Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

103-106

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Käsemann, Ernst

Titel/Untertitel:

Paulinische Perspektiven 1971

Rezensent:

Delling, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

103

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

104

NEUES TESTAMENT

Käsemann, Emst: Paulinische Perspektiven. Tübingen:
Mohr 1969. 285 S. kl. 8°. Kart. DM 12,-.

Nicht „den Entwurf einer paulinischen Theologie" legt
K. vor, aber doch „wichtige Aspekte dafür" (5): „1. Zur
paulinischen Anthropologie" (9-60), „2. Die Heilsbedeutung
des Todes Jesu bei Paulus" (61-107) *, „3. Rechtfertigung
und Heilsgeschichte im Römerbrief" (108-139), „4. Der
Glaube Abrahams in Römer 4" (140-177), „57 Das theologische
Problem des Motivs vom Leibe Christi" (178-210),
„6. Der gottesdienstliche Schrei nach der Freiheit" (221 bis
236) *, „7. Geist und Buchstabe" (237-285) '. Die Aufsätze
1. und 3.-5. geben 1965/66 in Amerika vielfach gehaltene,
überarbeitete Vorträge wieder (5). Von daher ist weithin
auch die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Ausprägungen
protestantischer Theologie beeinflußt (das gilt
selbst für 2., wie dort gleich anfangs angedeutet wird).

Nur 6. ist ursprünglich nicht als Vortrag abgefaßt. Der
Aufsatz interpretiert speziell Rom. 8, 26 f., allerdings im
Rahmen der Paulinischen Pneumabolooie und des Kontextes
Rom. 8. der „die Solidarität der christlichen Gemeinde mit
der unerlösten Welt herausstellt" (218) und dessen Krönung
V. 26 f. bilden f233); von daher ergibt sich für V. 26 f. „die
Pointe .... daß nur der Geist die ganze Not unserer Erlö-
surgsbedürftiokeitkenntjind auszusprechen v^mag" (230).

Um eine begrenzte Gruppe von Texten geht es sodann
in 7., um Rom. 2. 27-29; 7, 6; 2. Kor. 3, 6 und den jeweiligen
Kontext. Von da aus vertritt K. „provoz;erend die
These ..., dafj der Aposvel ... zum ersten Male in der
christlichen Geschichte ansatzweise eine theologische Hermeneutik
entwickelte» (237 f.). „Der kontradiktorische Gegensatz
" von Buchstabe - d. i. „die Mosetora in ihrer
schriftlichen Dokumentation, welche vom Juden als Heilsprivileg
für s'ch beansprucht wird" (245) - und Geist „läßt
sich sinnvoll allein auf christliche Existenz anwenden"
(251): das gilt nach K. schon für Rom. 2. 27-29 (der Salz
wird u. a. von Kol. 2, 11 ff. her begründet f250)). Geist
und Buchstabe erscheinen in 2. Kor. 3 „als kosmische
Mächte" (259); Paulus läßt hier „den Geist sich in der
Gemeinde, für alle Welt erkennbar, obiektivie>-en" (256).
Die Sch' ift muß von Chrstus her und auf ihn hin gelesen
werden" (2661: „der Geist erhält hier eine hermeneutische
Funktion" (267). Das wird von „Rom. 10, 5-13 als Tes^all"
her bestätigt (267-282). Der Geist „greift immer wieder
Tradition auf. und zwar .. . auch im Schriftbeweis. Dann
hertinnt sie Tdie Schrift) zu .sprechen'" (273). „Das Thema
.Geist und Buchstabe" wird „zum Schlüssel der paulinischen
Hermeneutik" (283).

2.-4. gehören thematisch in besonderer Weise zusammen
, so vielfältig mit den hier bestimmenden Stichwörtern
auch in den übr'gen Kap. Akzente gesetzt werden können;
sind sie doch für das Verständnis der Paulinischen Theolo-
aie bei K. schlechthin entsche;dend. Daß das für die
Stichwörter Rechtfertigung und Kreuzestheoloqie gilt,
braucht schon angesichts der Überschriften zu 2.-4. kaum
qesagt zu werden. Es gilt vorrangig ebenso für weitere,
Christologie, Kosmokrator, Herrschaftanspruch usw. Das
mit ihnen Angedeutete steht in unlöslichem Bezug zueinander
. So kann etwa gesagt werden, „daß Christologie
und Rechtfertigungslehre sich gegenseitig interpretieren"
(177), ja, Rechtfertigungslehre „ist ganz und gar Christologie
" (130).

