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1971

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 1

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eine positivere Auslegung im Zeichen heutiger christlicher
Selbstkritik zu geben. Letzthin läuft doch auch Scherers
schönes Buch auf eine ähnliche Würdigung hinaus.

Martin Doerne t

Beckmann, Heinz: Keine Antwort auf die Pest? Ionesco:
.Triumph des Todes' (Lutherische Monatshefte 9, 1970
S. 215-216).

Engel, James E.: Renaissance, Humanismus, Reformation.
Bern-München: Francke-Verlag [1969]. 80 S. gr. 8° =
Handbuch der deutschen Literaturgeschichte. II. Abt.:
Bibliographien, hrsg. v. P. Stapf, 4. Lw. DM 14.—.

Müller, Joachim: Der Lyriker Georg Trakl und sein Werk
(Universitas 25, 1970 S. 35—48).

Schmidt, Erik: Noch einmal: Goethes „Torquato Tasso"
(Freies Christentum 22, 1970 Sp. 46-47).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Mildenberger, Friedrich: Theologie für die Zeit. Wider die
religiöse Interpretation der Wirklichkeit in der modernen
Theologie. Stuttgart: Calwer Verlag [1969]. 168 S. 8°. Kart.
DM 10.—.

Schon der Titel zeigt die Herausforderung an, die dieses
gar nicht besonders umfangreiche Buch für die augenblicklich
herrschende Hauptströmung in der Theologie bedeuten
mufj. Stimmt sie fast durchweg der „dialektischen
Theologie" den „Grabgesang" an, „da sie der Zeit nicht gewachsen
sei" — der Vf. äußert die Vermutung, gerade „hier
die Gedanken zu finden, die in die Zukunft weisen können"
(116). Barth und Bultmann und, mehr zwischen den Zeilen,
Bonhoeffer bieten die Ansätze einer wirklichen „Theologie
für die Zeit". Repristiniert sie in einigen Vertretern ausdrücklich
ein „religiöses Apriori", während sich andere Bon-
hoeffers Forderang nach nichtreligiöser Interpretation verschrieben
haben, dieser Gegensatz ist Schein (und Bonhoeffer
ist in seiner eigentlichen Intention nicht erfaßt) — der
Vf. unternimmt es nachzuweisen, daß diese Strömung durchweg
, bewußt oder unbewußt, zurückgekehrt ist zu einer
„religiösen Interpretation der Wirklichkeit", wie sie für
das 18. und 19. Jahrhundert kennzeichnend war. Sie, die
sich so progressiv geriert, ist in ihrem theologischen Kern
in Wahrheit regressiv; das Movens ihrer scheinbaren Modernität
ist in Wahrheit der Versuch einer apologetischen
Domestizierung der Tendenzen unserer Zeit. Sie preist sich
zwar als „Theologie für die Zeit" an, kann aber dieses Versprechen
eben deshalb nicht einlösen, weil sie „die Wirklichkeit
der Welt und des Menschen" „religiös" zu interpretieren
unternimmt in der Absicht, auf diese Weise ihre
„Angelegenheit auf Gott" und am Ende auf die „christliche
Tradition als ihre Erfüllung", durchaus im Gegensatz zum
Selbstverständnis einer steigenden Zahl von Zeitgenossen,
„einsichtig" zu machen (136). Wirkliche „Theologie für die
Zeit" kann weder so blind an „unsere(r) religionsfremde(n)
und religionslose(n) Zeit" (137) vorübergehen noch die
Wahrheit der biblischen Botschaft so allgemein einsichtig
zu machen versuchen. Das eine verbietet die „Zeit", in der
wir leben, das andere das biblische „Kerygma", an das
christliche Theologie gewiesen ist. „Wider" eine „moderne
Theologie", die eben das verkennt, wendet sich das Buch,
indem es gleichzeitig für eine wirkliche, die Gegenwart
ohne apologetische Hintergedanken ins Auge fassende, an
ihrer Sache orientierte „Theologie für die Zeit" plädiert.

