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Ausgabe:

1971

Spalte:

933-935

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Schuler, Bertram

Titel/Untertitel:

Pflanze, Tier, Mensch 1971

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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933

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

934

Wir nennen die Passionsprozessionen (33ff.). Sie waren
weithin ,nur zum Vorwitz und Gelächter' entartet. Die
Prozession in Herzogenaurach am Karfreitag nachmittag
soll von einem namentlich genannten Pfarrer (1662-1691)
eingeführt sein. Zu unserer Überraschung begegnet uns
in ihr das Prinzip der Biblia pauperum, also der typo-
logischen Zuordnung alt- und neutestamentlicher Figuren
und Szenen. So hat die Gefangennahme Jesu in der Einkerkerung
des unschuldigen Joseph und das Grab Jesu
im Walfisch des Jonas ihre Analogie - immer natürlich
in szenischer Darstellung. Zu den 600 Teilnehmern der
Prozession kamen 1800 Zuschauer, für welche viele Szenen
nur Anlaß zum Gelächter waren, besonders die als Juden
verkleideten Spieler. - Das Osterfeuer gilt als „Judasverbrennen
". Wir hören von „deufflischen Vermumme-
reyen / Kettenschlagen / Brüllen und Fcuerwerffen" in
der Osternacht (48). Pfingsten wird im Dom zu Würzburg
eine phantastische Figur des Heiligen Geistes in die Höhe
gewunden, „ringsherum mit Blumen und Schilden bekränzt
, inwendig mit einer lebendigen Taube und Lichtern
versehen, und am Ende mit einem zwei Fuß langen
Schweife von Rauschgold". Andernorts sei angezündetes
Werg, „als eine Vorstellung der feurigen Zungen",
herabgeworfen, „worauf dann gleich ganz natürlich ...
und noch zu größerem Tumult auch einige Kübel Wasser
folgen mußten" (49). Die Verfasserin verfolgt in jedem
Fall mit beispielhafter Akribie die Vorgeschichte der
Bräuche, ihre Entwicklung und Entartung, ihre Beseitigung
oder Reinigung. An tölpelhaften staatlichen Eingriffen
hat es nicht gefehlt, die mit anonymem Zorngedicht
beantwortet werden konnten (16). Als weiteres
Beispiel der Reinigung sei die Reduktion der Feiertage
genannt (53ff.).

Der Wert des Buches ist durch einen „Zusammenfassung
" genannten Schlußteil bedeutend gesteigert. In
fünf Querschnitten wird das von Reichtum überquellende
Material kurz und übersichtlich neu geordnet. Während
man bei der seitenweisen Lektüre bisweilen über „multa,
nun multum" aufstöhnen und fürchten kann, man würde
nur voll, aber nicht satt, wird man bei den Zusammenraffungen
(zeitliche Stufen, gesellschaftliche Stufen,
fortschrittliche Bewegung, konservative Gegenbewegung,
Unterschiede zwischen Würzburg und Bamberg) von
unguten Gefühlsanwandlungcn erlöst und von der Miniaturarbeit
der religiösen Volkskunde zur größeren geschichtlichen
und gesellschaftlichen Entwicklung hingeführt
.

Dankenswert ist das Sachregister, das in solchem Werk
unentbehrlich ist.

Btwtock Gottfried Holti

NATURWISSENSCHAFT UND GLAUBE

Schuler, Bertram: Pflanze - Tier - Mensch. Wesensart
und Wesensunterschiede. München-Paderborn-Wien:
Schöningh 1969. VIII, 388 S. gr. 8°. Kart. DM 28 —.

Der evangelische Theologe steht vor diesem Buch etwas
ratlos, nicht der Fülle naturwissenschaftlichen Materials
wegen, sondern weil dieses einem spekulativ-theologischen
System dienstbar gemacht wird, welches man
vergangen wähnte. Mehrfach greift Gott „unmittelbar"
in die Naturentwicklung ein, weil dieser niemals von sich
aus die Kraft innewohne, eine höhere Seinsstufe hervorzubringen
(S.131), so sehr Gott bei der Schöpfung der
anorganischen Materie dieser eine Entwicklungstendenz
auf den Menschen hin eingeprägt habe (S.257f.). So
schafft Gott eine einzellige Urpflanze, ein (wahrscheinlich

