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Ausgabe:

1971

Spalte:

908-910

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brandenburger, Egon

Titel/Untertitel:

Fleisch und Geist 1971

Rezensent:

Hegermann, Harald

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907

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

908

An die Petrusverleugnung schließt sich die Verspottung
an. Lukas rückt sie vor das Verhör, das er eng mit dem
Prozeß vor Pilatus verbindet; infolgedessen fällt Mk
14,65, und die Stellung der Verleugnung wird verändert.
Auch eine Geißelung und Mißhandlung durch römische
Soldaten berichtet, wohl aus apologetischen Gründen,
Lukas nicht, wohl aber eine zweite Verspottung durch
Herodes (23,11). Die bei Johannes ausgeführte Prügelstrafe
an Jesus (Joh 19,1-5) wird bei Lukas angekündigt,
bleibt aber unausgeführt (23,16.22). Die von ihm hergestellte
Folge Verleugnung und Verspottung enthält die
Vorstellung: Jesus wartet nach seiner Verhaftung im Hof
des hohenpriesterlichen Hauses auf seine Vernehmung.
Bei dem sich wärmenden Personal in der Mitte des Hofes
steht Petrus; an anderer Stelle verspotten die Wächter
Jesus. Die Szene gleicht mehr einer „Verspottung mit
einem Ratespiel" (Schneider 41) als einer Mißhandlung.
Die Imperfecta deuten auf die Gleichzeitigkeit mit der
Verleugnung hin. Den leugnenden Petrus trifft der Blick
des verspotteten Jesus. In der Darstellung der Verspottung
machen sich Einflüsse der Märtyrererzählungen bemerkbar
: Der Verhaftete wird bedroht und gewarnt,
aber er legt dem allem zum Trotz sein Bekenntnis ab.

Das Verhör findet am Morgen statt; die markinische
Nachtsitzung fehlt, ist aber Lukas bekannt, wie aus der
Einlage 22,64c und 69 hervorgeht. Er hat einen eigenen
Bericht, dem er den Vorzug gibt: Keine Gerichtsverhandlung
vor dem Hohen Rat mit dessen Todesschuldspruch,
sondern eine Vorverhandlung, die der Materialbeschaffung
für die Anklage vor Pilatus dient (vgl. dazu Lk 18,32
und 20,20 mit Mk 10, 33 und 12,13). So auch Johannes.
Schneider geht in einem Exkurs den damit gegebenen
historischen Problemen nach und untersucht alle zur
Verfügung stehenden Zeugnisse (211-220). In der Generalisierung
der Fragenden im Unterschied zu Markus komme
ältere Tradition zum Vorschein, zumal die Frage des
Hohenpriesters bei Markus inkonsequent sei. Das ist
bestreitbar: Da die Zeugen versagen, greift, um Jesus
nicht freilassen zu müssen, der Hohepriester ein; er will
Jesus zu einer Äußerung provozieren, der gegenüber alle
Anwesenden Zeugen sind (vgl. Mark. 14,63f.). Im Unterschied
zu Markus ißt die Frage des Hohenpriesters aufgegliedert
in eine Frage nach Jesu Messianität und nach
seiner Sohnschaft. Gibt es für eine Antwort auf die erste
Frage keine Möglichkeit einer Verständigung wegen des
unterschiedlichen Verständnisses vom Messias, so wird
die Frage nach der Sohnschaft bejaht. Zwischen beide
Aussagen wird aus Mk 14,63 die nach lukanischer Theologie
redigierte Erhöhungsaussage eingeschoben. Schneider
rechnet mit der Möglichkeit der Übernahme der Frage
nach der Sohnschaft aus Markus. Da aber Lk 22,67f.
nicht isoliert überliefert war, es sei denn lukanische Bildung
, erfordert es einen Zusammenhang, in dem es zu
Lukas gekommen ist. Er scheint uns in 22,67f.70.71 gegeben
zu sein.

Der Untersuchung ist eine Tafel (Nachdruck der Seiten
133f.) beigegeben, die durch unterstreichende Zeichen
die Textanalyse in ihren möglichen Ergebnissen festhält
; sie kann jedoch nicht wiedergeben, was literarische
Vorlage und gedächtnismäßige Reproduktion aus Gehörtem
oder Gelesenem ist. Denn wir werden uns die
Arbeit des Lukas nicht nur als Kompilation verschiedener
literarischer Vorlagen vorstellen dürfen, sondern müssen
mit dem mitgestaltenden lebendigen Gedächtnis rechnen.
Dann aber gewinnt Erzählweise und Gesamtgestalt ein
eigenes Gewicht gegenüber subtiler Literaturanalyse, die
von G. Sei neider in einer sorgfältigen, keine Mühe scheuenden
Weise geleistet wird. Wieviel dabei hypothetisch
bleibt, wird von ihm nicht verschwiegen.

