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Ausgabe:

1971

Spalte:

739-741

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rüger, Hans Peter

Titel/Untertitel:

Text und Textform im hebräischen Sirach 1971

Rezensent:

Möller, Hans

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 10

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die Kultpropheten das altisraelitisehe Traditionsmaterial fast
ausnahmslos auf ihrer Seite.

Jörg Jeremias hat ein gründliches Werk geschaffen, das
«loch wohl eigentlich in zwei Hauptteile zerfällt. Der erste ist
eine interessante, wenn doch nicht immer überzeugende Untersuchung
der Bücher Nahum und llabakuk, mit einem Anhang
über kultprophetische Klageliturgicn im Psalter. Der
zweite Teil behandelt die kultprophetische Gerichtsverkündigung
und baut auf dem ersten auf, aber kann eigentlich
ganz selbständig stehen.

Im ersten Teil ist natürlich die Frage (erstens), wie man
den Begriff Kultprophet definiert. Obwohl Jeremias schon
in seiner Einleitung die Auffassungen von Ilaidar, Gunne-
weg und Graf Beventlow ganz scharf abweist, ist er selbst
sehr vorsichtig in seiner Definition (S. fi) und zieht es sogar
vor, den Begriff „Kultprophetie" vorerst als Chiffre zu benutzen
. Seine Definition des Begriffes scheint er dann davon
abhängig zu machen, in welcher Weise er die Bücher Nahum
und Habakuk analysiert und versteht.

Die nächste Frage ist dann die, wie man sich zu seiner Analyse
dieser Bücher stellt, ob man sie akzeptieren kann oder
ob man darin uneinig ist. Um diese Frage zu beantworten,
müßte man Jeremias' ganzer Analyse der beiden Prophetcn-
bücher im einzelnen nachgehen. Das wäre wünschenswert,
läßt sich hier aber natürlich nicht durchfühlen. Wenn man
seine Übersetzung von Hab. 2,6—18 (S. 58f.), mit alten Traditionen
und späteren Nachinterpretationen, durch verschiedene
Schrifttypen wiedergegeben, überblickt und dann die
folgende Analyse liest, kann man leicht in Zweifel geraten,
besonders über die sogenannte Nachinterpretation. Derselbe
Zweifel meldet sich auch der Nahum-Analyse gegenüber.

Die hier angedeuteten Einwendungen in Betracht gezogen,
muß aber gesagt werden, und zwar nachdrücklich, daß Jörg
Jeremias eine tiefgreifende Analyse der Bücher Nahum und
Habakuk durchgeführt hat sowie eine sehr bedeutungsvolle
Abwägung des Verhältnisses zwischen Kultprophetie und Gerichtsverkündigung
in der späten Königszeit.

Oslo Arvid S. Knpnlrud

Rüger, Hans-Peter: Text und Te.xtform im hebräischen Si-
rach. Untersuchungen zur Textgeschichte und Textkritik
der hebräischen Sirachfragmente aus der Kairoer Geniza.
Berlin: de Gruyter 1970. VIII, 117 S. gr. 8° = Beihefte zur
Zeitschrift für die alttestamentl. Wissenschaft, hrsg. v. G.
Fohrer, 112. Lw. DM 46,-.

Dies ist eine Tübinger Habilitationsschrift, aus Vorarbeiten
zu einer Neuausgabe des hehr. Sirach erwachsen und für
den Druck neu durchgesehen, gründlich gearbeitet und sauber
gedruckt. Bei dem vielen fremdsprachigen und fremd-
■chriftigen Text bin ich nur auf 'hei Druckfehler gestoßen:
S. 31Z. 2 v. o. humulia statt humilia, S. 64 Z. 4 v.u. >i>k
statt V>k, S. 72 Z. 15 v. o. no3' statt rca'- Der
syrische Text ist nur in Literaturzitaten mit jacobitischen
Buchstaben wiedergegeben, sonst mit hebräischen. Das ermöglicht
die Benutzung auch für solche, denen die syrische
Schrift unbekannt ist. Ebenso sind Zitate aus rabbinischer
Literatur in Quadratschrift umgesetzt und nicht in Raschi-
Schrift dargeboten, arabische Texte in lateinischer Umschrift.
Vf. sieht den hebräischen Text für original an und widerlegt
die Ansicht, es kämen Bückübersetzungen aus dem Ci iei bischen
oder aus dem Syrischen in Betracht (S. 1 — 11, 115). Die
verschiedenen Fassungen nimmt er als primäre und sekundäre
hebr. Textform und setzt darum bei eben diesen Dubletten
ein, um eine Textgeschichte zu ermitteln und Maßstäbe
für die Textkritik zu gewinnen. So behandelt er die Dubletten
der Handschrift A, die Paralleluberlieferungen von Aund

C sowie von A und B, die Handschrift A als Zeuge für die Umgestaltung
des hebr. Sirachtextes und das Alter der beiden
Text formen.