2. und 3. sind in besonderer Weise durch die Auseinandersetzung
bestimmt (die aber - trotz aller Schärfe -
doch als Gespräch verstanden sein will [108],- ist doch
schon das Neue Testament „Dokument und Feld eines
Cespräches" (1181). In 3. geht es (in Anknüpfung an einen
Aufsatz von K. Stendahl in HThR 1963) um eine fragwürdige
Verwendung des Wortes Heilsoeschichte. Die Polemik
K s gilt offenbar speziell seinem Verständnis im historisierenden
Sinn (174 f.), im Sinn der kontinuierlichen Entwicklung
(119). Tatsächlich kann auch K. „die Bibel im
allgemeinen und Paulus im besonderen ohne die heilsgeschichtliche
Perspektive nicht begreifen" (112; „schlechterdings
falsch ist es, paulinische Theolooie am Individuum
zu orientieren" [117); das wird ausdrücklich gegen Bultmann
betont). Paulus versteht aber die Hei'sg°schichte
„als das Gegeneinander der ... Bereiche Adams und
Christi", „von Tod und leben, Sünde und Heil" (119).
„Für ihn hat die Heilsgeschichte eine räumliche und zeitliche
Dimension, Grenzen gegenüber den kosmischen
Herrschaftsbereichen und einen Zusammenhancr, welcher
von der Schöpfung" über die „Erwählung Israels und die
Verheißung zu Christus und der Parusie führt" (122). Sie
darf jedoch n'cht etwa oesehen werden als Beciründung
der „Institution der Kirche" (127). Keine Heilsoeschichte
enthebt den Glaubenden „der Notwendigkeit, ständig neu
allein" aus der Zusage Gottes zu leben fl63). Die Heilsgeschichte
ist nur Horizont der Rechtfertiouni (13n), „einer
ihrer Aspekte": die Rechtfertigung „ist der Schlüssel der
Heilsoeschichte wie umaekehrt die Heilsaesch'chte die
geschichtliche Tiefe und kosmische Weite des Rechtfertigungsgeschehens
" (134).

Die Paulinische Rechtfertigunoslehre ist „die snezifisch
paulinische Interpretation der Christoloaie im Blick auf
Mensch und Welt" (136). Der Glaube vernimmt die Rechtfertigung
des Gottlosen aus der Kreuzesbotschaft (166),
nach der „Gottes I iebe s'ch dem Sünder, dem Gottlosen ...
schenkt"4. Zuoleich kann K. saoen: Rechtfert;aunosalattbe
und Auferweckunasqlaube sind identisch: das ist - so K. -
die Pointe von Rom. 4. Rechtfertiaung ist „in eschatolo-
gischer Zeit erfolaende creaHo ex n'hüo und V^rwennah^e1
der To^enauferstehung" (162 u. ö.). Wie wichtig für K.
diese Pointe ist, zeigt schon die eingehende Darstellung
des iüdischen Hinterarundes von Rom. 4. 17 b (159-161).
„Allein die Liebe unseres Schöpfers rettet" (73: d=>zu wird
dort bereits, neben 2. Kor. 3, 5, auf Rom. 4.17 verwiesen).

K. entfaltet seine Aussaaen in 2. weithin in Auseinandersetzung
mit einer Theolooie der „sooenannten Heils-
tats^chen" (90) bvw. der Auferstehnna, in deren Schatten
das Kreuz rückt (87). Er kommt dabei zu der orundsä^z-
lichen Aussage, daß „das Stichwort .Kreuzestheologie' in
unpolemischem Gebrauch seinen nrsnrünoüchen S;nn verliert
" (fi7: das Neue Testament schildert den heiligen Ge:st
„unaufhörlich als Polemiker" (1271). Dazu darf bemerkt
werden, daß nicht nur Paulus von Kreuz und Rechtfertigung
auch in verkündigenden und bekennenden Sätzen
redet.

Im Rahmen der Polemik K.s gegen die Theoloqie „an-
einanderreihbare(r) Fakten" wird dann auch der Salz
formuliert: „Paulus kennt nur einen Inhalt des Glaubens,
nämlich Christus als Herrn . . ." (95). Das fügt sich indessen
durchaus damit zusammen, daß K. „die Kreuzestheoloqie
provokativ vertritt" (86). Denn die „Gotteskindschaft ist
die Frucht des Todes Jesu und Ausdruck der irdisch neu
aufgerichteten . .. Herrschaft Gottes" in einem (82; entsprechend
von der Rechtfertigung 84 usw.). „Daß Gott im
Zeichen Christi Kosmokrator werde .. ., ist der Sinn der
paulinischen Rechtfertioungslehre" (133). „Jede Gabe hat
n^ch meinem Verständnis des ADOStels Machtcharakter"
(137); Christus ist „zunleich Gottes Gabe an uns und" unser
„Herr und Richter" (138). Er ist der Kosmokrator, dessen
- im Gottesdienst proklamierte (297) - „Weltherrschaft
sich zunächst über den G'aubenden bekundet" (2811. In der
Abgrenzung von einer Theologie der Heilstatsachen wird
jedoch betont, daß das Kreuz „die Signatur des Auferstandenen
" bleibt (102).

Vom Kreuz her wird zuletzt auch über das Verständnis
des Menschen in der Paulinischen Theologie entschieden
(s. 74). Zunächst bemerkt K., daß „die anthropolooischen
Termini des Apostels ... die Existenz im ganzen, freilich
jeweils in verschiedener Ausrichtung und Fähigkeit, kennzeichnen
" (19). Der Mensch ist sodann nicht als „von der