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Ausgabe:

1971

Spalte:

913-915

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kasting, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Anfänge der urchristlichen Mission 1971

Rezensent:

Hengel, Martin

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913

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

914

Kastlng, Heinrich: Die Anfänge der urchristlichen Mission.

Eine historische Untersuchung. München: Kaiser 1969.
158 S. 8° = Beiträge zur evangelischen Theologie,
Theologische Abhandlgn, hrsg. v. E.Wolf, 55. Kart.
DM 12,80.

Mit der Geschichte des Urchristentums gewinnt in der
neutestamentlichen Forschung der letzten Jahre plötzlich
wieder auch die Geschichte der urchristlichen Mission
neues Interesse. Dies ist leicht zu erklären: Unsere Quellen
stellen die Anfänge des Christentums als „Missionsgeschichte
" dar. Darin sind sich die echten Paulusbriefe -
im Gegensatz zu den Deuteropaulinen - und die Apostelgeschichte
des Lk ausnahmsweise völlig einig. Man ist
fast versucht, in Abwandlung des bekannten Käsemannwortes
die Mission als ,,Mutter aller christlichen
Theologie" zu bezeichnen, wobei die Formulierung
Käsemanns nach wie vor ihr Recht besitzt, denn das die
Mission begründende Ostergeschehen und die Naherwartung
der ersten Gemeinde waren „apokalyptische" Phänomene
. Auch die von H.Conzelmann betreute Göttinger
Dissertation von H.Kasting kommt zu einem ähnlichen
Urteil (vgl. S. 128ff.). Sie unterscheidet sich von manchen
anderen modernen Untersuchungen über die Geschichte
des Urchristentums durch ihre knappe und verständliche
Darstellung und ihr im ganzen nüchternes Urteil, das die
Lesbarkeit und den Wert dieser Studie erhöht.

Sie beginnt mit der obligatorischen Darstellung der
jüdischen Mission (11-32), die freilich nicht ganz befriedigt
, weil sie wesentliche Quellen und Literatur nicht berücksichtigt
hat und weder die örtlichen Unterschiede in
der jüdischen Missionsauffassung noch ihre Entwicklung
deutlich sichtbar werden läßt.

So vermißt man Hinweise auf das Corpus Insoriptionum
Judaicarum von Frey, das Corpus Papyrorum Judaicarum von
Tcherikover mit seiner vorzüglichen Geschichte der Diaspora
in Ägypten in Bd. I wie auch die grundlegende Untersuchung
desselben Verfassers „Hellenistic Civilization and the Jews",
weiter H.Y.Leon, The Jews of Ancient Bome, 1960; J.Neus-
ner, A History of the Jews in Babylonia I. The Parthian
Period 19692, 61-67 über die Bekehrung der Adiabene und das
Standardwerk von B.J. Bamberger, Proselytism in the Tal-
raudic Period 1939. Völlig unzureichend ist seine Darstellung
der „Freunde der Synagoge und Proselyten" (S.22ff.); hier
hätto er auf die moderne Diskussion über die „Gottesfürch-
tigen" eingehen müssen, s. L.H.Feldman, Jewish .Sympathi-
zers' in Classical Literature and Inscriptions, TAPA 81 (1950),
200-208 und H.Bellen, JAC 8/9 (1965/66) 171-176 sowie
L. Robort, Nouvolles Inscription de Sardes 1964, 41-45. Sie
wird weitergeführt von B. Lifshitz in dem ersten Heft der neuen
Zeitschrift Journal for the Study of Judaism 1 (1970), 77-84.
Die Vermutung von Kasting, daß es keinerlei jüdische Wander-
missionaro gegeben habe (20f.), scheint mir im Blick auf
Mt 23,15 (und Joh. 7,35, das der Vf. nicht erwähnt) unwahrscheinlich
zu sein. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2.Korin-
therbrief, sah hier den Sachverhalt richtiger - auch wenn er
dabei den Unterschied zwischen Diaspora und palästinischem
Judentum überbetont. Die jüdische Mission war oben nicht
oinlinig, sie hatte eine bestimmte Entwicklung. Grundlegend
waren dabei dio Privilegien Caesars und Augustus' sowie die
römische Pax Augusta. Hemmend wirkten später dio Einführung
des fiscus judaicus durch Vespasian und das Verbot
der Beschneidung durch Hadrian, das Antoninus Pius im
Duldungsedikt 139 n.Chr. nur für dio Juden aufhob. Der
eigentliche Höhepunkt der jüdischen Mission waren so die
100 Jahre zwischen Aktium und dem Jüdischon Krieg, wobei
zu beachten ist, daß die Römer dieselbe immer auch als politische
Bedrohung empfanden. Der ganze Komplex verdiente
eine eigenständige monographische Behandlung.

