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1971

Kategorie:

Religionswissenschaft

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 10

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Die etwa hundert Seiten umfassende Gebetsanthologie, gegliedert
in die drei Abschnitte „Praise" (S. 60—85), „Poni-
tence" (S. 88-105) und „Petition" (S. 108-156), hat als Kernstück
des Buches die Aufgabe, die in der einführenden Abhandlung
(S. 1—55) zum Ausdruck kommende Meinung des
Autors zu bestätigen. Die getroffene Auswahl, die zwar eine
begrenzte, aber bedeutsame Übereinstimmung demonstriert,
ist ohne Zweifel sehr sorgfältig und bedachtsam vorgenommen
worden. Sie umfaßt nicht nur Gebete aus der fast 1400-
jährigen muslimischen und fast 2000jährigen christlichen
Geschichte, sondern auch Belege aus nahezu 30 Ländern der
verschiedenen Erdteile. Sie berücksichtigt ferner — im Rahmen
der gegebenen Möglichkeiten —sowohl verschiedene theologische
Strömungen als auch verschiedene Charaktere und
ISerufe innerhalb der beiden Religionen. Sie läßt mit Absicht
auch die radikalen Zweifler zur Sprache kommen, nicht nur
deshalb, weil sie zu der einen Menschheit mit hinzugehören,
sondern um an ihrem Beispiel die Größe und Schwere menschlicher
Krisis zu erlernen. Sie nimmt schließlich auch Bezug
auf die Stimmen der Künstler und Poeten. So darf es nicht
überraschen, daß — abgesehen von Zitaten aus Bibel und Koran
, der u. a. wegen seiner Verwendung als Gottesdienstgebet
besonders herangezogen wird (vgl. S. 193 f) — in dieser Anthologie
beispielsweise neben Augustin, Franz von Assisi, Paul
Gerhardt, Gerhard Tersteegen oder neben Muhammad al-
Ghazäli, Muslih al-Din Sa'di, Jaläl al-DIn Rümi, Muhammad
Iqbäl auch Männer wie Alexander Puschkin, Sören Kierkegaard
, Albert Camus oder Dag llammarskjöld, Leopold Se-
dar Senghor u. a. zu finden sind. Dankenswerterweise gibt
der Vf. außer Quellen-, Namen- und Sachverzeichnissen (S.
173—192) eine sehr übersichtliche, alphabetisch angeordnete
Aufstellung und kurze Charakteristik der im zweiten Teil seines
Werkes angeführten Persönlichkeiten (S. 159—172). — Ks
versteht sich, worauf der Vf. auch selbst hinweist, daß es ebensogut
möglich gewesen wäre, Belege aus der Geschichte beider
Religionen zu sammeln, die gerade gegenteilig den jahrhundertelang
währenden Streit zwischen beiden Religionen
in den Vordergrund der Betrachtung gestellt hätten. Dochdas
ist eben nicht die erklärte Absicht des vorliegenden Buches,
und so wird man dem Vf. auch weder den Vorwurf einerleichtfertigen
und willkürlichen Auswahl, die alle unbequemen Differenzen
verwischt, noch den einer oberflächlichen Vorstellung
von menschlicher Religiosität, die in keiner Weise mit
der Schuld des Menschen und der Pervertierung echter Frömmigkeit
rechnet, machen dürfen.

Auch wenn der Vf. den ersten Teil seines Buches nicht als
eine Abhandlung über Religionsphilosophie, sondern bescheiden
als eine bloße Einführung im Hinblick auf die folgenden
Gebete verstanden wissen will, so darf man seinen Wert nicht
unterschätzen, zumal hier — in Form von 13 Abschnitten, deren
Inhalt stichwortartig auf den S. XII—XIV angegeben
wird — wichtige gegenwartsnahe Probleme der Religionsgeschichte
zur Sprache kommen: Im Wissen darum daß es nur
eine Welt, eine Geschichte und eine Menschheit gibt, und in
der Sorge, daß am Ende der Entwicklung die Verdammung
von uns selbst stehen könnte, wendet sich der Vf. gegen ökonomische
Ungleichheit, gegen Isolierung und Separatismus,
gegen Vorurteile und Apathie und tritt trotz der Erkenntnis
von notwendigerweise auch weiterhin bestehenden Unterschieden
und Differenzen zwischen den Religionen für eine
friedliche Auseinandersetzung, für ein gemeinsames verantwortungsbewußtes
Engagement, für Humanität und Menschenliebe
ein. Da in der bisherigen Geschichte beider Religionen
ein Austausch praktisch nur in profanen Angelegenheiten
erfolgte, eine Zusammenarbeit in geistlichen Dingen aber wegen
der exklusiven Ansprüche meistens abgelehnt wurde,
muß heute die Warnung an beide Religionen gerichtet werden
, den Trend nach einer wachsenden Einheit nicht einfach
zu ignorieren und ihre Aufgabe nicht nur im Trennen und Teilen
zu sehen. Ein nützlicher Dialog setzt vielmehr die Erkenntnis
voraus, daß Christentum und Islam — in Abschnitt
12 geht Vf. auch kurz auf das Judentum ein — trotz ihrer Verschiedenheiten
und Spannungen verwandte Phänomene sind
und insofern auch ein gemeinsames Lebensgefühl haben, das
als „islamisch'' angesprochen werden kann, nämlich sich dem
W illen Gottes zu unterwerfen und dem Herrn dieser Welt in
Dankbarkeil zu dienen. Wenn der Vf. Möglichkeiten der Zusammenarbeit
von Christen und Muslims auf dem Sektor des
Schul- und Gesundheitswesens und anderer sozialer Einrichtungen
aufzeigt, so gilt sein besonderes Interesse dem Gebet,
das er trotz seiner heutigen schweren Krise ungleich lebenswichtiger
einschätzt als Finheitsbestrebungen auf intellektu
ollem und dogmatischem Gebiet. Hinter der Aufforderung
darum zu bitten, wieder beten zu können, verbirgt sich für
ihn keine Ausflucht, keine Einladung zum Sakralen gegen
alles Säkulare, auch kein Interesse an institutioneller Religiosität
, sondern vielmehr (las Bestreben nach Verwirklichung
einer vollkommenen Menschheit im Zeitalter unserer Zivilisation
, die ohne Zweifel auch große Gefahren in sich birgt.