ebenfalls einzelliges) Urtier (durch Vereinigung von zwei
homologen Paaren pflanzlicher Genmoleküle, S.219) und
ein erstes menschliches Urpaar; und er haucht jedem
Menschen „durch einen besonderen und unmittelbaren
Schöpfungsakt" (S.264f.) die unsterbliche Vernunftseele
ein (wahrscheinlich dem menschlichen Embryo schon
im einzelligen Stadium; bei eineiigen Zwillingen werde zunächst
„auch nur eine Vernunftseele einerschaffen". Sobald
aber nach der ersten Furchung die beiden Tochterzellen
von einander getrennt werden, kann die Vernunftseele
wegen ihrer Unteilbarkeit nur mit der einen der beiden
Zellen vereinigt bleiben. Der andern aber erschafft
Gott im Augenblick der Trennung eine eigene Vernunftseele
ein, gerade als ob sie eben erst durch Befruchtung der
mütterlichen Eizelle entstanden wäre", S.265). Die Vernunftseele
besitze „eine über Raum und Zeit erhabene
Existenzweise" (S.347), ihre Tätigkeit verlaufe chemisch
und physikalisch „völlig energiefrei" (S.369), und sie sei
derartig von Natur unsterblich, daß nicht einmal Gott
selbst sie wieder vernichten könne (S.370). Auch bestehe
die Möglichkeit einer „den leiblichen Tod überdauernden
Lebens- und Funktionsgemeinschaft zwischen Lebenden
und Toten", welche „durch das psychische Verhalten der
Uberlebenden zu den Toten in verschiedenem Grad lebendig
und fruchtbar gemacht werden" könne (S.374). Dazu
„lehrt die christlich-biblische Offenbarung die Existenz
von reinen Geistwesen, Engeln und Teufeln, und auch,
daß jene wie diese mit Menschen in sinnlich-wahrnehmbarer
Weise tatsächlich in Verbindung traten und selbst
in der Weise von Körperwesen mit physischer Kraft auf
irdische Menschen und Dinge einwirkten. Jedoch gehören
solche Berichte nicht mehr in den Rahmen einer
Lehre von der Natur des Menschen" (S.363). Noch folgende
Überlegung möge als Beispiel für das stark rational
konstruierende Vorgehen des Verfassers (entsprechend
dem Wissenschaftsideal des Thomas von Aquino) wiedergegeben
sein. Gott „begnügte ... sich wohl damit, aus
einer einfachsten Pflanzenform ein einfachstes, sicherlich
einzelliges Urtier zu erschaffen, damit dieses sich zu der
ungeheuren Mannigfaltigkeit des Systems von tierlichen
Organismen entfalte, die wir heute vor uns haben. - Wäre
Gott anders verfahren, hätte er durch unmittelbare
Schöpfungsakte mehr und höher organisierte Organismen
(pflanzliche sowohl wie tierliche) ins Dasein gesetzt,
als zur Erreichung des von ihm gewollten Schöpfungszieles
erforderlich war, dann hätte er im eigentlichen Sinn
unzweckmäßig gehandelt; denn er hätte für einen mit
einfacheren Mitteln zu erreichenden Zweck einen überflüssigen
Aufwand an Schöpfertätigkeit gemacht. Und
was noch schlimmer ist, ein solches Verhalten Gottes wäre
einer Nichtberücksichtigung der von ihm selbst in die erschaffenen
Wesen hineingelegten Kräfte und Fähigkeiten,
damit einer Geringschätzung seiner eigenen Werke gleichgekommen
" (S.257).

Was die Verwendung und Ausbreitung des naturwissenschaftlichen
Materials anbetrifft, so möchte der
Rez. - wenn er das Bemühen Schulers im Zusammenhang
der durchaus vergleichsweise nennbaren ,großen Konzeption
' des Teilhard de Chardin sehen darf - doch folgendes
als im Prinzip richtig anerkennen: daß die darwinistische
Selektionstheorie (Höherbildung der Arten durch Zufall
) für jedes philosophische Verstehenwollen der Natur
als Sackgasse dargestellt wird, der man tatsächlich nur
durch eine Art Rückgriff auf Leibniz (wie wir sagen würden
) bzw. dessen Grundansatz in der Monadenlehre
(Stufen an Bewußtsein differenzieren die Welt; sachlich
ähnlich bei Schuler auf S.146, 151, 155, 228, 348ff.) entkommt
. Daß ohne Teleologie die organische Natur begreifen
wollen das eigentliche sacrificium intellectus
unserer heutigen wissenschaftlichen Welt ist, darüber sind
wir mit Schuler völlig einer Meinung. Aber wer Teleologie