Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

823-826

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stemberger, Günter

Titel/Untertitel:

La symbolique du bien et du mal selon Saint Jean 1971

Rezensent:

Luz, Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

823

Theologische Literaturzeitung 9ß. Jahrgang 1971 Nr. 11

824

Kap. 8 (119—126), „Der Geist-Paraklet in der johannei-
schen Polemik": Johannes bekämpft eine häretische Identifizierung
des Erzengel Michael mit dem wahren Geist Gottes
und Christi.

Kap. 9 (127—148), „Die Gegenwart des Geist-Paraklet in
der Kirche" behandelt dessen Gegenwart in deren Mitgliedern
und Leitern.

Kap. 10 (149—154), „Die Gegenwart des Geist-Parakleten
in der Kirche", spricht von den in dieser Geistigkeit („spi-
rituality") liegenden Gefahren.

Anhang 1 (155-161), „Der literarische Aufbau des Joh":
(1) Der Prolog (1,1—18) j (2) Die Auseinandersetzung mit
den Juden (1,19—11,54); (3) Das geheime Wirken („The Sekret
ministry") (11,55—17,26); (4) Die Vollendung einer
Mission (18,1-20,31); (5) Anhang (31,1—25). — Die Geist-
Paraklet-Sprüche gehören besonders zu (3), einem Teil, der
vor der Passion in Jerusalem spielt.

Anhang 2 (162—171) gibt es eine literarische Analyse
von Joh 13-17. Eine ausgewählte Bibliographie mit 36
Nummern (172 f.), ein Index zitierter Stellen (174—190)
und ein Index von Begriffen (191 f.) beschließen das Buch.

Der Vf. setzt sich vor allem mit der Schrift von Otto Betz
auseinander: „Der Paraklet. Fürsprecher im häretischen
Spätjudentum, im Johannes-Evangelium und in neu gefundenen
gnostischen Schriften", Leiden 1963. Betz hatte
angenommen, Joh 14,26 spreche von einem „anderen Para-
kleten" also einer anderen Person, die Jesu Werk fortsetzen
werde. Damit sei Michael gemeint, der Widersacher Satans
in Offb. 12,7 und Judas 9, der aber zugleich eine überpersönliche
himmlische Macht ist.

Dagegen setzt der Vf. sein Bild der Lage: Joh bekämpfe
gerade eine solche Engellehre. Joh 14,26 werde „ein anderer
als Paraklet" verheißen, nämlich der Geist der Wahrheit,
der Geist Gottes und Christi, der sich in gewissen hervorragenden
Leitern der katholischen Kirche verkörpert. Er
leitet sie als „Exeget, Lehrer und Evangelist, Prophet, Tröster
in Sorge und Zeuge der Verteidigung in Verfolgungszeiten
" (S. 149). Der Vf. verhehlt nicht seine Besorgnis, daß
die johanneische Geistlehre einige höchst gefährliche Elemente
enthält: die Versuchung einer anmaßenden „Wirwissen
alles'-Haltung, die schon der johanneische Jesus in
einem Grade zeige, daß er dem Leser als unmenschlich erscheinen
kann (149). Einer solchen Kirche drohe die Gefahr
, daß sie sich als solche für eine „sündlose Gesellschaft"
hält, die zur unfehlbaren Wahrheit Zugang hat (151). Das
vierte Evangelium neige zur Übertreibung, übersehe die
sozialen Bedingungen der antiken Welt, verfalle freilich
nicht dem apokalyptischen Pessimismus. Johnston bekämpft
zwar (61—79) Boismards These, der Evangelist Lukas habe
aus der ursprünglichen johanneischen Tradition eine Art
Proto-Johannes gestaltet (RB LXIX 185—211), aber er tritt
dafür ein, daß der Schreiber des 1. Joh in späteren Jahren
das vierte Evangelium geschaffen habe. Daß dieser Briefschreiber
, obwohl er sich johanneischer Begriffe bedient,
eine völlig andere Theologie vertritt als der vierte Evangelist
, davon hat C. H. Dodd den Vf. leider nicht überzeugen
können. Von einer Polemik gegen einen Michaelskult hat
der Referent im vierten Evangelium noch nichts entdecken
können, dagegen manche gute Beobachtung des Vf. sich
dankbar angeeignet.

Münster/Westf. Ernst Haenchen

Stemberger, Günter: La symbolique du bien et du mal
selon saint Jean. Paris: Editions du Seuil (1970). 274 S. 8"
= „Parole de Dieu".

Der Vf. dieses Buches ist Österreicher, sein Buch eine
unter der Leitung von X. Leon-Dufour in Lyon angefertigte,
aber 1967 der Theologischen Fakultät Innsbruck eingereichte
, überarbeitete Dissertation. Eine „these de profes-

seur d'universite" unter dem Titel „Lc Corps de la resur-
rection dans le monde juif et dans le Nouveau Testament"
desselben Vf. ist in Aussicht gestellt.

