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Ausgabe:

1971

Spalte:

72-73

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Metzner, Hans Wolfgang

Titel/Untertitel:

Roland Allen 1971

Rezensent:

Lehmann, Arno

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 1

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In drei Teilen und 24 Kapiteln handelt Boegner über (I)
Die Jugendzeit der ökumenischen Bewegung, 1905—1939;

(II) Die Reife der ökumenischen Bewegung, 1939—1959;

(III) Die Ausweitung der ökumenischen Bewegung, 1959
bis 1967. Die ersten beiden Teile nennen in den Kapitelüberschriften
ökumenische oder säkular-historische Ereignisse
(z. B. 1. Das Erwachen zum ökumenischen Leben, 3.
Der erste Weltkrieg, 8. Die ökumenischen Konferenzen von
1937, 10. Der zweite Weltkrieg und das ökumenische Wirken
von September 1939 bis Mai 1940, 15. Von Amsterdam
nach Evanston). Der dritte Teil (vom 18. Kapitel ab) subsumiert
auch bedeutende ökumenische Ereignisse (Die Vollversammlung
von Neu Delhi, II. Konferenz von „Glauben
und Kirchenverfassung" in Montreal) unter Überschriften,
die die römisch-katholische Kirche und ihre Entwicklung
hergibt. Eine Ausnahme ist lediglich Kapitel 23 — Probleme
der Kirchen der Reformation, das gewissermaßen das
Gleichgewicht zu Kapitel 22 — Krisen im Katholizismus
(1965—1967) darstellt. Das Schlußkapitel ist dann einem
Blick in die Zukunft gewidmet. — Die Personalisierung der
Ökumene oder die so völlig erlebte Identität individueller
und ökumenischer Geschichte bringt für den Leser manche
überraschenden Aspekte, doch aber auch die Frage, ob für
die ökumenische Bewegung wie für das Individuum nach
Jugend und Reife nun Alter und Tod nahen. Anzeichen dafür
, daß die Spontaneität aus der Frühzeit der ökumenischen
Bewegung sich nicht durchhalten konnte, sind durchaus
vorhanden.

Was angesichts der ökumenischen Aufgeschlossenheit des
Autors den Nichtfranzosen überrascht, ist ein genuiner Nationalprotestantismus
. Er tritt um so stärker in Erscheinung
, als er unbetont — vielleicht weitgehend unbewußt —
ist. Dazu gehört die Bezogenheit jedenfalls leitender protestantischer
Kreise auf die jeweiligen Regierungen. Das
Interesse für Rom war schon erwähnt. Daneben bleiben
Interesse und Kenntnis, ja vielleicht Verständnis für den
deutschen Protestantismus blaß. So sind Bonhoeffer und
Bultmann für die „Krise von . . . fundamental theologischer
Natur" im Protestantismus verantwortlich gemacht. Dabei
hat das Dilemma doch nicht ausgelöst, wer es beschreibt.
Zwielichtige Gestalten wie Heckel, der Leiter des Kirchlichen
Außenamtes (auf zwei aufeinanderfolgenden Seiten [79f.]
anläßlich seines Auftretens in Fanö 1934 einmal als Ober-
konsistorialrat, einmal als Bischof apostrophiert) und Schönfeld
haben die Sympathie für den deutschen Protestantismus
gewiß nicht zu befördern vermocht. Der „gelehrte
Christ" und „spätere Berliner Bischof Otto Dibelius" ist mit
seiner Prognose vom 20. Jahrhundert als „Jahrhundert der
Kirche" zwar der falschen Prophetie überführt: „Wie oft
habe ich dieses Wort dem Ausspruch Peguys gegenübergestellt
. . . : ,Das 20. Jahrhundert wird das Jahrhundert des
Krieges sein!' " (87), aber dann wird er doch als „mutig"
gerühmt (426) im Zusammenhang mit seinem Antikommu-
nismus. Lediglich als Kuriosum sei angemerkt, daß als Verfasser
der Stuttgarter Schulderklärung Asmussen erscheint
(238). Dagegen hat in seiner Autobiographie Dibelius für
sich in Anspruch genommen, mit Ausnahme eines Satzes,
den er auf Niemöller zurückführt, der Autor zu sein.

Zu vermerken ist eine kurze, aber sachliche Würdigung
der Arbeit der Christlichen Friedenskonferenz. Von den
Wünschen, die für die IV. Vollversammlung des ökumenischen
Rates der Kirchen in Uppsala ausgesprochen sind,
ist leider so gut wie keiner in Erfüllung gegangen. (Von
den neu zu wählenden Präsidenten und dem neuen Zentralausschuß
heißt es: „Männer und Frauen, die noch jung
sind [im Vergleich zu denen, die sie abzulösen haben]" —
eine Hoffnung, die sich als vage erwies!)

