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Ausgabe:

1971

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 10

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Seiner Umwelt sich ergiht, während er im „Modell 4 : Bibel- Schlciermacher durch seinen Verzicht auf den doppelten Kir-
riiste" liest: „Unsere Unversehrtheit hängt von dem Wohl und chenbegriff dazu genötigt wird, kirchliche Ordnung und weit-
Wehe der Gesellschaft ab, an deren Zukunft wir als Christen liches Recht als wesensverschieden anzusehen". Die bürger-
ttu1 unseren Gaben und nach unserer Verantwortung mitzu- liehen und kirchlichen Verhältnisse können ihm ,unmöglich
wirken haben." Der letzte Halbsatz ist — der Selbstkorrektnr einem Gesetze unterworfen sein'. Dies gilt nicht nur hin-
des T.s hinsichtlich seiner Zielbestimmung des KU (s. o.) sichtlich der Handhabung oder der Bewertung, sondern ins-
folgend — stark zu unterstreichen. Aber was ist theologisch besondere hinsichtlich des Ursprungs und vor allem der Aus-
zu dem behaupteten Abhängigkeitsverhältnis zu sagen? gestaltung kirchlicher Ordnung" (S. 220). „Da Schlcierma-
Genug der Einzelhinweise. Sie könnten um ein Vielfaches eher keine Kirche der Ungläubigen kennt, ist seine Kirchenvermehrt
werden. Dennoch muß die Schrift, die in ihrer ge- Ordnung auch nicht auf diese Heuchelkirchc der infideles gedrängten
Kürze und mit ihrem starken Verzicht auf theolo- münzt. Darum kann solche Ordnung weil gehend auf das ver-
giSch-pädagOgische Begründungszusammcnhänge so stark ziehten, was für weltliches Recht unerläßlich ist: die formale
zum Widerspruch reizt, begrüßt werden. Ks ist zweifellos eine Rechtsregel und den Rechtszwang. Und gerade weil siedarauf
ausgezeichnete Arbeitsgrundlage für kritische katcchclischc verzichtet, braucht sich kirchliche Ordnung nicht auf den
Seminare. Bereich einer sichtbarem Kirche zu beschränken, um einer un-

, . . sichtbaren Kirche die geistliche Freiheit vorzubehalten" (S.

Lcipziff Sieginod Schmutzlor „„„,, 1

oü/ol).

- Diese Ergehnisse sind in einer sehr umfassenden und sub-

. tilen Auseinandersetzung mit dem Werk Schleiermachersund

Ittel Gerhard WoHgangi Religionsunterricht - konfessionell der Kirchenrechtsdiskussion gewonnen. Gerade die vielenDe-

l«r-S) SS'° eVang' 1)'i>sP°ra S. tai,3 Qnd Ucnntnisrcichcn Anmerkungen machen die Untef

Langerfeld, Karl-Eugen: Johann Arnos Comenius. Zum 300. «»chung von Daur interessant und lesenswert. Äußerungen

Todestag am 15. November 1970 (Die Innere Mission 60, Schleiermachcrs, die sich der engagierten Inlerprctationnicht

1970 S. 519—526). glatt einfügen, werden nicht verschwiegen, sondern bezüglich
ihres Stellenwertes erörtert.

Daur ist sich dessen bewußt, daß es eine glatte Lösung der
Kirchenrechtsproblematik nicht gibt. Im dritten Hauptteil,
der „Schlciermacher, Sohm und die heutige Grundlagenforschung
zum evangelischen Kirchenrecht" behandelt, sagt

KIRCHENRECHT Daur „der dem evangelischen Kirchenrecht vorgezeichnete

Weg" sei „eine Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen
zwei Abgründen, ... ein Ringen um die rechte Mitte zwischen

Daur, Martin: Die eine Kirche und das zweifache Recht. Eine der Sakralisierung des Menschlichen und der Säkularisierung

Untersuchung zum Kirchenbegriff und der Grundlegung dcs festlichen, zwischen Neuluthcrtum und Kollegiahsmus,

kirchlicher Ordnung in der Theologie Schleiermachers. zwischen anstaltlichcm und vcrcinsrechllichem Denken".