Vielleicht das Wichtigste an dem hier vorliegenden Buch
ist, daß der Vf. den Symbolbegriff für die Interpretation
des Johannisevangeliums fruchtbar macht. Für die Interpretation
des Johannesevangeliums mit seiner geschlossenen
und geprägten Terminologie hat sich ja bekanntlich
die konsequente Konfrontation mit einer ebenso geschlossenen
philosophischen Begrifflichkeit oft schon als fruchtbar
erwiesen. Man denke an die platonisierende Interpretation
Dodds oder an die existentiale Interpretation
Bultmanns. Der vom Vf. herangezogene Symbolbcgriff
scheint wesentlich auf Konzepte Paul Ricoeurs zurückzugehen
, dessen Hermeneutik im deutschen Sprachgebiet noch
kaum bekannt ist1. Die wesentlichsten, vom Vf. in der Einleitung
(S. 11—21) notierten Wesenszüge des Symbols sind:
1. Ein Symbol ist eine lebendige „ausdrucksstarke Raffung"
(S. 15) eines oft unbewußten und nie ganz sagbaren machtvollen
Sachverhaltes. 2. Es ist offen zum Absoluten, sehr
oft religiös. 3. Es ist dynamisch, kraftvoll, zupackendes
Wort. Diesen Symbolbegriff wendet Stemberger nun auf
die johanneische Ethik an.

In einem ersten Hauptteil untersucht er den johanneischen
Dualismus. In verschiedenen Kapiteln werden die
Gegensatzpaare „Licht-Finsternis" (S. 25 ff.), „Leben—Tod"
(S. 51 ff.), „Knechtschaft—Freiheit" (S. 73 ff.), „oben-unten"
(S. 87 ff.), „Liebe-Haß) (S. 103 ff.) und „Wahrheit-Lüge"
(S. 119 ff.) behandelt. Der zweite Hauptteil bestand dynamische
Symbole, nämlich die Symbole des Kampfes um
den Sieg über die Sünde. Hier werden einige Motive oder
Begriffe untersucht, die keinen direkten Gegensatz innerhalb
des johanneischen Dualismus haben, nämlich die Symbolik
des Wassers anhand von Joh. 13,1 ff. Joh. 4,1 ff., Joh.
7,37 ff. und 19,34 (S. 149 ff.), Symbole innerhalb der johanneischen
Christologie, die auf die Überwindung des Bösen
zielen, vor allem der Ausdruck „Lamm Gottes" und die
johanneischen Passionsgeschichte (S. 171 ff.), sowie mit dem
Gerichtsgedanken zusammenhängende Symbolik (S. 211 ff.).
Eine Zusammenfassung (S. 239 ff.), ein Blick auf einen
offenbar größeren Leserkreis knapp gehaltenes Literaturverzeichnis
, ein kleines, dem Nichttheologcn willkommenes
Namen- und Schriftenlexikon sowie Register schließen
den ansprechenden Band ab.

Es ist klar, daß bei der Fülle des behandelten Stoffes
und dem verhältnismäßig knappen Raum der Wert dieses
Buches nicht primär in eingehenden exegetischen Detailanalysen
oder im beigebrachten religionsgeschichtlichen
Vergleichsmaterial liegen kann. Der Leser wird vielmehr
zunächst ganz einfach daran interessiert sein, was die Anwendung
des Symbolbegriffcs auf das Johannesevangelium
heuristisch erbringt und welche hermeneutischen Konsequenzen
daraus zu ziehen sind. Und gerade an diesem
Punkt scheint mir der Ertrag des Buches verhältnismäßig
mager. Über den symbolischen Charakter seiner Begriffe
und Motive spricht der Vf. fast nur in den jeweiligen Einleitungen
seiner Kapitel, wenn er beweisen muß, daß er in
einer Arbeit über die Symbolik der Ethik des Johannesevangeliums
diesen oder jenen Begriff zu Recht herbeizieht
. In diesen Einleitungen finden sich dann auch hilfreiche
Erkenntnisse: Die einzelnen Begriffe lassen sich als
solche nicht scharf bestimmen, sondern stellen verschiedene
„Zugangswege" zum Wesen des Guten oder Bösen dar
(S. 21). Die untersuchten Begriffe und Motive haben alle
das gemeinsam, daß sie ihre volle Wirklichkeit nur in Gott
bzw. Christus haben: Gott ist die Liebe oder das Licht,
Christus ist die Wahrheit oder das Leben (S. 103. 151. 243 f-
etc.). Von daher muß der ethische Gebrauch dieser Begriffe
als symbolisch bezeichnet werden. Aus dem symboli'
sehen Charakter der ethischen Termini ergibt sich auch,
daß zwischen Ethik und Dogmatik nicht getrennt werden