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Ausgabe:

1971

Spalte:

905

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Longenecker, Richard N.

Titel/Untertitel:

The christology of early Jewish christianity 1971

Rezensent:

Schneider, Carl

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905

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 12

900

NEUES TESTAMENT

Loiigenecker, Richard N.: The Christology of early Jewish
Christianity. London: SCM Press [1970]. XI, 178 S.

8° == Studios in Biblical Theology, Second Series, 17.

Das Buch ist eine handliche, knappe, aber sorgfältige
Zusammenstellung der theologischen Grundbegriffe des
Judenchristentums. Allerdings schließt der Vf. etwas zu
voreilig von Qumran- und Nag Hammaditexten auf judenchristliche
Lehren und Institutionen; es ist immer gewagt
, eine geistige Größe aus einer anderen, vielleicht
auch noch so verwandten, rekonstruieren zu wollen, wenn
die Zwischenglieder fehlen. Abgesehen von diesen Partien
ist das Buch in der Hauptsache ein recht geschicktes
Referat über die wichtigsten Auffassungen vom Judenchristentum
, der Vf. hat ausgezeichnete Kenntnisse der
Sekundärliteratur. Bei der Darstellung selbst muß man
jedoch fragen, ob man wirklich alles Antipaulinische
judenchristlich nennen kann und Kirchenväter wie Justin
noch so weit in die Nähe des Judenchristentums rücken
darf, wie es der Vf. tut.

Zentral für das Judenchristentum ist nach dem Vf. eine
, ,angelomorphe" Christologie, welche ebenso oft bereits behauptet
und bestritten worden ist wie die These von einem
judenchristlichen Christus als Moses redivivus, der der Vf.
auch zuneigt. Judenchristlich sei die Terminologie vom
neuen Exodos unter der Führung des neuen Moses und
von Christus als dem Geber einer neuen Torah. Daß freilich
auch Begriffe wie archee ohne weitere Nachprüfung
und Berücksichtigung anderer Möglichkeiten - jede Ableitung
irgendeines Begriffes aus dem Griechischen wird
vom Vf. ohne den Versuch einer Erörterung diktatorisch
als „hellenistic Castles in the air" (S.8) abgetan - dem
Judenchristentum zugeschrieben werden, vereinfacht die
Problemlage allzusehr. Über die verschiedenen Aspekte
jüdischer Messianologie wird gut referiert, sehr fleißig
werden Auszüge aus aller modernen deutsch- und englischsprachigen
Literatur zur messianischen Terminologie
gesammelt.

Ein Vorteil des Buches ist, daß der Vf. selbst im Hintergrund
bleibt und keine neuen Thesen aufstellt. So gewinnt
der Leser einen raschen Überblick über die theologische
Arbeit zum Problem judenchristliche Theologie
während der letzten fünfzig Jahre. Alte Fragestellungen
wie solche nach dem messianischen Selbstbewußtsein
Jesu, Reichsgottesbegriff usw. werden gewissenhaft referiert
. Nachteilig wirkt sich jedoch der völlige Verzicht auf
griechische philologische Arbeit aus, besonders da, wo
Paulus herangezogen wird. Es sollte doch bei dem heutigen
Stand der Philologie nicht mehr möglich sein, mehr oder
weniger willkürlich einen griechischen Terminus ohne
Rücksicht auf eine immerhin wahrscheinliche Bedeutungswandlung
oder fremde Nuancierung mit einem nicht
einmal ganz sicheren hebräischen oder aramäischen Äquivalent
gleichzusetzen. Aber das ist ein alter und traditioneller
Fehler - in diesem Bereich wird auch in Zukunft
noch viel Arbeit nötig sein.

Speyer Rh. Carl Schneider

Schneider, Gerhard: Verleugnung, Verspottung und Verhör
Jesu nach Lukas 22,54-71. Studien zur luka-
nischen Darstellung der Passion. München: Kösel-Ver-
lag 1969. 245 S. gr. 8° = Studien zum Alten und Neuen
Testament, hrsg. v. V.Hamp, J.Schmid unter Mitarb.
v. P. Neuenzeit, XXII.