Diese ergänzenden Bemerkungen sollen den positiven
Gesamteindruck der Arbeit in keiner Weise abschwächen.
Die Unsicherheit in der Behandlung jüdischen Materials
ist eine verbreitete Erscheinung in der neutestamentlichen
Wissenschaft und begegnet nicht nur in Dissertationen.

Ausgangspunkt ist für den Vf. das Ostergeschehen. In
einer gründlichen Analyse zeigt er, daß das Sendungsmotiv
von Anfang an mit der Ostertradition verbunden
war (33-52). Bestätigt wird diese Beobachtung durch eine
Untersuchung der Berufung des Paulus (53-60), bei ihm
sind Auferstehungserscheinung und Apostolat untrennbar
verschmolzen. Diese Ausgangsbasis läßt den Rückschluß
auf das urchristliche Apostolat überhaupt zu. Mit Recht
charakterisiert der Vf. diesen Bereich als „ein Feld, ... auf
dem viele Hypothesen ihre phantasievollen Blüten treiben
". In seinem Ergebnis stimmt er, wie er selbst betont
(61), weitgehend mit der Arbeit von R. Roloff, Apostolat -
Verkündigung - Kirche, 1965, überein. Die Apostel sind
ein weiterer Kreis von Auferstehungszeugen, bei denen
eine Christophanie ihre Sendung begründete. Die „Zwölf"
waren dagegen ein engerer Kreis mit gemeindeleitender
Funktion, „trotzdem läßt sich kaum bestreiten, daß sie als
,Apostel' gegolten haben" (68). Der Apostelbegriff selbst
ist - wie schon Rengstorf nachwies und was man nie hätte
bestreiten sollen - palästinischen Ursprungs (71 ff.). Eine
Analogie bildet dazu der Missionsterminus tiuyyifaov,
für den Stuhlmacher ebenfalls einen palästinischen Hintergrund
nachgewiesen hat. Die missionarische Sendung
der Apostel wird so folgerichtig auf das Ostergeschehen
zurückgeführt. Damit ist die Meinung von Haenchen u.a.
widerlegt, daß die palästinische Urgemeinde in ihren Anfängen
keine echte Mission getrieben, sondern als apokalyptische
Sekte nur ganz im verborgenen gewirkt
habe. Mit dieser Hypothese, die in den Quellen keinerlei
Anhalt hat, würde die Entstehung des Urchristentums
und seine rasche Expansion zu einem völligen Rätsel.
Demgegenüber legt Kasting eine konsequente, einleuchtende
Begründung der Entstehung des Urchristentums
vor.

Ein weiteres Kapitel schildert die Entfaltung der Mission
in der urchristlichen „Gründerzeit" (82-123). Zwar
ist Galiläa der Ort der ersten Christophanien, doch findet
rasch eine Verlagerung des Gemeindeschwerpunktes nach
Jerusalem statt. Petrus ist der „Urmissionar", „aus seiner
Urmission ging die Kirche hervor" (86f.). Man wird jedoch
- gegen Kasting (89.124L) - weder ihm noch der
durch ihn begründeten Gemeinde „die Einsetzung eines
Zwölferkreises" zuschreiben dürfen. Erst recht ist es
unwahrscheinlich, daß die gesetzeskritische hellenistische
Gemeinde und damit auch die Anfänge der Heidenmission
ihre Anfänge in Galiläa hatten und daß Syrien von dort
aus missioniert wurde (91 ff.). Nach Josephus waren die
Galiläer durch die Grenzlandsituation für die Einflüsse
der hellenistischen Zivilisation wenig aufgeschlossen und
neigten eher dem radikalen Zelotismus zu, auch weiß
Paulus trotz seiner Bekehrung vor Damaskus nichts von
einer missionarischen Rolle der galiläischen Gemeinden,
maßgeblich ist für ihn allein Jerusalem. Die Vermutung,
daß „Galiläa dem Markus als Ausgangspunkt der Heidenmission
gegolten hat" (93), beruht auf einer Fehlinterpretation
der markinischen Aussagen. Leider hat der Vf.
die grundlegenden Untersuchungen von A. Alt über Galiläa
(Kleine Schriften II, 362-455, besonders 436-455) zwar
in seine Literaturverzeichnisse aufgenommen, aber im Ergebnis
zu wenig beachtet. Auch die Geschichte Galiläas
und seine Bedeutung in neutestamentlicher Zeit verdienten
eine neue monographische Untersuchung.

Es folgt die Darstellung der urchristlichen Judenmission
in Palästina (95ff.) und eine kurze Behandlung des
Stephanuskreises und der Hellenisten. Hier ist die Vermutung
einer Herkunft der Hellenisten aus Galiläa völlig
willkürlich, schon die rein griechischen Namen weisen
auf Rückkehrer aus der Diaspora hin. Über die Haltung
des ersten Jüngerkreises zum Tempel und Gesetz können
wir wenig sagen; daß hier die Verkündigung Jesu nachwirkte
, ist selbstverständlich, sonst wäre uns die Gesetzes-