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Ausgabe:

1971

Spalte:

759-761

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Renner, Frumentius

Titel/Untertitel:

"An die Hebräer" - ein pseudepigraphischer Brief 1971

Rezensent:

Theißen, Gerd

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 10

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•jtu11J4' bezeichne für Paulus keine durch Heiligung „ergänzungsbedürftige
Heilswirkung, sondern die Versetzung des
Menschen in einen Heilsstand, der bestimmte Konsequenzen
fordert" (281) und formuliert dann auch glücklich, die Heiligung
sei „das Werk Gottes und seines 7tve0(ia" (278) und
also „gleichsam... Lebensgestalt" der Rechtfertigung (282).
Wird man dem gern zustimmen, ist freilich die Hörn. 8,35—39;
11,32 (zwei Stellen, die im Buche nicht diskutiert werden)
eklatant widerstreitende, weil Gottes Heilswerk über Gebühr
verunsichernde Schlußfolgerung unpaulinisch: weil es für den
Gehorsam des Glaubens stets noch gegen die Sünde und
ihren Gehorsamsanspruch anzukämpfen gelte, weide „die
Hechtfertigung dem einzelnen nie in unbedingter Gewißbeil
zuteil. Vielmehr bleibt die eigentliche rettende Kraft der Gerechtigkeit
Gottes verborgen" (285). Gerade wenn K. mir im
Nachwort seines Buches mit gewissem Hecht rät, das sote-
riologische Element der paulinischcn RechtfertigungsVerkündigung
nicht zugunsten der Betonung des Gotteshandelns in
ihr zu verkürzen (309), scheinen die zitierten Sätze über Paulus
hinauszugehen und vor allem die von K. getroffene Feststellung
zu verlassen, daß das in der Reformationszeil programmatische
sola fide „im Rahmen der paulinischcn Recht-
lertigungsbotschaft seine volle und eigentliche Bedeutung
(bat)" (225). Sicher bezeichnet der Glaube für Paulus noch
nicht die eschatologische Vollendung des Menschen (227);
aber: der Werdestand, in dem der Glaube sieh noch bewegt,
erschüttert für Paulus die Gewißheit, daß in Christus das
ganze Heil Gottes für den Glauben offenbar wird, gerade
nicht.

Sehe ich recht, haften dem vorliegenden Buch also noch
gewisse Unausgeglichenheiten an. Sie betreffen weniger die
Kxegesen des ersten als die theologischen Aspekte des /.weilen
Teils. Da der Vf. insgesamt aber auch nur beansprucht,
„einige Studien" zum Thema Rechtfertigung bei Paulus
„beizutragen" (2), darf man zusammenfassend urteilen, daß
ihm dies und noch weit mehr gelungen ist. Auf K.s Buch können
wir in der Pauluscxegese nicht mehr gut verzichten.

Erlangen Peter Stuhlmacher

Renner, Frumentius: „An die Hebräer" — ein pseudepigra-
phischer Brief. Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag
1970. 165 S. 8° = Münstersehwarzacher Studien, hrsg. v.
Missionsbenediktinern der Abtei Münslerschwarzach, 14.
Kart. DM 23,60.

F. Renner verlritt die These, der Hehr sei ein um 150 n.
Chr. in der ganzen Kirche — auch im Westen — als kanonisch
und paulinisch geschätzter, in Wirklichkeit aber pseu-
depigrapher Brief gewesen, dessen verloren gegangene Einleitung
aus der Schlußdoxologie des Rom rekonstruierbar-
sei. Mit diesem habe er sehr früh (Pap 40, KanMur) eine literarische
Einheit gebildet und sei im Laufe der Entwicklung
immer mehr von ihm getrennt worden. Im 1. Teil w ill Ii. «Iii-
frühe Verwendung des Ilebr als hl. Schrift nachweisen, im
_'. Teil seine frühe Einordnung in das „Urpaulinum", im
3. Teil seinen formgeschichtlichen Charakter als ehemals vollständigen
Brief mit Prüskript. Sieben Exkurse behandeln die
Form hellenistischer und paulinischcr Briefe, stichomelrische
Probleme, Motivworttechnik, Aussprache- und Rechtschreibung
in ntl. Zeit, die Struktur des Hehr wie des 1 Petr.

1. Die frühesten Bezeugungen des Hehr sind für R. 2. Petr
(vgl. 3,16 mit Hehr 5,11), Barn, besonders aber 1. Clem: 1.
('lern 36,2b—5 sei mit Ilebr 1,3ff „absolut identisch" (34).
Umstellungen des Hehr-Textes hätten eine Analogie in der
liehandlung des AT (vgl. 1. Clem 39,3ff), woraus folge: Hehr
besaß für 1. Clem die Autorität einer „heiligen (kanonischen)
Schrift" (36). Dies zeige auch die Übernahme des Christusbildes
und der Soteriologie aus dem Hehr. Ob Herrn und Justin
Hehr gekannt haben, sei unsicher, da I lehr aber für Bom
durch 1. Clem bezeugt sei, w ahrscheinlich. Um 200 sei er fast

überall bekannt; jetzt erst meldeten sich Zweifel an der pau-
Ünischen Verlasserschaft.

