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Ausgabe:

1971

Spalte:

753-757

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Borsch, Frederick Houk

Titel/Untertitel:

The Christian and Gnostic Son of Man 1971

Rezensent:

Fischer, Karl Martin

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Hösel Bo Reicks

75.'! Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 10 751

eben Vorstufen der neutesUmentlichen Schriften ein reiz- mögliche Uterarkritische Scheidungen von vorchristlichen

volles Thema. Aber nur in ihrer voll ausgewachsenen, orga- Aussagen und nachtraglichen christlichen Erweiterungen

■tischen und dynamischen Gestalt können diese Schriften auf nicht vollzieht (z. B. Iren. 1.30; A.I; WA, Naassenerpredigt

Theologen wie auf Leser ohne deformation professionelle per- u. ä.). Er hätte nämlich bei Zugrundelegung dieser literarkri-

sönlich einwirken, so daß ihr besonderer Anspruch spürbar tischen Scheidungen sofort die Texte gruppieren können nach

wird. Auseinaiiderhallung von l'raditionsgeschichte und Bi- solchen, wo der Titel Menschensohn in eindeutig vorchrisl-

beltheologie empfiehlt sich ebensosehr wie eine gesunde Un- liehen Partien erscheint, und solchen, wo er in der sekundären

terscheidung von Gesetz und Evangelium. christlichen Erweiterung auftaucht.

5. B. weiß genau, daß der Titel Menschensohn sich nicht von
dem des kosmischen Wesen ,,Mensch" (der Gott „Mensch";
der kosmische Urmensch) trennen läßt. Er muß also seine Untersuchung
mehrfach dahingehend ausweiten, findet aber
keine klaren Kriterien, nach denen er seine Untersuchung in

i> ... . . .. . .... ... ... i ,• c r dieser Richtung fortführen oder abbrechen muß.

Borsch, hrei enck ouk : he Christian and (.noslic, hon Ol ~ , ,• , t l ______ ,.~.Ui~A„..........

i i i crui) r.mm vir ein c o. oi r • Die methodischen Inkonsequenzen verhindern zwar

Man. London: SCM Prem [19701. XII, 130 S. 8 ■> Studie« ' . . . „ . n m.i.;u«. m;njn»„4„,n„i^i,i

• , .P, , e ic • Ii o.i eine Präzision vor allem des Gesamtbildes, mindern aberniclit

in ISihhca I henlogv, hecond Oeries. I'i. s. , „, . „. , ____t„„„ ,„„,,

' ,!,.„ \, r| der kinzclbcobachtungen. Man kann sogar sagen,

Die Studie von I!. ist ein Zeichen des neuen Weges der daß die Einzelergebnisse in ihrem Gewicht gewinnen, wenn

Gnosisforschung, die durch die Nag-Ilammadi-Texte ver- sie trotz der methodischen Grenzen sich so klar ergeben. Die

stärkt die Mögliehkeil erhalten hat, Einzelanalysen an origi- m. E. wichtigsten Einzelbeobachtungen sind:

nal gnostischen Texten durchzufahren, die sowohl traditio- 1. Wenn auch bei B.s Methode sich nicht eindeutig bewei-

nelle Thesen abbauen als auch Wege zu einem Neuverständ- sen läßt, daß der Titel Menschensohn schon in der synopli-

nis in wichtigen Detailfragen eröffnen. sehen Tradition im Schwinden begriffen ist, so zeigt er an-

B.s Methode der Analyse der Einzeltexte scheint mir sehr hand der übrigen neutestamentlichen Schriften doch eindeu-

fruchtbnr zu sein. Er geht nicht mit einer vorgefaßten These tig, daß der Titel (bis auf ganz wenige Ausnahmen: Act 7,56:

an die Texte heran, sondern läßt die Texte für sieh selbst Hebr2,6; Apok 1,13; 14,14) auch dort verschwunden ist, wo

sprechen, so daß seine daraus gewonnenen Beobachtungen die Wort- und Begriffsfelder die gleichen sind, wo bei den Syn-

Gewichl haben. optikern der Titel Menschensohn fest verankert ist (29—36).

Trotz dieses günstigen Einsatzes versperrt lieh B. m. E. Die besondere Problematik des J ohannes-Evangeliums wird an

