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1971

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 11

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sein, doch findet sich neben einer oft recht geschickten Darstellung
vor allem des Symbolbesitzes der Religionen manche
originelle Formulierung, so wenn etwa das Scheitern
der prophetischen Religion damit begründet wird, daß in
ihr zu viel kollektive Geschichte und zu wenig religiöser
Individualismus vorhanden sei. Ob sich beides freilich so
scharf trennen läßt, ist eine andere Frage.

Aufs ganze gesehen, ist das Buch unbefriedigend. Es
legt ein vorher entworfenes Schema (model) an die religiösen
Fakten und biegt sie danach zurecht. Wo das nicht
geht, referiert es nur (wie etwa in den letzten Kapiteln).
Aber die Erscheinungen sind vielfältiger, reicher „geistiger
", und entziehen sich bloßen rationalen Definitionen.

Speyer Rh. Carl Schneider

Tschirch, Fritz: Spiegelungen. Untersuchungen vom Grenzrain
zwischen Germanistik und Theologie. Berlin: Erich
Schmidt [1966]. 277 S. 8". Lw. DM 39.-.
Dieser Band ist zum 65. Geburtstag des Vf. erschienen.
Er ist in drei Hauptteile gegliedert: I: Gotteswort und
Menschenwort (mit 4 Abhandlungen, von denen nachher
ausführlicher zu sprechen ist, S. 7—122); II: Das Selbstverständnis
des mittelalterlichen deutschen Dichters (123-166);
III: Figurale Komposition in mittelalterlicher deutscher
Dichtung (167—276) mit fünf Abhandlungen: über 33/34
als Symbolzahlen Christi in Leben, Literatur und Kunst des
Mittelalters, über Schlüsselzahlen, über literarische Bauhüttengeheimnisse
, über Maria und die Rundzahl 1000,
über Gregorius den h e i 1 a e r e .

Hier soll jedoch ausführlicher nur über den ersten Hauptteil
berichtet werden, weil die Fragen der Sprache unsere
besondere Aufmerksamkeit haben. Das größte Stück ist die
erste Abhandlung „Religion und Sprache / Bestandsaufnahme
ihres wechselseitigen Verhältnisses" (7—52). Tschirch sagt
„Religion", handelt aber zumeist vom Christentum, zieht
jedoch auch das vorangegangene Heidentum heran.
Er gliedert: I. Wirkungen der Religion auf die Sprache, II.
Wirkungen der Sprache auf die Religion. Unter I. bespricht
er zunächst die Frage des Gottesnamens, danach die Wirkungen
auf den Wortschatz überhaupt, auf Wortfügungen
und Lautgcstalt. Unter II. handelt er zunächst von der Beeinflussung
religiöser Inhalte, danach von Um- und Neuformung
religiöser Vorstellungen. Wenn die Theologie einmal
so weit gekommen sein wird, daß sie erkennt, wie
grundlegend die Sprache (die Muttersprache) für Erkennen
und Denken ist, dann wird sie auf solch eine Abhandlung
zurückgreifen müssen.

Hier habe ich nur eine einzige kritische Anmerkung zu
machen: Besessenheit ist keine Krankheit, ist kein psychiatrisches
Phänomen (wie S. 26 behauptet), sondern eine
parapsychologische und pneumatologische Erscheinung. Gemeint
ist die echte Besessenheit, nicht was „man" so bezeichnet
hat. Dazu vgl. die Monographie des Parapsycho-
logen Prof. Tr. Konst. Oesterreich „Die Besessenheit" (1921),
403 S. Dieser kann parapsychologisch nicht erklären, wie
einer besessen wird noch wie er wieder frei wird. Vgl.
auch des Rezensenten Wörterbuch „Das Wort in den Wörtern
" (1965) S. 155. Gerade ein christlicher Psychiater kann
hier die Grenzen genau zeigen, so Dr. med. Mader, Chefarzt
der „Klinik Hohemark", Oberursel, in seiner Schrift
„Hören-Helfen-Heilen" (1969), S. 43 ff.. Hier zeigt er,
wie Besessenheit nur durch Gebet ausgetrieben wird. Zur
Frage der Besessenheit können sachgemäß nur diejenigen
mitsprechen, die solche Erscheinungen ausgetrieben haben
oder bei solcher Austreibung zugegen waren.

