Gal. 3,27 f.) „das Sakrament Existenzwandel
, in welchem der alte Mensch stirbt und eine neue
Kreatur lebendig wird" (181). Speziell das Handeln Gottes
bzw. Christi in der Taufe spielt auch sonst in den Aufsätzen
eine Rolle. So wird etwa der „leiblich zu erbringende
neue Gehorsam" als „die Frucht der Taufe" bezeichnet
(nach Rom. 6,12 ff. [38]; er ist Bewährung der „Herkunft
aus der Taufe" [120]). Heiligung ist „ständiger reditus ad
baptismum, gelebtes ... Hören des Schöpfungswortes" (163).
Entsprechend konkret ist vom Abendmahl zu reden: „Der
erhöhte Herr manifestiert sich irdisch in der leiblichen
Speise", Paulus mißt der Leiblichkeit „eucharistische ...
Relevanz" zu (38). „Das Eschatologische" greift im Sakrament
„sogar historisch Platz" (121).

Trotz der Ausführlichkeit des Referats mußte vieles
übergangen werden - etwa an analysierenden Sätzen zur
gegenwärtigen theologischen Situation, im Zusammenhang
damit an polemischer Auseinandersetzung auch mit der
Existenztheologie, mit Bultmann oder Conzelmann, mit
jüngsten Erscheinungen des Mifjverstehens christlichen
Glaubens, oder an grundsätzlichen Bemerkungen über

Aufgabe und Methode theologischer Arbeit usw. Der Rez.
hielt eine eingehendere Darstellung für sinnvoller als eine
stichworthafte Auseinandersetzung mit K„ die sich gewiß
mannigfach ergäbe, und nicht nur zu polemisch pointierten
Sätzen, die des öfteren bewußt provozieren (wie K. selbst
sagt), aber doch wohl auch mitunter in einer gewissen
Spannung zueinander stehen sondern auch sonst, sei es
zu interpretierenden, sei es zu grundsätzlichen Aussagen,
nicht zuletzt zu bestimmten Akzentuierungen. Lieber
schließt der Rez. mit einem Dank für das intensive Gespräch
, in das er hineingenommen wurde und das nicht
beendet ist.

Halle/Saale Gerhard Delling

1 Zu dem letzt „etwas geänderten Vorabdruck" (K. 5) s.
T. Holtz in ThLZ 93 (1968) 307 f. K. gehörte übrigens dem
Ausschuß nicht an, vor dem das Referat gehalten wurde.

2 Aus Apophorcta, Festschrift für Ernst Haenchen (1964)
142-155.

* Ursprünglich als Vortrag vor der Studiorum Novi Testa-
menti Societas vorgesehen.

4 83. Wesentlich anders meine ich in Apophoreta (s.o. Anm.2)
85 f. 88 nicht gesagt zu haben (dies zu K. 83 A. 22). — Allerdings
sind solche Sätze bei K. selten; betont ist der Machtaspekt
.

5 Vgl. 204. Dazu gehört der Satz: ..Der erhöhte Herr ist
allein im Worte gegenwärtig" (278).

0 Das deutet sich schon in einigen der oben gegebenen
Zitato an. Jedenfalls sind mohrfach bewußt einseitig formulierte
Sätze als sich gegenseitig ergänzende zu verstehen.

Findeisen, Sven, Frey, Hellmut, u. Wilhelm Johanning:
Das Kreuz Jesu und die Krise der Evangelischen Kirche.
Fragen, die uns die Theologie Ernst Käsemanns aufgibt.
Bad Liebenzell/Württ: Verlag d. Liebenzeller Mission
[1967]. 126 S. 8° = Liebenzeller Studienhefte, 5.

Das Heft enthält vier Vorträge, in denen sich führende
Vertreter des Pietismus und der sog. Bekenntnisbewegung
mit der Theologie Ernst Käsemanns auseinandersetzen.
Die Themen der Referate: 1. Sven Findeisen: Weichen-
stcllungen auf dem theologischen Wege Ernst Käsemanns;
2. Hellmuth Frey: Ernst Käsemanns Auffassung vom Kreuz
und ihre Konsequenzen; 3. Wilhelm Johanning: Das Evangelium
in der Auseinandersetzung zweier Denkstrukturen;
4. nochmals H. Frey: Ernst Käsemann - Überwinder oder
Gefangener des Existentialismus und Historismus? Literaturhinweise
, die ausschließlich Arbeiten von Gesinnungsfreunden
empfehlen, schließen die Publikation ab, in deren
Vorwort betont wird, man wähle deshalb gerade Käseir.ann
(= K.) als Kontrahenten, weil man sich mit dem ernsthaftesten
Vertreter „der existentialistischen Theologie" auseinanderzusetzen
, an ihm „den Ansatz, der uns trennt" zu
exemplifizieren und sich wegen der Auswirkung des K.schen
Kirchentagsreferates von 1967 („Die Gegenwart des Gekreuzigten
") auf die Gemeinden zu solchem Reden gezwungen
sehe. Angesichts des „tiefen Erschreckens vieler
über die Ablehnung des Sühnopfer Christi" durch K. soll
damit den Ratlosen in der Gemeinde ein Weg gewiesen
werden, von dem die Verfasser insgesamt betonen, daß er
„nur über eine Wiederentdeckung des Kreuzes Jesu ... in
die Erneuerung der Kirche und zu einem neuen Zusammenfinden
" führen könne.

Die Schrift hat den zweifelhaften, für die Diagnose der
gegenwärtigen kirchlichen Situation aber kaum entbehrlichen
Wert eines Symptoms, und nur unter diesem Aspekt
rechtfertigt sich ein Hinweis auf sie in dieser Zeitschrift.
Wiewohl sämtliche Autoren wiederholt Käsemann ihren
Respekt bezeugen und ein relatives Recht zu seinem Wege
zugestehen, ist ihre Kritik am Schluß eindeutig und im
Sinne einer warnenden Absage an Käsemann formuliert.
Am schärfsten, aber immerhin nach eingehender Lektüre
des Käsemannschen Schrifttums geht dabei Frey vor, während
sich Johanning mit platten Klischees begnügt (Beispiel
: „Käsemanns Ansatz ist der der Aufklärung: ,Eskann
nichts passiert sein, was nicht passiert sein darf" 184)).
Findeisen analysiert K.s Denkweg im Sinne zunehmender