Im einleitenden Abschnitt formuliert der Vf. im Rückblick
auf die altlutherische Orthodoxie in ihrer Darstellung
durch Ratschow zunächst das Problem. Dessen gleichzeitige
„vorsichtige Versuche einer Aktualisierung" der orthodoxen.

teleologisch miteinander verbundenen „Unterscheidung einer
natürlichen und übernatürlichen Gotteserkenntnis" bagatellisieren
die folgenschwere Bedeutung der die Orthodoxie
ablösenden Aufklärung für die Moderne. Sie sprengte
nämlich die orthodoxe «Einheit" von „natürlicher" und
„übernatürlicher" Gotteserkenntnis, indem sie die biblische
Gottesoffenbarung abstieß und die natürliche Gotteserkenntnis
verselbständigte. Diese Verselbständigung ist irreversibel
. Das müßte bei einer theologischen Reklamierung
der natürlichen Gotteserkenntnis heute viel sorgfältiger in
Rechnung gestellt werden, als es geschieht. Sieht man den
„Widerhall" auf „das theologische Schlagwort vom Tode
Gottes" als signifikant für die Gegenwart an, dann stellt
sich sowohl die Frage nach der „Stabilität" einer derartig
verselbständigten, natürlichen Gotteserkenntnis, als auch
und vor allem die nach der Möglichkeit einer Theo logie,
die diesen Namen verdient und verantwortet, sofern sie sich
weiter von ihr abhängig macht (12 ff.). Das in der Proklamation
vom „Tode Gottes" zutage tretende Ergebnis dieser
Verselbständigung stellt die Theologie heute exakt vor folgende
Frage: „Wie wird sich eine evangelische Theologie,
die sich zugleich der biblisch-christlichen Tradition und der
Wahrheit ihrer Zeit verpflichtet sieht, mit dem Sachverhalt
auseinandersetzen, daß die natürliche, rationale Gotteserkenntnis
sich aus der Klammer der Offenbarungsautorität
gelöst hat, in sich selber aber nicht zu bestehen vermag?"
(16) Sie gehörte schon zu den „unerledigten Fragen des
neunzehnten Jahrhundert" und begleitet seine gegenwärtige
theologische Restauration wie ein Schatten, nur, infolge
der inzwischen fortgeschrittenen Entwicklung, noch viel
dringlicher und unabweisbarer. Wer — wie Zahrnt in „Die
Sache mit Gott" — diesen Hintergrund ausspart, muß sowohl
zu sachlichen Fehlurteilen kommen als auch die Aufgabe
der Theologie der Gegenwart verfehlen.

Der erste in der folgenden Reihe von Namen, denen
jeweils ein Abschnitt gewidmet ist, ist Lessing. Seine knappe
, aber prägnante Darstellung hat deshalb besonderes Gewicht
, weil er zum Exempel für die Verselbständigung der
natürlichen Gotteserkenntnis durch die Aufklärung wird.
Das Schlüsselwort heißt: „autonome Vernunft". Sie wirft
sich von jetzt ab mit „herrischem Unterton" zum Richter
über die „Wirklichkeit" auf. Das hat zur Folge: Der „Indikativ
des Gotteshandelns zum Heil des Menschen" wird
„als zufällige Geschichtswahrheit abgewertet" und damit
das biblische Offenbarungsverständnis ausgeschieden. Offenbarung
wird statt dessen zur „Ausdrucksform für vernünftige
Entdeckungen Einzelner, die dem Gang der Entwicklung
vorauseilen", m.a.W. für die Selbstinthronisation
der zur Offenbarungsquelle qualifizierten Vernunft. Sie
tritt als neue „Autorität" an die Stelle der biblischen Offenbarung
, von der sie sich als heteronomer „Autorität" „nicht
mehr behelligen" lassen will. Blind gegenüber ihrer eigenen
Rolle „disqualifiziert" sie deshalb den Glauben an die biblische
Offenbarung „als ein Fürwahrhalten auf Autorität
hin". Indem sie einsetzt am „Gesetz des eigenen menschlichen
Wesens", an der „Frage nach der Verwirklichung
des Menschen", verfügt sie, daß inhaltlich lediglich „der
Imperativ der Liebe, der Imperativ der Mitmenschlichkeit"
zu gelten habe. Das bedeutet: Indem sie einsetzt bei einem
optimistischen Menschenbild, vertraut sie auf die „Kraft"
des ethischen „Imperativs". Der Vf. fragt: „Hat der Imperativ
der Liebe ... die Kraft, die menschliche Wirklichkeit
zu bestimmen?" (18 ff.) — Zwar übernimmt Schleiermacher
nicht einfach „Lessings selbstgewisse Vernünftigkeit mit
ihrem Widerspruch gegen die Kontingenz des Geschichtlichen
". Vielmehr versucht er, „eine geschichtliche Vermittlung
der Offenbarung zu denken". Aber auch ihm geht es
darum, daß in der „Religion" sich der Mensch nicht einer
heteronomen Autorität beugt, sondern sich „auf die unmittelbare
Erfahrung", das „eigene Erleben", das „unmittelbare
Selbstbewußtsein", auf eine genuine, ihm „wesentliche