Breiten Baum nimmt die Beschäftigung mit der bedeutungsvollen
Frage ein, ob überhaupt von einem gemeinsamen
Gott, den Christen und Muslims in gleicher Weise verehren
, gesprochen werden darf und ob ein gemeinsames Gebet
ohne Preisgabe des jeweiligen Glaubensbekenntnisses zu
verantworten ist. Diese entscheidende Frage wird letztenEn-
des insofern bejaht, als angenommen wird, daß beide Religionen
ein und denselben Gott als theologisches Subjekt verehren
, nur hinsichtlich der Prädikate zum Teil unterschiedliche
Aussagen machen, wie z. B. bei der Vorstellung vonGott
als Vater und von Jesus Christus als Gottes Sohn. Wie man
respektieren muß, daß mancher Muslim die Shahäda nicht
ohne den zweiten Teil beten kann und für manchen Christen
ein Gebet, unmöglich ist, in dem die Wendung „durch Jesus
Christus, unseren Herrn" fehlt, so besteht auch kein Grund,
Gebete ohne ausdrückliche An Führung des Namens Jesu
Christi (vgl. Vaterunser) als unchristlich zu bezeichnen. Besonders
hervorgehoben wird, daß die Nennung des göttlichen
Namens immer das Ganze umfaßt, d. h. die christliche bzw.
muslimische Uberzeugung stets mit einschließt. Gebete, in
denen Muhammed oder Christus angerufen werden, sind letzten
Endes nur Gebete im Namen Gottes. Sie empfehlen auf
ihre Weise „für Göll zu leben" (zur Wendung vgl. Rom. 6,11),
und zwar für den Golt, der von beiden als der einzige Herr
dieser Welt bekannt wird.

Zusammenlassend soll dargelegt, werden, daß Christen und
Muslims ihren Glauben dahingehend vertreten sollen, daß
der Mensch nicht einzig und allein auf sieh selbst gestellt ist,
daß Veranrwortung gegenüber dem Mitmenschen nur die andere
Seile der Verantwortung gegenüber Gott ist. Die Anhänger
beider Religionen dürfen nicht nur verantwortlich
sein wollen in dem, was sie voneinander trennt, sondern müssen
es auch sein in dem, was sie miteinander verbindet. Und
das ist neben vielen Gemeinsamkeiten, die sieh aus der historischen
Entwicklung beider Religionen ergeben haben, insbesondere
das Gefühl der Dankbarkeit dem Colt gegenüber,
der alles in allem ist. Ein solches Gefühl öffne am besten die
Tore zu einer Gemeinschaft Über die Schranken des Dogmas
hinweg.

Alles in allem : eine für die Gegenwart äußerst interessante
und bedeutungsvolle Arbeit. Daß sie überall auf Beifall stoßen
wird, ist von vornherein nicht zu erwar len. Die Kritik
wird einmal dort einsetzen, wo man trotz aller Erklärungen
des Vf.S dennoch die Gefahr einer Verwischung der jeweiligen
Glaubensgrenzen sieht, und andermal dort, wo man der

Überzeugung ist, daß Gottesglaube und Gebetspraxis grundsätzlich
einer vergangenen Zeil angehören. Trotzdem bleib'
dieses Buch eine sehr wertvolle Albeil, über deren Inhalt

nachzudenken sich durchaus lohnt.

Jena Theodor l.ohmann

Ben-Uayyim, Z.: Einige Bemerkungen zur samaritanischen
Liturgie (ZDPV 86, 1970 S. 87-89).