Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

915-917

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sanders, Jack T.

Titel/Untertitel:

The new testament christological hymns 1971

Rezensent:

Schille, Gottfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

915

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

916

kritik Jesu überhaupt nicht erhalten geblieben. Die Trennung
zwischen „Hebräern" und „Hellenisten" war offensichtlich
nicht primär durch die verschiedene Stellung
zum Gesetz bedingt, sondern durch die Sprachenfrage
im Gottesdienst. Bei den Hellenisten scheint sich dann die
allgemeine urchristliche Kritik an Gesetz und Kult so
verschärft zu haben, daß die „Toleranzgrenze" überschritten
wurde und eine Verfolgung einsetzte. Nach ihrer
Vertreibung kam es dann zu einer „Rejudaisierung" der
palästinischen Gemeinde.

In der Darstellung der paulinischen Mission (105-123)
bleibt der Vf. der Paulusinterpretation seines Lehrers
verhaftet und leugnet - m. E. sehr zu Unrecht - die escha-
tologische Bedingtheit der paulinischen Missionskonzeption
. Die Interpretation von Rom 1 l,25f. ist entsprechend
unbefriedigend.

Ganz kurz geht der Vf. auf den Zusammenhang zwischen
urchristlicher Mission und Wirksamkeit Jesu ein,
die „bereits missionarische Züge hatte" (125). Wenn er
dennoch eine „unmittelbare Kontinuität" leugnet, so
stehen hinter diesem Urteil schulbedingte, dogmatische
Vorbehalte.

Das Ganze beschließt ein Überblick über die „Anfänge
der Missionstheologie" (127-144), wobei Kasting mit
Recht die grundsätzliche Bedeutung der Mission für die
Ausbildung der urchristlichen Theologie hervorhebt.
Gerade die Entwicklung der Christologie ist untrennbar
mit der Ausweitung der Missionskonzeption verbunden.
Dem Christus als dem Schöpfungs-mittler und Wclt-
versöhner entspricht der weltweite Missionsgedanke.

Trotz der einzelnen kritischen Bemerkungen handelt es
sich um eine recht erfreuliche Studie, die u.a. auch geeignet
ist, dem Studeuten und Pfarrer eine Einführung in
die urchristliche Geschichte und die heutige Diskussion
zu geben. Man möchte dem Vf. wünschen, daß er auch
weiterhin wissenschaftlich im Bereich des Neuen Testaments
arbeiten kann.

Erlangen Martin Hengcl

Sanders, Jack T.: The New Testament Christological
Hymns. Their Historical Religious Background. London
: Cambridge University Press 1971. XII, 163 S.
8° = Society for New Testament Studies, Monograph
Series, ed. by M.Black, 15. Lw. £ 3.60.

Die vorliegende Studie ist aus einer Dissertation von
Claremont aus dem Jahr 1963 (unter dem Protektorat
von Professor James M. Robinson) hervorgegangen. Sie
soll, im angelsächsischen Raum zum ersten Mal, mit der
kontinentalen Hymnenforsehung und ihren religionsgeschichtlichen
Problemen bekannt machen, und 6ie
dürfte diesem Auftrag entsprechen, obgleich sie zwar bei
der neuesten Diskussion einsetzt, aber auf einen schon
überholten Standpunkt orientiert.

Im ersten Teil (Kap.l: S.9-25) führt S. die Texte vor,
die seiner Meinung nach Christological Hymns enthalten:
Phil 2,6-11; Kol 1,15-20; Eph 2,14-16: 1.Tim 3,16 =
l.Petr 3,18-22 (wo eine Vorform jener Stelle aufgearbeitet
sein soll); Hebr 1,3 und die Prologvoringe Joh 1. Die Analyse
geht sehr radikal vor. Nicht literarkritische Anhaltspunkte
, sondern ästhetische Merkmale wie der Parallelismus
membrorum, die relative Markierung mit St usw.
geben den Ausschlag. Das überzeugt eigentlich nur bei
Hebr 1,3, wo der Hymnus nach S. nach £<r beginnt. Alle
anderen Texte (auch Kol 1) schrumpfen zu sehr knappen
Vorlagen ein, die bei ihrer Aufnahme in die betreffenden
Texte stark christianisiert worden sein müßten. Auch der
in derartigen Texten übliche Verweis auf alttestamentliche
Partien gilt grundsätzlich als Zeichen der Überarbeitung.

