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Ausgabe:

1971

Spalte:

693-699

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Luther, Martin

Titel/Untertitel:

Von wahrer und falscher Frömmigkeit 1971

Rezensent:

Beintker, Horst

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693

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 9

694

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

(Luther, Martin:) Calwer Luther-Ausgabe, hrsg. v. W.
Metzger

Bd. 7: Das schöne Confitemini. Sendbrief vom Dolmct
sehen. Auslegungen des 118. und 1. Psalms. 202 S.

Bd. 8: Von wahrer und falscher Frömmigkeit. Auslegungen
des 5. und 22. Psalms. 256 S.

Bd. 9: Das Magnificat. Vorlesung über den 1. Johannesbrief
. 221 S.

Bd. 10: Kommentar zum Galaterbrief. 1519. 320 S.

München-Hamburg: Siebenstern Taschenbuch Verlag

(Lizenzausgabe des Calwer Verlages Stuttgart) [1967/68].

8° Siebenstern Taschenbuch 98, 102, 112, 124/125.
Die neue Calwer Luther-Ausgabe liegt nun in zwölf
Bänden vollständig wieder vor. Zur Rezension stehen die
letzten vier Textbände, die der Auswahl nach einzelne und
z. T. zusammenhängende Stücke von Luthers Auslegung des
Psalters, des Magnificat (Lk 1, 46 ff), des 1. Johannes- und
des Galaterbriefes geben. Damit ist der anspruchsvollere
Titel in der alten Ausgabe, die 1932/33 die Texte außer
einem wichtigen neu aufgenommenen in zwei Bänden vorlegte
, aufgegeben (er lautete: Martin Luther. Der Doktor
der Heiligen Schrift. I. Schriften zur Auslegung alt-
testamcntlicher Stücke; II. Schriften ... neutestamentlicher
Stücke). Der Inhalt dieser Bände wurde auf die vier neuen
aufgeteilt. Anordnung, Beigaben und Aufschließung der
Texte sind unverändert. Auch die Vorreden zum Alten
Testament, zum Psalter und zum Neuen Testament finden
sich wieder, jetzt zu Beginn der ungeraden Bände. Zur
neuen Ausgabe insgesamt verweise ich auf meine Rezension
der übrigen Bände (ThLZ 94, 128-133). Kleine Veränderun
gen und Verbesserungen gegenüber der alten Ausgabe
habe ich öfter feststellen können. Bei der Aufteilung der
Texte auf vier Bände kamen die Stücke, die aus den lateinisch
gehaltenen Vorlesungen bzw. den daraus entstandenen
Kommentaren entnommen sind, nur in die geraden
Bände. Das wurde allerdings nicht ganz erreicht. Bd. 7 bringt
bereits mit dem Kommentar zu Psalm 1 eine Übersetzung
aus Luthers berühmten Opcrationcs in Psalmos (7,162-196),
die mit dem übersetzten Kommentar zum 5. und 22. Psalm,
den besten und am häufigsten übersetzten Stücken aus den
Opcrationcs (1519-1522) im achten Band fortgesetzt wird.
Es ist dann im neunten Band ganz neu in diese 2. Auflage
die Übersetzung der Vorlesung Luthers über den 1. Johannesbrief
gekommen, die R. Widmann nach Rörers Vorlesungsmitschrift
erstmals in einen deutschen rekonstruierten
Text gebracht hat (9,109-221). Auch an dieser Erschließung
einer Vorlesung, die Luther im Jahre 1527 in der von Pest
heimgesuchten Stadt Wittenberg den zurückgebliebenen
Studenten hielt, zeigt sich, mit welcher Sachkenntnis und
Kongcnialität der Herausgeber der Calwer Ausgabe die
Texte gewählt hat. Bd. 10 hat eine wesentliche Neuerung:
er enthält ein recht brauchbares Sachregister zu allen zehn
Textbänden.

