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1971

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Neuerscheinungen

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Wie die Dinge sich in gut zehn Jahren gewandelt haben,
zeigt der Vergleich, den Haible unternimmt. Nicht nur, daß
die Polemik geschwunden ist; er versucht das Gemeinsame
der drei Theologen herauszuarbeiten, die er als die hervorragenden
Vertreter des Luthertums, Calvinismiis und Kalholo-
zismus bezeichnet. Dabei geht es ihm bewußt und auch faktisch
nicht darum, den Kirchenlehrer seiner Konfession gegen
die beiden anderen zu stellen, vielmehr möchte er „an den
Punkt gelangen, an dem die drei Theologen gemeinsam vor

dem Gotteswort versagen____ Es muß einen solchen geben,

sonst könnte nicht jeder von ihnen die Schrift anders verstehen
und etwas anderes aus der Schöpfungslehre der Schrift
zu Recht ins Gespräch über die Schöpfungstheologie als Ileils-
lehre einbringen" (S. 16f). Daß die Kritik an allen drei Theologen
sich tatsächlich um ein Verstehen und damit um das
Verbindende bemüht, also der früheren Polemik absagt, ist
der Vorzug der Arbeit.

Bultmann versagt gegenüber der Schrift darum, weil er den
Zugang zur biblischen Schöpfungslehre durch ein Menschenbild
zu gewinnen sucht, das von einer bestimmten Philosophie
vorgeprägt ist. (Aber auch Thomas muß sich diesen Vorwurf
gefallen lassen.) Dieses Versagen wird zu Recht darin
gesehen, daß Bultmann „die Bedeutung der Arbeitswelt für
den Menschen, in der er sich vorfindet" (S. 50), nicht beachtet
. Der Individualismus der Existenzphilosophie, mit (Irren
Kategorien Bultmann die Schrift interpretiert, ist die Gn u/. ,
die seine Theologie von der Schrift trennt.

Darum ist es Bultmann nicht möglich, die Welt als Schöpfung
zu verstehen, die in ihrer Vielfalt sowohl von Gottes
Handeln wie von dem Wirken des Menschen bedingt ist. Erst
durch den Glauben gewinnt der Mensch das Selbstversländ-
nis, „durch das der Mensch sich als Geschöpf auf Gottes Handeln
gegründet sieht" (S. 79). Die Dialektik zwischen Gott
und Mensch bei Bultmann erscheint H. eher als Widerspruch
als Paradox. „Schöpfung, das Wunder und die Endzeit" werden
„auf das Selbstvcrständnis des Menschen eingeengt"
(S. 51). Das Selbstverständnis sieht H. als den Vergleichspunkt
(analogia), den Bultmann für alle Schöpfungsaussagen
des NT anwendet (S. 227). „Er muß sich den Vorwurf gefallen
lassen, daß er immer nur vom Einzelmenschen, nie von der
Gemeinschaft, vom Menschen als geselligem Wesen spreche",
wie es ihm bereits Rene Marie vorhielt (S. 230f). Den Zugang
zu einem Verständnis des Menschen, das an diesem Punkt
Bultmanns Grenze überwindet, sieht II. (unter Aufnahmevon
Anregungen des Marxismus) in der Einbeziehung der Arbeit
für das Verständnis des Menschseins: „Wer die Arbeit bedenkt
, kommt auch auf den Mitmenschen" (S. 237). Diese
Vernachlässigung des Faktors Arbeit für das Verständnis des
Menschen als Geschöpf ist die Kritik, die H. an allen drei Theologen
übt.

Die Lösung, die H. anbietet, verbindet Schöpfung und Heil:
„Das Tun des Menschen steht in einem doppelten, dialektischen
Verhältnis zu seinem Dasein. Zum einen verlangt, seine
Fremdheit danach, an der Welt tätig zu werden, um sie ihm
heimisch zu machen. Zum anderen verliert er sich gerade so
an die Welt und wird sich selber in seinem Unterschied zu ihr
fremd" (S. 251). Das Heilshandeln Gottes, die Erlösung besteht
darin, daß „der begnadete Mensch als Mitarbeiter im
Bund mit Gott... in der Fügung ins Heilswerk Gottes, mit
Gott zusammen ein wertes Werk vollbringen kann" (S. 258).

Wie Bultmann unterzieht II. auch Barth und Thomas der
Kritik. Barth „hat seine Schöpfungslehre von der Dialektik
zur Analogie, vom Gegensatz zum Vergleich hin weiterentfaltet
" (S. 64). Aber die christologische Interpretation der
Schöpfung läßt Barth Schöpfung und Bund zwar aufeinander
bezogen verstehen, nicht aber als Einheit (S. 81). Zwar
einen Schritt über Bultmann hinaus, insofern er den Menschen
nicht nur abstrakt und individualistisch in seinem Sein
verstehen will, sondern in der Ehe, „als Mann und Frau die
Gemeinschaft Gottes mit sich selbst" ihn abbilden sieht. „Die
Gemeinschaft von Mann und Frau verweist über die von Gott
und Volk auf die zwischen Christus und der Kirche, die ihrcr-

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scits wieder die Zugesellung des Schöpfers zu seinem Geschöpf
in der Menschwerdung abbildet" (S. 93). „Wie die
Schrift kehrt auch er den Vergleich ihm. den sie zuerst zwischen
Gottes Bund mit, dem Volk und der Ehe angestellt hat.
Er gründet die Ehe auf den Vergleich mit der Bindung Christi
an die Kirche" (S. 168). Der Mangel ist jedoch, daß Barl Ii
das Tun des Menschen im Vergleich mit dem Handeln Gottes
nicht in seine Überlegungen einbeziehl.

Demgegenüber gilt für Thomas, daß für ihn „nicht so sehr
der Vergleich zwischen der Gemeinschaft unter Menschen mit
der von Gott und Mensch bezeichnend ist, sondern vielmehr
der Vergleich von Gottes Handeln mit unserem Tun. Für ihn
ist das Geschöpf Abbild des Schöpfers" (S. 169). Seine Insul'
fizienz sieht H. jedoch darin, daß Thomas als Kind seiner Zeil
das Tun auf den Geist bezieht und vom daher zu einem Intellektualismus
kommt. Die Bibel, vom hebräischen Denken
geprägt, verweist immer, auch bei Geist und Wollen und Erkennen
„an ein Tun, an eine Wirksamkeit" (S. 199).

So ergibt sich für II. der Schluß: „Jeder der drei Theologen
müßte auf die beiden anderen hören können, um der ganzen
Aussage der Schrift gerecht zu werden" (S. 277). Das ist
eine Aufforderung au die heutigen Theologen, Aufforderung
zu einem ökumenischen Gespräch, in dem jeder bereit ist, die
eigene Position revidieren zu lassen. Man kann dem Buch vorwerfen
, daß es manchmal allzu kurzschlüssig die unterschied •
liehen Positionen zueinander in Beziehung zu bringen sucht.
Aber das wird in jedem ökumenischen Gespräch unvermeidbar
sein. Am Ende zeigt sicli bereits in einem solchen Herini
hen, das von dem Ziel gegenseitigen Verstehens gerade auch
die Unzulänglichkeiten einbringt, die notwendige Konzilia nz,
ohne die ein Verstehen zwischen konfessionellen und theologischen
Kontroverspositionen nicht möglich ist.

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Theologische Literaturzeitung 96, Jahrgang 1971 Nr. 10