Daher kann nur l.Tim 3,16 als unbearbeitetes Zitat gelten
. Nun findet S. jedoch gerade in diesem Text keinen
Parallelismus membrorum. Außerdem erscheint ihm die
hinter l.Petr 3 vermutete Vorlage älter (so auch S. 140
Anm.2). Folglich gibt es nach S. christological Hymns
ausschließlich in Überarbeitung. Man wird diese, wie man
später merkt, entscheidende Weichenstellung im Gedächtnis
behalten müssen.

Eine weitere, in ihrer Tragweite erst später spürbare
Entscheidung fällt im ersten Teil nebenbei. Geradezu ein
Kennzeichen der neueren zusammenfassenden Studien
zur Hymnenforschung ist das Weglassen der von anderen
für Hymnen erklärten Stoffe. S. verzichtet auf Stücke
wie l.Petr 2,21ff.; Eph 1,20ff. (oder Hebr 5,5ff. und
andere Stoffe, die er gar nicht erst nennt), obgleich diese
ebenfalls die Christologie zum Inhalt haben. Christological
Hymns sind für S. nur die genannten Texte, die in den
S.24f. aufgeführten acht Punkten, also in einem eigentümlichen
redeemer-myth, übereinstimmen. Mit der
gleichen Großzügigkeit, die S. den Forschern zuteil werden
läßt, übergeht er die seiner Hypothese hinderliehen
Texte. Das Ergebnis kann dann selbstverständlich nur
sein, daß in den sechs Hymnen a common myth seems to
bepresupposed (S.39), und zwar nicht in jedem Hymnus
je für sich oder gar in historischer Staffelung (indem etwa
dio eindeutige Inkarnationsaussage Joh 1 eine ältere
„expositionelle" Aussage wie Phil 2,6ff. steigert), sondern
in so massiver Einheitlichkeit, daß man die religions-
geschichtlich.cn Hintergründe nur für alle gemeinsam bestimmen
darf.

Dieser Bestimmung dient der Hauptteil der Arbeit. Zunächst
geht 8. breit (Teil II, Kap. 2-5: S. 27-98) auf
ältere Lösungsversuche ein, jeweils im Anschluß an die
Texte (Johl; Phil 2; Kol 1 usw.). Ergebnis: Es handle
sich nicht um mehrere verschiedene, sondern um einen gemeinsamen
Hintergrund. Dieser sei keine christliche Aussage
(so S.43 betont gegen R. Schnackenburg), sondern
ein Mythus vorgnostischer Art (in Abwandlung der Thesen
von R. Bultmann), erwachsen aus der jüdischen Weisheitsspekulation
und anderen Hypostasierungen (nach
L.Dürr und H.Ringgren). Nun kann S. keine direkten Belege
dafür erbringen. Darum erschließt er (Teil III, Kap.
6-9: S. 101-144) aus den Oden Salomos und einigen Nag-
Hammadi-Funden als jüngeren Zeugnissen einer vergleichbaren
Tradition die matrix. Interessant ist der
Arbeitsgang S. 106ff., wo S. aus der unklaren, weil gleichartigen
Prädizierung Gottes und des Erlösers in den Oden
Salomos einen außerchristlichen, nämlich Tammuz-Ado-
nis-Einfluß postuliert. So festigt sich der anfangs noch
lockere Eindruck, daß a redeemer-myth ... apart from any
influence from Christianity (S.132) im vorchristlichen
Raum zu postulieren sei. Die Frage, wo dieser Mythus
gelehrt wurde, beantwortet S. in Kap.8 (S. 133-139):
in den Kreisen der psalmendichtenden Weisen. From the
milieu of this psalmography of the Wisdom school
aparently stem both the New Testament Christological
hymns and at least some of the Odes of Solomon (S. 135).
Die entscheidende theologische Frage ist dann (ähnlich
wie immer wieder bei E. Käsemann), wie die christliche
Gemeinde zu den Hymnen gekommen ist und gestanden
hat. S. schützt hierbei die Ergebnisse seiner Analyse:
Daß wir keinen ursprünglichen christologischen Hymnus
besitzen, zeige die kritische Stellung der neutestament-
lichen Autoren an (Zusätze, Abstriche)! Man übernahm
die Hymnen korrigiert, weil durch diese die Verdeutlichung
des Evangeliums in der Sprache der Zeit möglich
wurde.

Mir scheinen dabei mehrere grundlegende Erkenntnisse
der jüngeren Forschung deutlich zu kurz zu kommen:

1. Die jüngere Hymnenforschung steht im Zeichen einer
Reduktion. Man möchte die Bezeichnung „Hymnus" an