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Ausgabe:

1971

Spalte:

940-941

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Reitz, Rüdiger

Titel/Untertitel:

Paul Tillich and New Harmony 1971

Rezensent:

Glöckner, Reinhard

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939

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

940

Rad : „Damit zeichnet sich aber ein noch fernes Ziel
unseres Bemühens ab, nämlich das einer ,Biblischen
Theologie', in der der Dualismus je einer sich eigensinnig
abgrenzenden Theologie des AT und des NT überwunden
wäre. Wie sich eine solche Biblische Theologie darzustellen
hätte, ist noch schwer vorstellbar. Es ist aber ermutigend
, daß sie heute immer lauter gefordert wird"
(S. 1). Diese Ermutigung hält Kraus für „den Hinweis auf
einen erstaunlichen Tatbestand", dem er mit seinem Buch
Rechnung tragen will. Aber er fragt auch kritisch: „Ist
es ein Wunschtraum, ein Phantom, dem da nachgejagt
wird?", wofür er Ernst Käsemann zitiert. „Auch für
v.Rad ist das Zielbild noch ,schwer vorstellbar', doch
tritt aus dem III. Hauptteil seiner ,Theologie des Alten
Testaments' die Forderung zwingend heraus."

Liest man die angeführte Stelle bei Käsemann selbst
nach („Exegetische Versuche und Besinnungen II, S.27),
um seine Gründe gegen jenes Unternehmen zu erfahren,
so stellt man mit einigem Erstaunen fest, daß in jenem
ganzen Aufsatz mit keinem Wort vom Alten Testament
die Rede ist, sondern jene Problematisierung sich auf die
Theologie des Neuen Testaments bezieht. Sachlich richtiger
wäre gewesen, wenn Kraus schon hier statt Käsemann
Karl Barth zitiert hätte - und nicht erst später
(S. 282-292), wo Barth positiv als Kronzeuge für jenes
Desiderium in Anspruch genommen wird. In K.D. 12,
S.535ff. nimmt Barth explizit und überaus kritisch
Stellung zu der Frage nach der Möglichkeit und Wünsch-
barkeit einer „Biblischen Theologie", die ja schon längst
kein so „erstaunlicher Tatbestand" mehr ist, wie Kraus
meint. Barth sagt dort: „Die Folgerung und Forderung,
die sich aus der recht verstandenen Einheit der heiligen
Schrift ergibt und über deren Beachtung die Kirche zu
wachen hat, kann also gerade nicht etwa dahin lauten,
daß wir ein verborgenes geschichtliches oder begriffliches
System, eine Heilsökonomie oder eine christliche Weltanschauung
aus der Bibel zu entnehmen hätten. Eine
biblische Theologie in diesem Sinn kann es nicht geben:
weder eine solche des Alten noch eine solche des Neuen
Testamentes, noch eine solche der ganzen Bibel. ... Eine
biblische Theologie wird also immer nur in einer Gruppe
von Annäherungsversuchen, in einer Sammlung und Zusammenfassung
von Einzelexegesen bestehen können, bei
der es auf eine Systematik im Sinn der platonischen, aristotelischen
oder hegelischen Philosophie darum nicht
abgesehen sein kann, weil der dazu nötige Grundgedanke
nicht nur, wie es ja auch die Philosophen sagen, der Gedanke
eines letzten, unbegreiflichen Wirklichen ist, sondern
auch eben als solcher - und hier unterscheidet sich
das theologische vom philosophisch Unbegreiflichen -
gar nicht zu unserer Verfügung steht, als Gedanke eines
eigentlich, d.h. gegenwärtig Wirklichen gar nicht, oder
eben nur uneigentlich, d.h. nur in Form von Erinnerung
und Erwartung vollzogen werden kann. Auch die biblischen
Zeugen selbst können und wollen ja die Offenbarung
nicht selbst auf den Plan stellen, sondern gerade
darin erweisen sie sich als ihre echten Zeugen, daß sie
nur auf sie hinblickend und auf sie zurückblickend von ihr
reden. Wie könnten wir die Ganzheit ihres Zeugnisses
dadurch ergänzen wollen, daß wir mit der Offenbarung
umgingen als wie mit einer uns verfügbaren Voraussetzung
? Wie könnten wir sie anders auslegen, als indem
wir uns mit ihnen der Erinnerung, ihrer Erinnerung und
der Erwartung, ihrer Erwartung hingeben? Eben in dieser
Hingabe und allein in ihr - nicht in einem eigenmächtigen
Tun dessen, was sie unterlassen haben - wird
sich unsere Auslegung jenes Zeugnisses als echt bewähren
und entzünden zu unserem eigenen Zeugnis. Alle biblische
Theologie (und selbstverständlich auch und erst recht
alle Dogmatik) wird also nur in einer Übung in dieser
Hingabe, nicht aber in einem Versuch, das Ganze des

biblischen Zeugnisses auf den Plan zu führen, bestehen
können. - Man wird wohl auch an dieser Stelle fragen
müssen, ob die altprotestantische Theologie des 17. Jahrhunderts
nicht zu viel tat, um eben damit zu wenig zu
tun...".