Der Voraussetzung, den hebr. Text zugrunde zu legen, mag
man zustimmen und dem methodischen Ansatz, von den
Dubletten auszugehen, beipflichten. Gegenüber der Einzeldurchführung
sind aber doch einige Fragen und Bedenken
geltend zu machen.

1. Außerstande, dem Ilandschriftenbefund selbst nachzugehen
, möchte man doch wissen, weshalb die im Siglcnver-
zeichnis erwähnten Handschriften I) und E sowie Q und M
nicht mitberücksichtigt werden. Ergeben sich aus ihnenkeine
Parallelvarianten zu A, B und C ?

2. Sind die Dubletten von A aufzufassen als zwei verschiedene
Formen, die anverbunden nebeneinandergestellt sind,
oder kann man in ihnen nicht auch einen ursprünglichen Par-
allelismus tnembrorum sehen, den der griechische Text
(Gr) und ihm folgend der lateinische (La) in einen Stichos
verkürzt? Besonders wenn dann der Syrer zwischen hebr.
und griech. Text ausgleicht, legi sich diese Deutung nahe.
Oder wenn A und B vier Stichen bezeugen wie S. 63 Nr. 12,
während die Übersetzungen nur zwei bieten, liegen beide
Möglichkeiten gleichwertig zur Hand.

3. Weshalb werden als Varianten zweier Handschriften
Fälle notiert, wo der Unterschied nur in Piene- bzw. Defektivschreibung
besteht wie S. 40 Nr. 24,25, S. 69 Nr. 23 oder nur
in der Schreibweise des Tetragramms (S.71 Nr. 25) oder wo
überhaupt kein Unterschied vorliegt (S. 61 Nr. 8, S. 82 Nr. 47) ?

4. Am fragwürdigsten erscheint die Bestimmung der jeweils
.älteren und jüngeren Form. Hei einer Reihe von Beispielen
liegt es eindeutig klar, so elwa. wo ein bihliseh-hebrä-
isches Wort die ältere Form darstellt, ein mischnisch-liebrä-
isches oder jüdisch-aramäisches die jüngere (S. 39 Nr. 21,
S. 82 Nr. 46). Bei mehreren Sti llen verzichtet Vf. auf zeitliche
Einordnung der Varianten, an einigen deklariert er ohne
jegliche Begründung die eine Form für älter als die andere.
Schließlich findet sieh eine Anzahl Stellen, wo die gegebene
Begründung nicht einleuchtet. Schließt ■/.. Ii. S. 29 Nr. 3 Gr
(La) sich nur an C an, oder setzt er mit dem „erzürnen" und
dem „maledictus" nicht auch A voraus? Wenn in Ps. 33,16
und Sach. 4,6 >»n und rrj parallelstehen, wie kann man dann
das eine als ältere Form, das andere als jüngere in Anspruch
nehmen (S. 13 Nr. 3)? Oder die angeführten Stellen ergeben
keinen Hinweis darauf, daß m» jünger wäre als ny (S. 37f
Nr. 18) und v O'b jünger als einfaches v (S. 41) Nr.22).

5. Wesentlich kompliziert wird die Frage nach den Dubletten
und ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge durch die vom Vf.
angenommenen Überschneidungen. Hei den Dubletten in A

werden die 4 Stichen von 9,4 (S. 16 Nr. 8) so aufgeteilt:
3a/lb und 2 (durch Gr. und La. gestützt) als ältere, la/3b
und 4 als jüngere Textform. Dazu aber kommt die Zwickmühle
des Syrers, der zwar die Verkreuzung der I lalbstichen
aufweist, aber 3a/l b mit 4 fortsetzt. Wäre es nicht einfacher
und einleuchtender, anzunehmen: der Syrer hat den viersti-
chigen hebr. Text und den verkürzten griechischen Text vor
sich und gleicht beide miteinander aus? — Bei den Parallelüberlieferungen
der Handschriften A und Ii sowie A und i
wird manchmal A und manchmal B die ältere Form zugesprochen
, ebenso manchmal A und manchmal ('.. Wieviel
Zwischenstufen des Textes müssen da angenommen werden,
um dieses Ergebnis wahrscheinlich zu machen! Wenn man
auch B und C miteinander vergliche und dann auch noch D
und E hinzunähme, würden sieb die Variationsmöglichkeiten
entsprechend vervielfachen. - Vf. benutzt die Weinreichsehen
Untersuchungen über die Interferenz bei Zweisprachigkeit
(S. 21 f., 100 f), um die Umgestaltung der älteren in
die jüngere Sprachform zu erklären. Die verschiedenen Arten
von Lehnübersetzung sind klar. Wendel man das aber
auf den Handschriftenbefund an, so muß man annehmen,daß

es eine Zwischenstufe der handschriftlichen Uberlieferung gegeben
habe, in der der zweisinnige Ausdruck Z gestanden bat,
der dann entweder als X' oder als Y' verstanden wurde. Das
betrifft eine ganze Anzahl von Fällen, wo Sprachgebrauch
vom Targum und vom masoretisch.cn Text einander gegenübergestellt
werden.