Verschiedentlich selbst den Weg, um zu einer noch präziseren dieser Stelle nur berührl und kommt im ganzen Buch zu kurz,
eorniidierung < ler Beobachtungen ZU kommen. Das hat zur 2. Die frühen Kirchenväter verwenden den Titel m dersyn-
polge, daß die aus dem Material gemachten Beobachtungen optischen Begrifflichkeit überhaupt nicht mehr. Statt des-
nicht zu einem klaren Gesamtbild vereinigt werden, obwohl sen findet sich ein ganz neues Begriffsfeld. Der Titel wird nun
dies andeutungsweise auf den letzten Seiten versucht wird. Es verwende! als Bezeichnung des Irdischen als Korrelatbegrifl
kommt also bei der Besprechung darauf an, die methodischen zu Sohn Gottes (Barn 12,10a; Ign Eph 20,2). Ähnlich, wenn
Beschränkungen aufzuweisen (1), die Beobachtungen zuprä- auch etwas komplizierter, liegen im Prinzip die Dinge bei Ju-
zuneren (II) und das sich daraus ergebende Gesamtbild an- stin, da er Dan 7 als Schriftbeweis für die Menschwerdung ver-
schaulicher zu machen (III). Es muß aber gerecht erweise ge- wendet und dann auch synoptische Mcnschensohnsprüche
sagt werden, daß das implizit alles bei B. gesagt ist. aufnehmen kann, ohne jedoch mit ihnen eine andere Vorstel-
1,1. De facto verwendet B. bei der Einzelanalyse die neue lung zu verbinden (36-49). Auch verstreute Emzelnachrich-
l'»guistischeMethode,den Kinzelbegriff nicht zu isolieren, son- ten aus verlorengegangenen Schriften zeigen, daß in der ordern
sein Verständnis aus dem Wort- und Begriffsfeld zu er- thodoxen christlichen Literatur für die ursprünglichen syn-
schließen. Er wendet dieses Verfahren nur nicht reflektiert optischen Bedeutungen des Titels kein Verständnis vorbauend
bewußt genug an. den war (49-57).

Bei der Unte rsuchung des synoptischen Materials (1-28) 3. Obwohl keine der drei synoptischen und der ab Ign. bei
beschränkt sich B. auf die Beantwortung der einzigen Frage, den Kirchenvätern sich findenden Verwendungen des Titels
°b die Tendenz bestehe, den Titel Menschensohn zu eliminie- Menschensohn zu der gnostischen Erlösergestalt paßt, begeg-
ren, oder ob das Gegenteil der Fall ist. Er untersucht darum net der Titel in auffallender Häufigkeit in gnostischen Tex-
vor allem die Sprüche, wo Parallelfassungen vorliegen, und ten, und zwar sowohl in vorchristlichen Partien oder System-
"»«cht wahrscheinlich, daß schon In der synoptischen Tradi- teilen als auch in stark christlich beeinflußten und mit direkten
die Tendenz dahin geht (trotz zweier möglicher Gegen- ten Zitaten aus dem Neuen Testament durchdrungenen Par-
»eispidc), den Titel seltener zu verwenden. Daß B. die Frage tien. B. geht alle bisher bekannten Belege durch (5»-«U).
d" Echtheit der Sprüche im Bahmen seiner Untersuchung Aus den noch nicht edierten Nag-IIammad.-Textcn läßt sich
•«•klammert, ist m. E. berechtigt und nützlich. Er hätte al- die Zahl der Belege noch vermehren; z. B. scheint m den bei-
Wdings die von ihm auch ständig anerkannte Tatsache, daß den christlich-gnoslischen Schriften Der zweite Logos des
*W Titel Menschensohn in drei verschiedenen Begriffs- und großen Seth" (NHC VII.2) und dem „Zeugnis der Wahrheit
Wortfeldern in der synoptischen Tradition begegnet, erstens (NHC IX,3) Menschensohn der Haupttitel für den Soter zu
*W herausarbeiten, und zweitens zeigen müssen, bei wel- sein.

'•'"•in Wortfeld die Eliininieruiig des Titels am deutlichsten zu Anders als I!. möchte ich die Fülle der Belege nach folgen-

beobachten ist. Er kommt darum innerhalb des ersten Teils dem Prinzip ordnen:

nur zu einer Wnhrscheinlichkcitsaussage, die er allerdings im a) In eindeutig vorchristlichen Partien findet sich der Iitel

Agenden zur Gewißheit erheben kann. Menschensohn als Bezeichnung der zweithöchsten Gestalt des

3- 'W der Behandlung des gnostischen Materials ist B. m. Pieromas, der unmittelbaren Emanation des Urvaters
E- zu sehr von ,1er Fragestellung beherrscht, ob die Einzelfor- (= Mensch). Hauptbelege: Iren. 1,30,1; die mehrfach über-
»«"lierungen christlichen Ursprungs oder selbständig formu- lieferte Antwort auf die Selbstüberhebung des Demiurgen:
Le« sind. Das zwingt ihn zu literarischen Vergleichen, die „Vor dir existieren der Mensch und der Menschensohn (AJ
keineswegs immer notwendig wären und bisweilen (bei der BG 47,14-16 Parr; AgEv NHC III, 59,2-4). Daß d<es eine
Postulierung einer möglichen Urform) sogar irreführend sind. vorchristliche Konzeption ist, zeigt sich dann, daß trotz des

4- B. geht das gesamte gnostische Material nahezu aus- christlichen Bahmens bzw. Überarbeitung dieser Schriften
8cldießli,.h Schrift für Schrift durch, anstatt es systematisch die Menschensobngestalt nicht mit Christus identifiziert wird.
*u ordnen. Dabei ist B. aoeh dadurch in seiner Arbeit behin- Das geschieht dann allerdings sehr bald, vor allem bei den
dert, daß er bei mehreren Schriften bzw. Systemen eindeutig Valentinianern, die nach Iren. 1,12,4 den Menschensohn mit.