Daß Kraus diese Warnung Barths vor einer „Biblischen
Theologie" nicht erwähnt, ist wohl daher zu erklären
, daß er sie in den späteren Bänden der Kirchlichen
Dogmatik überholt sieht durch die „Bundesgeschichte"
als „Heilsgeschichte", die zugleich die Krisis der allgemeinen
Welt- und Menschheitsgeschichte ist, so wie
Kraus das in seinem Aufsatz: „Das Problem der Heilsgeschichte
" in der Festschrift „Antwort" 1956 S.69ff.
ausgeführt hat - wo er unsere Stelle ebenfalls nicht erwähnt
. Aber diese Warnung hätte ihn jedenfalls gezwungen
, härter am Problem der Möglichkeit einer „Biblischen
Theologie" zu bleiben, um das es in dem Buch doch gehen
sollte. Zu dem Problem selbst kommt er erst auf den
letzten 100 Seiten, und auch hier nur unter dem Titel:
„Probleme und Perspektiven" (S. 307-391). Aber auch
hier beschränkt er sich wieder auf das bloße Zitieren des
einschlägigen neueren Materials, ohne es selbst theologisch
zu verarbeiten und in der Richtung seines angekündigten
Desideriums einer „Biblischen Theologie" Stellung zu
nehmen. Daß es speziell auch Alttestamentier aus anderen
„Schulen" gibt, die an diesem Problem arbeiten, erfährt
man nicht. So vermißt man u.a. Rudolf Smend
(z.B. „Nachkritische Schriftauslegung" in Parrhesia
1966). Hartmut Geese wird immerhin in 2 Anmerkungen
genannt (S.357, 381), ohne daß seine Beiträge diskutiert
werden. Seine überaus gründliche neueste Arbeit: „Erwägungen
zur Einheit der biblischen Theologie" (ZThK
67, 1970, S.417ff.), konnte Kraus freilich noch nicht
kennen.

Tübingen Hermann Dloni

Reitz, Rüdiger: Paul Tillich und New Harmony. Stuttgart:
Evang. Verlagswerk [1970]. 128 S.. 4 Taf. 8°. Kart. DM

9,50.

Bin liebenswerter Ort, seine bemerkenswerte Geschichte
und mehr oder weniger ein Zufall aus dem Lebensweg von
Paul Tillich haben Rüdiger Reitz zu diesem Buch inspiriert
. Ausgesprochenermaßen ohne Anspruch auf strenge
Wissenschaftlichkeit ist in gut lesbarem Stil ein Blumenstrauß
wissenswerter Tatsachen mit einem Band zusammengefaßt
, das den Namen eines kleinen Städtchens
aus dem amerikanischen Bundesstaat Indiana trägt:
New Harmony. In diesem Ort wurde am Pfingstmorgen
1966 die Asche Paul Tillichs beigesetzt. Frau Tillich hatte
sich dieses Ortes erinnert und die Urne des am 22. Oktober
1965 Verstorbenen aus dem Friedhof von East Hampton
auf Long Island hierher überführen lassen. Zu Pfingsten
1963 hatte Paul Tillich in New Harmony einen nach
seinem Namen benannten Hain feierlich eingeweiht. Was
mag seine Frau bewogen haben, diesem nur ganz am
Rande des Lebensweges von Paul Tillich liegenden Ort
in solcher Weise Beachtung zu schenken? Rings um diese
Frage reiht der Autor die Kapitel, die er in und um New
Harmony zu schreiben fand.

Erstaunliche Kapitel. Denn da ist zu berichten von
Johann Georg Rapp und seinen württembergischen
Landsleuten. In Erwartung des baldigen Kommens des
Reiches Gottes gründeten sie im Jahre 1815 die chilia-
stisch-christlichc Siedlung New Harmony (Reitz nennt sie
religiös-kommunistisch) und brachten sie zu wirtschaftlichem
Erfolg und zu allgemeiner Beachtung. Da ist zu
berichten von dem weltbekannten utopischen Sozialisten
Robert Owen, der 1825 die Siedlung kaufte und seine hoch-