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Ausgabe:

1971

Spalte:

878-880

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Titel/Untertitel:

[Anmerkungen] 1971

Rezensent:

Hendrix, Scott H.

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 11

878

Die erste und allgemeinste Beobachtung ist dabei die, daß
nahezu ausschließlich alle in protestantischer Zeit gemalten
Bildmotive in unmittelbarer Korrespondenz zur Bibel
stehen. Die Masse der aufgefundenen Bildbelegc stellen
Zyklen „biblischer Historie" zwischen der Schöpfungsgeschichte
und dem Jüngsten Gericht dar. Der Bibel entnommen
sind aber auch die gemalten Motive der Bilderwclt
der barocken Embleme, wobei dann hier allegorische Umwandlung
alttcstamentlichcr Prophetensprüche oder neu-
testamcntlichcr Paulusworte und Ähnliches mehr üblich
ist. In ihrer reinsten — vielleicht in Württemberg auch in
ihrer frühesten — Form drückt sich die Herrschaft der
Bibel aber dort aus, wo das gemalte Bibelwort selbst zum
Gegenstand protestantischer Ikonographie avanciert.

Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens gilt unser eigentliches
Interesse aber der Geschichte der Deutung der Bibel
selbst, wie sie sich in der Wahl der plastisch dargestellten
oder gemalten Bildmotive widerspiegelt. Im Mittelpunkt
der Botschaft der Bibel steht dabei zunächst ganz
eindeutig der Hinweis auf Christus und das von ihm geschaffene
Heil. Auf Christus bezogen, werden die Typoi
des Alten Testamentes ins Spiel gebracht. Vom Christus-
geschchen aus findet der Rückblick auf den Anfang der
Welt und auf den Sündenfall als Umschreibung der Wirklichkeit
des erlösungsbedürftigen Menschen statt, ebenso
wie der Ausblick auf das, was am Jüngsten Tag noch
kommen wird. Der Christus, der dabei vor Augen gemalt
wird, ist primär der souverän agierende Herr, wie dies am
deutlichsten das gesamte Heilshandeln Christi zu einem
Gemälde zusammenfassende Allegorien beweisen und
schriftlich erhaltene Bilderpredigten parallel dazu noch
einmal bestätigen. Gleichfalls dem Hinweis auf Christus
untergeordnet, erscheint die riesige Schar der biblischen
Zeugen, die die Hauptmasse aller Bilder und Bildwerke
'n den erfaßten Kirchen überhaupt ausmachen. Eine dritte
Motivgruppe tritt freilich nur lose verknüpft daneben. Sie
bedient sich biblischer Excmpelgeschichten, biblischer Figuren
, gelegentlich auch der humanistischem Denken verpflichteten
Tugcndallcgorien, um sie als Modelle christliehen
Wohlvcrhaltcns vor Augen zu führen. Der Hintergrund
einer ständisch gegliederten Gcsellschaftsstruktur
schimmert mehr als deutlich hindurch; die Mahnung zu
treuer Berufsausübung spielt neben allgemein weltlichem
Wohlvcrhalten im Sinn der 10 Gebote die dominierende
Rolle. — Mit dem Schwerpunkt der Entwicklung nach dem
30jährigen Krieg verschieben sich die Akzente. In der
-Kabbalistischen Lehrtafel" der Prinzessin Antonia in Bad
Teinach, in den Emblemen, vorlaufend schon in dem Entwurf
Johann Valentin Andrcaes in Vaihingen Enz, der
u- a. die Profangeschichtc in die Betrachtung miteinbezieht,
wird die Welt als Gegenstand lcidvoller Auseinandersetzung
für die Frömmigkeit relevant. Die biblische Bilderreihe
erhält gelegentlich Hinweise auf ihre aktuelle Bedeutung
für den sie betrachtenden Kirchenbesucher, unter
dem Kreuz kniende Allegorien der frommen Seele beginnen
eine Rolle zu spielen; überhaupt prägt auf breiter
Front jetzt die Wiedergabe des leidenden Christus die
Bilder der Heilsgeschichte bis hin zu bildhafter Wiedergabe
der Marterwerkzeuge. Schriftliche Parallele zu den
gemalten Bildern bietet jetzt weniger die Predigt als vielmehr
die Erbauungsliteratur. Himmel und Hölle werden
a's Alternativen menschlichen Lebensausganges nebenein-
andergcstellt. Sogar das Motiv der Himmelssehnsucht in
der Gestalt des geöffneten Kirchenhimmels sucht man im
Anschluß an die barock-katholischen kirchlichen Decken-
9emä!de zu adaptieren. — Löst sich die Einheitlichkeit der
Bildüberliefcrung auch auf, eine alles zur Einheit zusammen
schließende Absicht bleibt dennoch erkennbar: den
Bildbetrachter selbst auf jede nur mögliche Weise in seinem
Innersten zu bewegen und zu verändern. Die Dring-
"el'kcit dieses Appells läßt sogar die gesonderte ethische

Mahnung vergessen, die wir erst wieder gegen Ende des
18. Jahrhunderts in Einzelfällen, dann freilich plötzlich
in überraschender Ausführlichkeit entfaltet, wiederfinden.