2. Daß diese vorher unbestritten war, will der 2. Teil zeigen
. Ausgehend vom KanMur, den B. form- und literarkri-
tisch untersucht, nimmt er ein „Urpaulinum" aus Kor, Gal
und Böm an, das er in KanMur '52—46 belegt sieht. Neben
diesem ursprünglichen Dreierzyklus stünde im KanMur ein
jüngerer Sicbcncrzykhis, dessen Ordnungsprinzip das lateinische
Alphabet sei: Cor, Eph, Phil (Ph = F), Col (C=G),
Gal, Theas (Theta), Rom. Wenn Marcion den Gal voranstelle,
so folge er dem griechischen Alphabet. Die Aufnahme des
Ilebr in das Urpaulinum sei erstmals im I )sten geschehen und
durch Pap 46 bezeugt, liier sind die pln. Briefe der Größe
nach geordnet, mit Ausnahme des Hehr, der weniger umfangreich
als 1. Kor ist, aber zwischen Böm und 1. Kor steht.
Nimmt man eine konsequente Anordnung nach der Größe
an, so müsse Höm und Ilebr als Einheit gezählt worden sein.
Da aber in Pap 46 die Überschrift „An die 1 lebräer" begegnet,
die den Hrief als selbständige Einheit charakterisiert, postuliert
Ii. eine Vorlage des Pap 46 mit der Reihenfolge: Röm
15,33, Doxologie, Ilebr (ohne Titel). Von dieser Vorlage des
Pap 40 zieht H. eine Verbindungslinie zum KanMur. Die Inhaltsangabe
des Röm (Christus als Regel und Prinzip der
Schrift) passe auf Röm und Ilebr. Da der Höm als umfangreicher
(prolixius) als die beiden Kor bezeichnet würde,
müsse er mit dem Mehr eine uterarische Einheit gebildet
haben.

3. Durch die Annahme einer Frühen kanongeschichtlichen
Einheit von Böm und Ilebr will H. ferner das formgeschicht-

hohe Rätsel des fehlenden PräskriptS lösen. Teile davon bzw.
des „Kontexteingangs" Findel er in der Doxologie des Höm
wieder, die er literarkritisch in eine Schlußdoxologie (Röm
16,25a.27) und eine Parenthese (25b-20) aufgliedert. Daß er
zur letzteren Parallelen in anderen liriefpräskripten (Röm,
Gal, 2 Tim), ferner in Hippolyt, Anlichr. 2f in einem freien
Zitat die Reihenfolge Röm 15,30, Parenthese, I lehr 1,1 ff vorausgesetzt
findet, bestärkt ihn darin, in Böm 16,25bf den
verlorengegangenen Anfang des Hehr fragmentarisch wiederzufinden
. Der I lehr w äre demnach zwar inhaltlich eine Mahnrede
, formal jedoch ein vollständiger Brief gewesen. Abschließend
geht R. auf weitere Einleitungsfragen ein: Aus
Hcziehungcn des liriefschlusses zum 1. Petr schließt er auf
den in 1. Petr 5,12 erwähnten Silvanus als möglichen Verfasser
des Ilebr. au! eine A bl'assungs/.ei t 70—80 n. (dir. (d. t-

nach dem früh datierten I. Petr und vor dem 1. Clem), ferner
auf Horn als Abfassungsorl.

Die Untersuchung ist so klar und anregend geschrieben)
daß man wünschte, ihr auch inhaltlich zustimmen zu können.
I )ie wich l igst en Bedenken seien kurz sk iz/ierl. Hätte I ('lein
wirklieh den Ilebr zitiert, so hätte er aus dem Hohenpriester,
der sich selbst als einziges Opfer darbringt und alle irdischen
Opfer relativiert, den „Hohenpriester unserer Opfer" g'"

macht. D. h. er hätte den Sinn des Ilebr verdreht, ihn aber

keinesfalls als Id. Schrill zitiert. Wahrscheinlicher ist mir die

Unabhängigkeit beider Schriften. Ilebr. wurde z. T. erst spät
im Westen bekannt. Das würde auch sein fehlen im KanMur
besser erklären, als wenn man ihn dort in der Beschreibung
des Höm als dessen Bestandteil vorausgesetzt findet"
Das komperative „prolixius" muß sich nicht unbedingt au>
die Korintherbriefe beziehen. Kine Zusammengehörigkeit V0I>
Röm und Hein- läßt sich auch aus der Reihenfolge der Brief«
im Pap 46 nicht beweisen: Der Größe nach hätte Ilebr dort
zwischen 1. und 2. Kor stehen müssen. Sollten diese Briefe
zusammen bleiben, so mußte das Ordnungsprinzip gestört

werden. W as die Hekoust ruk t ion einer Vorlage von Pap /',D
(ohne Titel des Ilebr) angebt, so ist R. wohl zu Zuversicht'
lieh hinsichtlich dessen, was wir hier wissen können. Auch die
Hippolytstelle mit vagen Anklängen an Hehr 1,1 beweist
wenig, falls die Tradition im Recht, ist, nach der | lippolyl die
Verfasserschaft des Hehr dem Paulus abgesprochen hat (vg'-
S. 24): Er hat ihn dann kaum als literarische Fortsetzung
von Höm 15,30 zitieren können. Du- ersten sie heren Erwäb-