Die Frage, der sich die vorliegende Arbeit widmet,
richtet sich darauf, ob die von Markus abweichende Darstellung
der Passion Jesu durch Lukas auf eigene Bearbeitung
an Markus, veranlaßt durch seine theologischen
Absichten, zurückgeht oder ob ihm ein zweiter weiterer
Passionsbericht neben dem des Markus vorgelegen hat,
der seine Darstellung mitbestimmt hat, womöglich sogar
stärker als der des Markus. Für die erste der beiden Möglichkeiten
, Bearbeitung der Markuspassion durch Lukas,
hatte sich Jack Fiuegan, „Die Darstellung der Leidensund
Auferstehungsgeschichte Jesu" (1934), eingesetzt und
z.B. R.Bultmann zur Revision eines Urteils in der „Geschichte
der synoptischen Tradition" (Trad.290; Ev. d.
Joh. 497 Anm. 1) veranlaßt. Die Frage nach der Passionsund
Ostergeschichte ist zu unterscheiden und ist in ihrer
Behandlung unabhängig von der Frage einer proto-
lukanischen Theorie, wie sie durch B.H. Streeter zur
Diskussion gestellt wurde, und auch von der Frage eines
neuen geschlossenen Erzählers, wie ihn z.B. A. Schlatter
in seinem Lukaskommentar herausarbeitet. H. Schürmann
hat sich des Abendmahlsberichtes Luk. 22,7-38 angenommen
und eine eigene Überlieferung vorlukanischer
Art neben der des Markus festgestellt. K.G.Kuhn hat
Gleiches für den Gethsemanebericht (Ev. Th. 12,1952/53,
260-285) behauptet, was vonTh.Lescow (ZNW58,1967,
215-239) in selbständiger Weise weitergeführt worden ist.

F. Rehkopf untersuchte „Die lukanische Sonderquelle.
Ihr Umfang und Sprachgebrauch" (1959 von H. Schürmann
kritisch besprochen unter der Überschrift „Proto-
lukanische Spracheigentümlichkeiten" in BZ NF 5, 1961,
266-286), im Blick auf die Verratsansage und Verhaftung
Jesu. Entsprechend der Methode Schürmanns zum luka-
nischen Abendmahlsbericht setzt nun G. Schneider die
Erörterung der Einzelperikopen fort; mit seiner Studie
zu Verleugnung, Verspottung und Verhör ist nahezu das
ganze 22. Kapitel des Lukas monographisch bearbeitet
und zugleich eine Gegenposition gegen Finegan aufgebaut.

Schneider will bewußt die Arbeiten von Schürmann,
Kuhn und Rehkopf weiterführen (17); er setzt voraus, daß
Lukas den Markus gelesen hat, aber „auch nicht-mar-
kinische Vorlagen oder Traditionen (möglicherweise sogar
mit Vorrang) benutzt haben kann" (26). Die Ergebnisse,
zu denen seine umfassende und sorgfältig abwägende
Untersuchung führt, können zusammengefaßt in folgender
Weise ausgesagt werden. Eine nichtmarkinische und
zugleich vorlukanische Vorlage für Lukas wird sichtbar im
Mahlbericht (22,14-38) und im Bericht von Verhaftung -
Verspottung - Verhör; wir würden meinen, auch im
Gethsemanebericht. Sie ist jedoch nicht in einer vor-
lukanischen Kurzform zu suchen, da diese erst mit der
Verhaftung beginnt, sondern in einer Langform, die nach

G. Schneider mit dem Einzug anfängt, die Vollmachts-
perikope enthalten hat (20,1-8) und über Verspottung
und Verhör hinaus sich bis in die Ostergeschichte fortsetzt
(141-145). In diesem Zusammenhang sind aus der
Markuspassion von Lukas übernommen, bearbeitet und
in seine nichtmarkinische Vorlage eingelegt worden: Verratsansage
(22,21 f.), Verleugnungsansage und Verleugnung
(22,33f.54b-62). Luk.22,31 f. und 33f. gehören verschiedenen
Vorlagen an: aus dem nichtmarkinischen
V. 31 f. kann nicht mit Sicherheit eine eigene Verleugnungsgeschichte
postuliert, aber auch nicht ausgeschlossen werden
. Der lukanische Verleugnungsbericht steht zwischen
dem des Markus und des Johannes, die Schneider mit
Recht als die profiliertesten bezeichnet (45). Er ist nicht
nur eine Abschwächung des Markusberichtes im Sinne
einer Schonung der Jünger, sondern er sieht die Verleugnung
wie der johanneische Bericht nicht als Verleugnung
Jesu, sondern als Verleugnung der Jüngerschaft
durch Petrus („ich bin es nicht" Luk.22,58 und Joh.
18,17.25). Hier scheint mir ein von Markus abweichendes
Verständnis der Verleugnung, das Lukas und Johannes
gemeinsam ist, sich abzuzeichnen (zu den Motiven der
lukanisehen Markusbearbeitung Schneider 152).