München: Claudius Verlag 1970. 240 S. gr. 8° = Jus Eccle- „Derjenige, der die Abwege meiden will", sei „vor nicht ge-

Siasticum. Beiträge zum evang. Kirchenrecht u. zum Staats- rinßc Probleme gestellt, Er wird sich die letzte theoretische

kirchenrecht, hrsg. v. A. v. Cai.....Inhausen, M. Heckel, K. Rechtfertigung für kirchenrechtliches Handeln zuweilen ver-

Obermayer, G.-A. Vischcr, R. Wceber, 9. DM 17, — . sagen müssen. Und so bleibt denn die kirchliche Ordnung in

der ständigen Spannung ... zwischen theoretischer Unverein-

Die Arbeit von Daur „stellt die Frage, wie sich die Lehro barkeit und praktischer Notwendigkeit. Jeder Versuch einer

Schleiermachers von der Kirche zum Kirchenbegriff des Kol- Lösung des Unlösbaren war in der Vergangenheit ein Untcr-

'egialismus und der Grundlegungen des Kirchenrechts in der nehmen der Selbstrechtfertigung der Kirche, zumeist mit der

^Weiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verhalle. Sie fragt wei- Aufgabe des ganzheitlichen Kircbenbcgriffs, mit dem Ver-

'' r, welche Konsequenzen sich hieraus jeweils für die Gestal- zieht darauf, daß sich die verfaßte Kirche als Kirche Christi

'ung d,.r kirchlichen Ordnung ergeben" (S. 19). ernst nahm... Gerade weil Schlciermacher und schließlich

Die Antwort, zu der Daur kommt, wird recht präzisedurch auch Sohm einen anderen Weg beschritten, blieben bei dem

'len Buchtitel ausgedrückt. Gegenüber dem doppelten Kir- ersteren viele Fragen ungelöst und problematisch, wurdevon

Chenbegriff des Kollegialismus und der Tendenz des 19. Jahr- dem letzteren der Widerspruch zwischen Kirche und Recht

hundert* trotz der Betonung der Untrennbarkeit, des Eins- zum Prinzip erhoben". Und so fragt Daur, „ob Rechtferti-

seins beider Kirchen (der unsichtbaren und sichtbaren, der gungslehre und menschliches Kirchenrecht nicht auch diese

""'senskirche und der Rechtskirche) dennoch zwei Seiten, Beziehung zueinander haben könnten, daß Kirchenrecht in

Zwei Aspekte dieser Kirche zu unterscheiden, stellt Daur her- vieler Hinsicht nur Notordnung, Notstandsrecht sein könne

£us, daß Schlciermacher bei der Entfaltung seines Kirchen- und als solches der Rechtfertigung bedürfe — nun eben nicht

"Griffes in der „Glaubenslehre" eine solche Doppelung nicht der Selbstrechtfertigung durch eine kirchcnrechtlicheGrund-

•Bläßt, obwohl es auch bei ihm Stellen gibt, die zu einer Aus- lagenforschung!" (S. 228/229.)

^andersetzung mit einer „scheinbare(n) Verdoppelung im Dieser eindrückliche Hinweis darauf, daß wir als kirchen-
*M*chenbegriff" (S. 70 ff.) nötigen. Aber es ist „das Verdienst rechtlich Handelnde der Rechtfertigung durch Gott bedür-
^'hleiermachcrs, daß er mit allen Vorstellungen von der Kir- fen, ist sicher sehr angebracht. Es fragt sich aber, ob die Apoll0
« als einer auf menschlichem Vcrlragswillen beruhenden rie wirklich so sehr angesichts der kirchenrechtlichen Grund«
''Weckgescllschaft gehrochen und daß er bei allem Interesse lagenforschung oder nicht vielmehr angesichts einzelner kon-
nn der Grundlegung und Gestaltung kirchlicher Ordnung es kretcr Entscheidungen aufbricht. Denn gewiß ist es für uns
JJWchmäht hat, den vor ihm und nach ihm so oft begangenen seit dem Einbruch des Nationalsozialismus in die Rechts-
zu beschreiten, indem er zwei Kirchen einander gegen- sphärc der Kirche endgültig klar, daß wir uns von jeder Art
''''"'•sielli oder zwei Seilen der eine,, Kirche unterschieden vercinsrechtlichcr Begründung kirchlicher Ordnung distan-
?fit*e. Die eine Kirche der Glaubenslehre wird für ihn auch zieren müssen - „ein theologie- und bekenntnisneutrales
Kirche der äußeren Kirchenordnung sein" (S. (iS). Kirchenrecht wird heute nur noch selten vertreten, worin eine
P« der doppelte Kirchenbegriff (u. n.) die Funktion hat, unmittelbare Auswirkung des Kirchenkampfes zu erblicken
«die Kircl,c ,i(.m Rocht zu unterwerfen, ohne offensichtlich ist", konstatiert Siegfried Grundmann (Abhandlungen zum
"c'> Glaubenssatz von der Freiheit der Kirche von aller Men- Kirchcnrccht, 1969, S. 22) -, aber weniger einsichtig ist es,
,Cnensatzung zu verletzen", w ie Daur Erich Förster zuslim- warum Rechtszwang bzw. Sanktionen dem Wesen kirchlicher
^»d zitiere,,,| ausführt (S. 34, Anm. 19), ergibt sich, daß Ordnung bzw. dem Wesen der Kirche entgegenstehen soll.