Die Verlage wären gut beraten gewesen, einen protestantischen
Fachtheologen oder Ökumeniker zur Lektorierung
heranzuziehen. Die zu zahlreichen „Anmerkungen des
Übersetzers" tragen z. T. Kommentarcharakter und bringen

den Leser belehrend auf den jüngsten Stand, besonders die
Katholika betreffend; im Blick auf protestantische Phänomene
sind diese Anmerkungen nicht durchweg richtig.

Der französischen Ausgabe sind Anhänge beigefügt. Soweit
es sich um Dokumente handelt, die die Rolle Boegners
in der Resistence angehen, mögen sie für die deutsche Ausgabe
entbehrlich sein. Zu bedauern ist, daß die drei „Or-
ganigramme" der Reformierten Kirche Frankreichs, des
Protestantenbundes Frankreichs und des ökumenischen
Rates der Kirchen nicht in die deutsche Ausgabe übernommen
wurden. Ebenso vermißt man ungern das in der französischen
Ausgabe enthaltene Namenregister: für ein Buch,
das fast sieben Jahrzehnte ökumenischer Geschichte authentisch
erläutert, ein fast unverzeihlicher Mangel.

Berlin Gerhard Bassarok

Metzner, Hans Wolfgang: Roland Allen. Sein Leben und
Werk. Kritischer Beitrag zum Verständnis von Mission
und Kirche. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn
[1970]. 299 S. 8U = Missionswissenschaftl. Forschungen,
hrsg. v. d. Deutschen Gesellschaft f. Missionswissenschaft,
6. Kart. DM 24.-.

Der große Mangel dieses so wichtigen theologischen
Buches ist, daß ihm kein Index beigegeben ist. Wenn mit
Recht geklagt wird (111), daß Allen gerade auch vielen
deutschen Theologen „noch immer eine Stimme in der Wüste
ist", wäre über die Lektüre hinaus ein Index wie ein
Schlüssel zum Dauergebrauch des ungemein reichen Inhaltes
, bei dem es um Grundfragen der Kirchengründung
und damit um Grundfragen der Ökumene geht.

Aus neuen Quellen erhellt dieses Buch die Entwick.
lungsjahre Allens wie auch seine letzten 10—15 Jahre. In
seinen Chinajahren und besonders durch die Erfahrungen
im Boxeraufstand drängt sich Allen das Ungenügende der
bisherigen Arbeitsweise und die Erkenntnis auf, „daß nur
eine einheimische Christenheit dauernden Bestand haben
kann" (22), daß von Anfang an anders geplant und gebaut
und den einheimischen Christen in zielklarer Erziehungsarbeit
die Hauptaufgabe der Evangelisierung zugewiesen
werden muß, „daß Missionare es von Anfang an ablehnen
sollten, irgend etwas für ihre Konvertiten zu tun, was diese
legitimerweise selbst tun könnten" (25), daß daher auch
kein Missionar sich auf langes Bleiben oder gar für immer
einrichten, sondern sich beizeiten zurückziehen müsse, daß
vor allem die Bedeutung des Hl. Geistes neu gesehen werden
und alles vom 1. Tage an auf eine wirklich selbständige
, unabhängige und einheimische Kirche abgesehen
werden und also der westliche Einfluß ausgeschaltet werden
müsse.

In seinem reichen Schrifttum, aufgeführt S. 280—287,
entfaltet Allen eine ganze und ganz neue Missionstheorie
und Missionspraxis. Diese brachte ihm zunächst wenig Zustimmung
ein, weil sie Schäden bloßlegte und im Grunde
ein Bußruf war. Und wer hört den schon gern?! Im Laufe
der Zeit aber wurde er mehr und mehr und heute mehr
denn je gehört.

Der Vf. stellt in gründlicher Arbeit die Inhalte der
Vorstellungen Allens dar. Allen drängte auf eine pneumatische
Begründung der Missionsarbeit und war damit ein
einsamer Rufer in Kirche und Mission. Sonderlich sah er
eine Verdrängung des Geistes in den vielfachen „Aktivitäten
" = Institutionen (130). Anders war auch Allens Verständnis
der paulinischen Arbeitsweise, und auch und vor
allem waren neuartig die Folgerungen daraus für die Gründung
von selbständiger Missionskirchen. Dabei wird viel
Kritisches gesagt, was wohl zu hören ist. Das größte Aufsehen
erregte und die meiste Ablehnung erfuhr Allen durch
sein energisches und wiederholtes Eintreten für eine „Vo-
luntary Glergy". Denn wie anders sollte den ständigen