Besonders wertvoll aber ist es, daß der Vf. über die
Einzelanalyse der drei Lukasperikopen hinaus einen Gesamtüberblick
über die theologischen Aussagen der luka-
nischen Passion gibt. Er wird aufgebaut auf dem theologischen
Gehalt der drei untersuchten Perikopen. Er
wird gewonnen aus dem Vergleich vor allem mit Markus
und aus der Gesamtkonzeption des Lukas-Evangeliums.
Grundlegende Gesichtspunkte sind dabei: Das Leiden des
Christus nach Gottes Plan, die Macht der Finsternis, Jesu
Verbundenheit mit dem Vater, der leidende Christus als
Vorbild, werbende Tendenzen, Apologie gegenüber Rom.
Im Zusammenhang mit der Erörterung des Verhörs wird
der Weg zu den Völkern - Übergabe an die Heiden - als
weiterer Gesichtspunkt hervorgehoben; auch die dem
Lukas eigene Art des Zusammenhanges von Tod und Auferstehung
samt Erhöhung erfordert eigene weitergehende
Beachtung. Diese Gesamterörterung macht auf die zentrale
Bedeutung der Gethsemane-Erzählung für das Verständnis
der lukanischen Passion aufmerksam. Während
bei Markus die „Agonie Jesu" auf das Kreuzesgeschehen
zusammengeballt ist, vor allem auf das Kreuzeswort
(15,34), wird sie bei Lukas in Gethsemane ausgetragen
(22,43f.) (vgl. bei Schneider vor allem S.188), so daß der
Weg Jesu über das Kreuz zur Herrlichkeit führt (24,7.
26.46; Apg. 2,22-24.33, zusammengefaßt in dem Begriff
der „Aufnahme" Lk9,51; Apg. 1,11.22, vgl. 1. Tim 3,16;
Mk 16,19). Dadurch aber wird Jesus frei, diesen Weg
beispielhaft voranzugehen. Das wirkt sich bereits in der
paradigmatischen Art der Gethsemane-Erzählung aus; sie
bestimmt die ganze Passionserzählung. Damit aber ist die
Aufgabe gestellt, die verschiedenen Konzeptionen der
Passions- und Osterberichte bei den vier Evangelisten auf
die theologische Aussagekraft ihrer unterschiedlichen
Eigenart hin zu vergleichen und ihren theologischen Gehalt
darzustellen. Vielleicht könnte das eine Basis sein
auch für eine neue traditionsgeschichtliche Analyse, zu
der G.Schneider einen wichtigen Beitrag geliefert hat.

Eisenach Walter Grundmann

Brandenburger, Egon: Fleisch und Geisl. Paulus und die
dualistische Weisheit. Neukirchen-Vluyn: Neukirche-
ner Verlag 1968. 243 S. gr. 8° = Wissenschaftliche Monographien
zum Alten und Neuen Testament, hrsg. v.
G. Bornkamm und G.von Rad, 29. DM 26,80; Lw.
DM 29,80.

Die vorliegende Untersuchung ist eine im Dezember
1966 angenommene Heidelberger Habilitationsschrift, die
für den Druck durchgesehen und um zwei Abschnitte erweitert
wurde („Apokalyptische Literatur", S. 60-85,
„Ergebnisse und Ausblick", S.222-235). Ziel der Arbeit
ist es, „anhand der leitenden Antithese von Fleisch und
Geist und des dazugehörigen Motivkomplexes eine neue
religionsgeschichtliche Vorarbeit für den Gedankenkreis
der sog. Mystik bei Paulus zu liefern" (S.222). Dem entspricht
die Anlage des Ganzen: Einem knappen Paulusteil,
der die Fragehinsichten klären, die eigentliche Paulusinterpretation
aber nicht vorwegnehmen soll (B. Der
Sprachgebrauch der Antithese sarx-pneuma bei Paulus in
seinen spezifischen Bezügen, S. 42-58) folgen zwei breite
religionsgeschichtliche Teile: ,,C. Das Gegenüber von
Fleisch und Geist in spätjüdischen Texten (außer Philo)"
(S.59-113) und „D. Der Gegensatz von Fleisch und Geist
bei Philo von Alexandrien im Hinblick auf das paulinische
Motivfeld" (S. 114-221). Vorangestellt sind eine for-
schungsgeschichtliche Einleitung (S.7-25) und „Methodische
Erwägungen" (S.26-41).

Mit Recht betont B. in den relativ breiten Vorbemerkungen
, daß der religionsgeschichtliche Vergleich ganze
Denkzusammenhänge erarbeiten und konfrontieren müsse
und auf die jeweilige Aneignung fremder Begrifflichkeit