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1971

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 9

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Rückfrage nach den „ideengeschichtlichen Beziehungen'
nicht nur auf die - bekannten - Verbindungslinien zu
Rousseau und Lessing ein (übrigens gerade dem Theologen
Lessing dabei sehr gut gerecht werdend), sondern er weist
auch auf die Beziehungen zu Spalding hin und spürt auffallende
Parallelen bei Geliert auf (dies schon für die
Valediktionsrede 1780). Freilich verschiebt Preul die
Akzente: das Fragment „Über die Absichten des Todes Jesu"
wird nicht richtig eingeordnet, wenn resümiert wird, Fichte
bleibe „hier ganz im Rahmen der natürlichen Religion der
Aufklärung" (S. 78). Auch wenn über die Bestimmung des
Menschen die gleichen Aussagen gemacht werden können
wie von der natürlichen Religion her - so ist doch das
erklärte Anliegen Fichtes in dieser Studie, die Bedeutung
des Todes Jesu für das Christentum als die „Religion
guter Seelen" herauszuarbeiten. Die Theologie der Aufklärung
hat sich stets bemüht, das Spezifikum des chris'
liehen Glaubens gegenüber der natürlichen Religion zu
wahren. Es ist darum nicht zutreffend, von einem „unreflek-
tierten ethischen Idealismus" des jungen Fichte (ebd.) zu
sprechen.

Der Schwerpunkt des Buches liegt in dem Kapitel „Die
Krise der Religion" (S. 94-136), das die „Aphorismen über
Religion und Deismus" behandelt. Daß diese Aphorismen
eine tiefgreifende Krise des Denkens bezeichnen, ist schon
früher beschrieben worden (vgl. Heimsocth 1923). Preul
führt sie auf den Streit zwischen Denken und Gefühl zu
rück, der sich aus dem von Fichte bisher verfolgten Bc
gründungszusammenhang der Religion notwendig ergibt.
Die rationale, erkenntniskritische Betrachtung der Religion
erweist das sittliche Gefühl als deren eigentlichen Bereich;
damit wird die Religion aber zugleich der Subjektivität des
Gefühls überantwortet. Die Spekulation dagegen Biufj
schließlich sogar auf den Gedanken der Vorsehung ver
ziehten und behält einen Gottesbegriff, der kaum mehr is'
„als das Woher der Notwendigkeit, als eine Chiffre für
ihre Absolutheit" (S. 111). Jeder andere Cottesbegriff als
dieser streng deterministische ist des Anthropomorphismus
verdächtig. Der strenge Denker ist freilich dadurch der
Religion beraubt. Das ist die Krise der Religion. „Die
Religion, die Fichte zwangsläufig immer stärker dem
Gefühl zuordnete, erleidet durch diese Trennung von
Reflexion und Gefühl den stärksten Verlust: sie sinkt zu
einem subsidiären Moment der Ethik mit nur subjektiver
Gültigkeit herab" (S. 135) - Diese Interpretation ermög
licht Preul nun eine überraschende, weiterführende These:
die Kantsche Philosophie hat Fichte nicht nur von dem
Dilemma des Determinismus befreit, sondern sie hat ihm
„in wesentlichen Punkten die Kontinuität mit sich selbst"
(S. 138) ermöglicht. Die Evidenz des Gefühls für d;is Wahre
und das Gute, auf dem die Religion sich gründet, mußte
nun nicht mehr die Spekulation scheuen. Vielmehr könnt*1
die Lösung der Spannung beider Ebenen, des Wahrheits
gefühls und der Reflexion, in der Wisscnschaftslehrc gesu.-h!
werden.

So überzeugend die Entwicklung Fichtes nachgezeichnet
wird, so schwierig ist offenbar die Aufhellung der „ideen-
geschichtlichen Beziehungen" (S. 121-130). Preul geht hier
den nachweisbaren Beziehungen zu den Entwürfen Ernst
Platners und Carl Fcrd. Hommels nach; der Vergleich mi
Lcssings Determinismus, der sicher weiterführen würde,
wird nicht bis zu einer Interpretation dos Providenzglau-
bens Lessings vorangetrieben. Ebenso bleibt der Determi
nismus der französischen Materialisten ganz außer Betracht.
Das ist schade - denn gerade die Gegenüberstellung jenes
ganz andersartigen Determinismus hätte Hinweise ergeben
können auf das sehr eigentümliche Verhältnis von Glau
°en und Notwendigkeit in den „Aphorismen". Auch der
sehr eklektischen, theologisch überformten Spinoza-Rezeption
im Deutschland der achtziger Jahre des 18. Jahrhun
derts hätte man sinnvoll nachspüren können (Joh. Heinr.

Schulz, Herder). Vermutlich weist das Dilemma zwischen
Denken und Gefühl des Glaubens doch viel stärker auf Friedr.
Heinr. Jakobi hin, als Preul das annehmen möchte (S. 122; vgl.
dagegen Fichtes Briefe an Jacobi vom1 29. 9. 1794 und vom
30. 8.1795). Fichte ist nicht Spinozist geworden. Die Aporie
zwischen rationalem Determinismus und dem Glauben des
Herzens entspricht aber der, die Jacobi 1785 konstruierte -
wenn auch mit umgekehrter Entscheidung.

Dieser Frage nachzugehen wäre von Interesse, weil sich
dadurch leicht die Einordnung Fichtes in die Entwicklung
der Theologie der Aufklärung korrigieren ließe: Fichte hat
nicht die Theologie der Aufklärung zu ihrer Konsequenz
und damit an die ihrem System immanente Grenze geführt
(gegen S. 135). Der strenge Determinismus ist nie die
Position der Ncologie gewesen. Er ergibt s:ch vielmehr
erst da, wo auf die Kategorie der Finalität verzichtet wird.
Fichtes Aporetik ist die Konsequenz jener metaphysischen
Spekulation, die als neue Möglichkeit in der Spätaufklärung
entwickelt wurde.

Die Einwände gegenüber der theologicgeschichtlichen
Einordnung Fichtes sollen anregen, die durch Preuls Arbeit
aufgeworfenen Probleme weiter zu verfolgen. Sie treffen
nur die methodische Vorentscheidung des Verfassers, für die
Erforschung der Herkunft der Fichteschen Gedanken ausschließlich
solche Werke zu untersuchen, von denen wir
heute noch nachweisen können, daß Fichte sie gelesen hat.
In keiner Weise soll dagegen das Verdienst des vorliegenden
Buches geschmälert werden, Fichtes theologische Entwicklung
in seiner Frühzeit entscheidend aufgehellt zu
haben. Die Gründlichkeit und Sauberkeit der Quellcnbe
nutzung, die differenzierende Interpretation und die Klarheit
des Gedankenfortschritts machen die Lektüre dieser
Studie zur Freude.

Nnnnibiins/Snale llimiht Schnitze

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