Die zweite Abhandlung wendet sich gegen einen Germanisten
, der (im Gegensatz zur gesamten germanistischen
Wissenschaft unseres Jahrhunderts) Luthers sprachliche
Leistung der Bibelübersetzung heruntergemacht hat: „Die

Sprache der Bibelübersetzung Luthers damals. Eine notwendige
Auseinandersetzung mit den Thesen Arno Schiro-
kauers" (53—67). Dieser hatte in dem großen Sammelwerk
„Deutsche Philologie im Aufriß" Dinge gesagt, die nur
möglich sind, wenn jemand „dem Werk Luthers unfreundlich
, ja feindselig" gegenübersteht (67). Tschirch weist
Zug um Zug nach, wie Schirokauers Behauptungen wissenschaftlich
unhaltbar sind. Damit spricht Tschirch im Namen
der gesamten germanistischen Forschung der letzten beiden
Menschenalter. Solche Kritik ist nötig gewesen. Man
wolle sie in Erinnerung behalten, wenn man mit jenem
Sammelwerk zu tun hat (gegen dessen sonstige Güte damit
nichts gesagt sei).

Die dritte Abhandlung über „Die Sprache der Bibelübersetzung
Luthers heute. Eine Apologie der Bibelrevision von
1956/64 durch Besinnung auf ihre sprachgcschichtlichen
Voraussetzungen" (68—108) zeigt, wie gut es ist, bei solcher
Arbeit den Fachgermanisten zu Rate zu ziehen. Eine
Frage ist nicht angerührt worden: Mit welchem Recht
wurde in der Apostelgeschichte gr. h o d o s , wenn absolut
gebraucht, als „Lehre" wiedergegeben, nicht als „Weg"?
Damit ist der weiteren Intellektualisicrung Vorschub geleistet
. Einen Weg muß man gehen, eine Lehre dagegen
spricht nur zum Verstand. Wenn man meint, die Gemeinde
verstehe das Wort „Weg" nicht, so genügt wohl eine einzige
Fußnote, um das Nötige zu sagen. „Lehre" aber ist
falsch!

Die vierte Abhandlung über „Metrik und Gesangbuch"
leistet eine gute Hilfe, indem sie „Über das letzte Stück im
ersten Halbband des Handbuches zum evangelischen Kirchengesangbuch
" Kritik anmeldet, die aufgenommen werden
muß (109-122). Worum geht es da? In jenem Handbuch
wird mit längst überholten Begriffen gearbeitet: es
werden die Silben der einzelnen Verse gezählt. Der deutsche
Vers arbeitet jedoch mit Hebungen und Senkungen,
wobei die Hebungen den Ton angeben. Das deutsche Lied
kennt keine „Sechs-, Sieben-, Acht- oder Neunsilber", wie
jene Übersicht uns glauben macht, sondern: „In allen Fällen
handelt es sich immer um ein und denselben Vicrhcbcr
(oder Viertakter), der das metrische Grundgerüst des deutschen
Verses als die dem rhythmischen Empfinden der
Deutschen offenbar eingeborene Grundform seit ältester
Zeit darstellt" (111). Das Kirchenlied folgt im allgemeinen
dieser Grundordnung der Lyrik überhaupt (113). Deshalb
fordert Tschirch — mit Recht —, die „Übersicht über den
Strophenbau der Lieder" in jenem Handbuch müsse „von
Grund auf neu gearbeitet werden" (119).

Dieser Band zeigt in seinen mancherlei Studien, wie notwendig
die Zusammenarbeit zwischen Theologie und Germanistik
dort ist, wo es sich um Christliches in deutscher
Sprachgestalt handelt. Wo immer das WORT Fleisch wird,
da geht es in eine Muttersprache ein. Deshalb hat die Erforschung
dieser Muttersprache einen Anteil an der theologischen
Forschung und umgekehrt.

Unterweissach, Kr. Backnang Friso Melzer

Ermecke, Gustav: Die Theologie im Zusammenwirken mit
den Sozialwissenschaften (MThZ 21, 1970 S. 124-134).

Rideau, Emile: Passe et avenir du christianisme. A propos
d'un livre recent (NRTh 93, 1971 S. 245-265).

Urban, Anselm: Künftige Aufgaben der Theologie (Erbe
und Auftrag 47, 1971 S. 53-59).

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Geiger, Abraham: Judaism and Islam. Prolcgomenon by
M. Pearlman. New York: KTAV Publishing House 1970.
XXXIII, 170 S. gr. 8" = The Library of Jcwish Classics,
cd. by G. D. Cohen. Lw. $ 12,50.