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Ausgabe:

1971

Spalte:

921-922

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Harald

Titel/Untertitel:

Das dunkle Jahrhundert 1971

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Seite 1

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921

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

922

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Zimmermann, Harald: Das dunkle Jahrhundert. Bin

historisches Porträt. Graz-Wien-Köln: Styria [1971].
341 8., 1 Falttaf. 8°. Lw. DM 35,—.

Unter dem „dunklen Jahrhundert" pflegt man in der
Kirchengeschichte das 10. Jh. zu verstehen, weil die Zustände
in Rom des Papsttums besonders unwürdig waren
und die Bildung einen besonderen Tiefstand erreicht zu
haben schien. Diese Bezeichnung des 10. Jh. ist keinesfalls
ein Ergebnis polemischer protestantischer Geschichtsschreibung
, sondern gerade der Kirchengeschichtsschreiber
der Gegenreformation, Kardinal Caesar Baronius,
hat dieses Jh. als saeculum obscurum geschildert und die
Herrschaft der Familie des Theophylakt über Rom und damit
den Papststuhl zur Zeit der Theodora und derMarozia
als Pornokratio bezeichnet. Dadurch schien diese Wertung
von einem unverdächtigen Historiker bestätigt zu sein,
so daß sie viele aus allen Konfessionen übernahmen, vielleicht
auch nicht zuletzt deshalb, weil es ihnen nicht
wenig Freude bereitete, sich von ganzem Herzen über
dieses finstere Jh. zu entrüsten.

In einem einleitenden Kapitel gibt der Vf. eine kurze
Übersicht über die Verwendung des Begriffes „Mittelalter
" und die Beurteilung des 10. Jh. Darin wird Christoph
Cellarius die Ehre zuteil, 1688 durch sein Kompendium
„Historia medii aevi" (es handelt sich übrigens um
den zweiten Teil seiner „Historia tripartita") die Dreiteilung
in die Geschichtsschreibung eingeführt zu haben,
während Karl August von Hase sie erst 1834 auf die
Kirchengeschichte angewandt haben soll. Diese Ausführungen
verschweigen, daß Gisbert Voetius bereits 1644
in einem Kompendium für Theologiestudenten diese Dreiteilung
verwendete, die 1660 Georg Horn von ihm übernahm
und in die Profangeschichtc einführte. Überhaupt
wird der Leser über das Einschwärzen des 10. Jh. und die
Aufhellungsversuche nur unvollständig unterrichtet. Baronius
ist ja nicht aus freien Stücken zu seinem negativen
Urteil gekommen, sondern weil er Quellen zu viel vertraut
hat, die es nicht verdienten. Hier wären vor allem
die Darstellungen des Liutprand von Cremona zu nennen,
der im höchsten Maße voreingenommen seine Zeitgenossen
, soweit er ihnen gram war, in dunkelsten Farben
malte. An den Anfang des Aufhellungsprozesses stellt der
Vf. die „Magdeburger Zenturien", die die Missionserfolge
des 10. Jh. zu schätzen wußten, und Ernst Valentin
Löscher, der 1725 für das Mittelalter eintrat. Es gab aber
auch eine ganze Reihe italienischer Forscher, die sich
speziell der Abwertung des 10. Jh.s annahmen und deren
Reihe Löschers Zeitgenosse Ludovico Antonio Muratori
anführte. Ihre Arbeiten erreichten den Höhepunkt durch
den Turiner Geschichtsprofessor Pietro Fidele, der 1910
und 1911 im „Archivio della Reale Societa Romana di
Storia Patria" die Pornokratielegenden zerstörte und auf
dessen Arbeit die neueren Darstellungen beruhen, die Beachtung
verdienen. Mit großer Leidenschaft ist ihm
Johannes Haller 1950 in dem zweiten Band seiner Papstgeschichte
gefolgt.

Der Vf. betritt also keinen neuen Weg, wenn er sich
müht, dem einseitigen Urteil über das 10. Jh. entgegenzutreten
. Es ist auch nicht seine Absicht, nur die lichten
Seiten dieses Jh.s zu zeigen, obgleich er hin und wieder
auf die auch im 10. Jh. vorhandene Bildung hinweist, die
sich z.B. in Streitschriften am Anfang des Jh.s (39) oder
im Rückgriff auf das alte römische Recht (89) offenbarte.
Sein Ziel ist es vielmehr, dieses Jh. in seiner ganzen Buntheit
und in seinen Schattierungen lebendig zu machen.
Das geschieht nicht in der Diskussion mit der bisherigen
Forschung. Der Vf. hat vielmehr auf Anmerkungen verzichtet
und eine glatte Darstellung geschrieben. Am