Hcndrix, Scott H.: „ECCLESIA IN VIA: Ecclesiological Developments
in the Medieval Psalms Exegesis and the
Dictata super Psalterium (1513—1515) of Martin Luther".
Bd. I (1-178): Text. Bd. II (S. 279-465): Abkürzungen,
Anmerkungen, Literaturverzeichnis. Diss. Tübingen 1970.

Im ersten Teil der Arbeit werden drei in den mittelalterlichen
Psalmenkommentaren zentrale ekklesiologi-
sche Themen untersucht: 1. Das Verständnis der Kirche
als congregatio fidelium; 2. das Verhältnis zwischen eccle-
sia militans und ecclesia triumphans; 3. das Problem des
Verhältnisse zwischen ecclesia und synagoga. Die Auswahl
der mittelalterlichen Psalmenkommentare wurde — abgesehen
von Jacobus Perez von Valencia - auf diejenigen
begrenzt, die Luther selber kannte, die sich aber auch als
die wichtigsten Psalmcnauslegungen der Tradition bewährt
haben. Um eine angemessene Textbasis innerhalb
dieser Psalmenkommentare zu finden, wurde eine relativ
große Zahl von Psalmen verschiedener Gattung ausgewählt
. Darüber hinaus wurden einzelne ekklesiologische
Aussagen zu anderen Psalmen wie auch solche nicht-exegetischer
Quellen herangezogen.

Im zweiten Teil der Arbeit werden die gleichen Themen
in Luthers Dictata unter ständigem Rückbezug auf die Ergebnisse
des ersten Teils behandelt. Dabei wird der Versuch
unternommen, Aspekte der Kontinuität bzw. Diskontinuität
zwischen der mittelalterlichen exegetischen Tradition
und Luthers Dictata in bezug auf die drei Themen
zu zeigen.

Es stellt sich heraus, daß Luther wie die Tradition vor
ihm zum Kern der Kirche die wahren fideles rechnet, die
eine „minichurch" innerhalb der Gemeinschaft der Getauften
bilden. Weitere Kontinuität zeigt sich in dem engen,
wechselseitigen Verhältnis zwischen der anima fidelis und
dem populus fidelis, das bei Luther und seinen Vorgängern
der engen Verbindung zwischen Soteriologie und
Ekklesiologie zugrunde liegt. Darüber hinaus übernimmt
Luther noch andere ekklesiologische Kategorien und Modelle
von den mittelalterlichen Exegeten i z. B. den Parallelismus
zwischen den Juden, den Häretikern und den
mali christiani und den wichtigen Begriff der synagoga
fidelis. Trotz dieser Kontinuität zeigen aber die Dictata
auffallend neue ekklesiologische Inhalte. Am bedeutendsten
ist wohl Luthers neue Bestimmung der wahren fideles
durch ihren Glauben und ihre Hoffnung auf Gottes
Verheißungen statt durch ihre Caritas, die für die exegetische
Tradition seit Augustin maßgebend war. Nicht weniger
wichtig ist Luthers Vorstellung vom Verhältnis zwischen
der ecclesia militans und der ecclesia triumphans
als einem testimonium- statt einem imago-Verhältnis wie
in der Tradition. Schließlich ist nicht zu übersehen, wie
Luther die fides futurorum der synagoga fidelis auf die
wahren fidelis in der Kirche überträgt, die deren spezifischem
Merkmal — der fides — eine vertiefte Dimension
verleiht.

Da in der Anwendung von bestimmten ekklesiologischcn
Kategorien und Modellen durch die mittelalterlichen Kommentatoren
sich eine gewisse Übereinstimmung abzeichnet,
können im Rahmen der Arbeit diese und andere Aspekte
der Kontinuität bzw. Diskontinuität zwischen Luther und
seinen Vorgängern gezeigt werden. Die Arbeit weist auch
darauf hin, wie sich in Luthers neuer Ekklesiologie in den
Dictata Schwerpunkte bilden, die eine wichtige Rolle im
Streit mit dem Papsttum spielen und spielen werden. U. a.
wird deutlich, wie Luthers Bestimmung der wahren fidc-