Schluß (311-316) hat er noch „Literaturhinwei.se'' hinzugefügt
, um dem interessierten Leser einige Wege zu zeigen
, auf denen er tiefer in das 10. Jh. eindringen kann.
Auf diese Weise ist ein gut lesbares Buch entstanden, das
aber keinesfalls aus der Literatur zusammengeschrieben
ist, sondern sich vielmehr als Auswertung der Papstregesten
von 911 bis 1024 erweist, die der Vf. 1969 herausgebracht
hat. Diese Grundlage hat auch die Auswahl bestimmt
, denn es geht in dem vorliegenden Buch im wesentlichen
um die Geschichte des Reiches und Roms. Das geschieht
aber nicht engherzig, sondern oft wird auch der
Blick darüber hinaus erhoben. So wird der Hoftag Ottos I.
zu Quedlinburg im Jahre 973 zum Anlaß genommen, anhand
der anwesenden Gesandten die gesamte politische
Lage Europas vorüberziehen zu lassen (185 492). Ein
andermal werden die Verhältnisse in Frankreich ausführlich
geschildert (236-252). Besonders sorgfältig ist den
innerarabischen Verhältnissen nachgegangen, um das
jeweilige Verhalten dieser Völker gegenüber den Christen
verständlich zu machen.

Die Darstellung enthält aber nun nicht nur allgemein
Anerkanntes, sondern auch die Meinungen und Forschungsergebnisse
des Vf.s. Bei der Krönung des Ungarnkönigs
Stephan entscheidet er sich eindeutig für das Jahr
1001 und vermutet, daß er seine Krone aus der Hand des
Kaisers und nicht des Papstes erhielt (287). Die Öffnung
der Karlsgruft durch Otto III. sieht er im Überl >ringen
der Adalbertsreliquie begründet (291). Johannes XIII.
hat in der Gründungsurkunde des Erzbistums Magdeburg
seine eigene Mithilfe über Gebühr herausgestrichen, was
schon zu verschiedenen Vermutungen Anlaß gegeben hat.
Der Vf. des vorliegenden Buches nimmt an, daß die Betonung
der kanonischen Grundsätze im Interesse des
Kaisers gelegen habe, der dadurch die Gegner seiner Pläne
überwinden wollte (161 f.). Die wenigen Beispiele sollen
genügen, um die Eigenständigkeit des Vf.s zu zeigen. In
manchen Fällen freilich wird man bedauern, daß die Aussagen
nicht belegt sind, so daß der Leser die Ursache für
das Urteil des Vf.s in dessen anderen Veröffentlichungen
suchen muß.

Dem Buch ist eine Falttafel beigegeben, die in übersichtlicher
Art und Weise die „Dynastischen Beziehungen
im 10. Jh." veranschaulicht, deren Kenntnis für die Vorgänge
dieser Zeit unentbehrlich ist. In dem Register aber
hat man sich die Mühe gemacht, bei den einzelnen Personen
die Lebens- oder Regierungsdaten hinzuzufügen,
was den Informationswert des Registers erhöht und zur
Gewohnheit werden sollte.

Die Lektüre des Buches bringt dem Leser zum Bewußtsein
, daß das 10. Jh. gewiß nicht nur unmoralisch und
bildungslos war, aber doch auch seine starken Schatten
hatte, nicht zuletzt durch die romantische Geschichtsschau
sowohl des Kaisertums als auch des Papsttums. Beide
strebten nach der Verwirklichung einer idealisierten Vergangenheit
gegen die tatsächlichen Machtverhältnisse und
den Willen der davon Betroffenen. Das Ergebnis war ein
großer, aber erfolgloser Aufwand von Kräften für das
Kaisertum und das Papsttum zum Schaden für Reich und
Kirche.

Leipzig Holmiu Junglmn»

Barcza, Bela: Jan Hus (ZdZ 24, 1970 S. 210-222).

Brand, Karl-Maria: Der Brief,Vice beati Petri' Alexanders HI.
an den schwedischen Episkopat und das kanonische Ehehindernis
der Blutsverwandtschaft im 12. Jahrhundert
(Greg 52, 1971 S. 171-185).

Cambell, Jacques OFM: Glanes franciscaines: la Collection
d'Upsal (Eranz. Stud. 52, 1970 S.347-359).

Corneanu, Nicolae: 1600 Jahre Wulfila-Bibel (ZdZ 24, 1970
S. 375-379).