Die vorliegenden letzten vier Bände der Ausgabe enthalten
Beispiele aus Luthers Schriftauslegung und damit ein
Kernstück seiner Theologie. »Sein ganzes Lebenswerk ist
nichts anderes als der Versuch, dieser Verpflichtung nachzukommen
, ... ,die Heilige Schrift treulich und lauter zu
predigen und zu lehren'" (7,7). Wenn schon die .Reformation
" die Frucht ist »der sorgfältigen und gründlichen
Bemühung um das Wort Gottes, das uns in der Schrift
gegeben ist", und sich von hier aus „die Rangfolge in
Luthers reformatorischem Wirken" ordnet (ebd.), dürfen
auch heute aus seiner Schriftauslegung wesentliche theologische
Anliegen aufgenommen werden. In allem, was er
tat, ging .es ihm letztlich darum, in die Schrift hineinzuweisen
, ihre Forderung und Verheißung weiterzugeben, sie
in die Gegenwart hineinzustellen. Er hat die Menschen

nicht in dem Sinne mündig gemacht, daß jeder glauben
dürfe, was er mag, wohl aber in dem Sinne, daß jeder
selbst prüfen könne und müsse, ob in der Kirche die Wahrheit
Gottes oder die Wahrheiten der Menschen herrschen,
und der Prüfstein ist der Text der Bibel". Diese Erkenntnis
leitete den Herausgeber bei der Auswahl. Er stellt nach
Luthers hermeneutischer Grundschrift (Sendbrief vom Dolmetschen
, 1530) und nach den Vorreden zum AT (1523) und
zum Psalter (hier wählt er die von 1528) Luthers Psalmenauslegung
durch gute Beispiele aus der Fülle von vorhandenen
Texten hierzu im siebenten und achten Band dar.
Im neunten und zehnten Band folgen drei Perlen aus
Luthers Auslegung neutestamentlicher Texte, des Magnifikat,
des 1. Johannes- und des Galaterbriefes. Voran steht die
Vorrede zum Neuen Testament (9,11-18).

Sinnvoll erscheint mir die Zusammenstellung gerade
dieser Auslegungen in einer Lutherausgabe, die Aussicht
haben kann, von interessierten Lesern heute gern benutzt
werden. Hilfreich sind die knappen und treffenden Einleitungen
und Nachreden, ebenso die Anmerkungen unter den
Texten, die den theologischen Gehalt und die zeilgeschichtlichen
Hintergründe von Luthers Gedanken noch deutlicher
werden lassen, als es sonst bei Lutheraussagen gelang.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Beigaben zu
den beiden letzten Bänden. Abgesehen von der ohnehin
neuen Einführung und Nachbemerkung der erstmals aus
den Nachschriften Rörers zugänglich gemachten Vorlesung
über den 1. Johannesbrief hat das Magnifikat eine recht
gute Nachbemerkung des Herausgebers bekommen, die nur
einige Partien aus der Nachbemerkung zur 1. Auflage verarbeitet
. Die Bemerkungen zu Luthers Marienbild schließen
mit der auch heute gültigen Kritik, die Luther gegen eine
»irrende Marienverehrung" hatte.- „Und die wirkliche Maria,
wie sie im Magnifikat zu uns spricht, wird mißdeutet,
wenn um der ihr zuteil gewordenen Gnade willen sie selber
erhöht wird anstatt der sie begnadende Gott, dessen Werk
sie an sich erfährt" (9,104). Es folgt den Ausführungen
über das „Oberflächenbild von Gottes Führung", in die
diese Marienzeugnisse eingeordnet sind, eine theologische
Reflexion über ein »aus dem Glauben erwachsendes Tiefen
bild von Gottes Führung", das im Gegensatz zum Oberflächenbild
stehe. Damit sind die „Paradoxien des Glaubens
" neu umschrieben, in denen Luther, bekanntlich auf
die Schrift gegründet, bei verschiedenen theologischen
Hauptbegriffen wie Gerechtigkeit, Rechtfertigung, Sünde
einen Doppelaspekt feststellte. „Luther arbeitet es in seiner
Auslegung von Marias Worten meisterhaft heraus als eine
Wirklichkeitsschilderung, die auf der lebendigen Erfahrung
des Glaubens sich gründet. Hier ist es zu Ende mit der
Anschauung, daß Gott die Hohen erhöht und die Niedrigen
erniedrigt; hier wird eine dem Augenschein stracks zu
widerlaufende Betrachtung angewandt, wie sie dem Zeugnis
der gesamten Schrift, der Verheißung des Alten und
der Erfüllung des Neuen Testaments entspricht. Das un
mittelbare Wirken von .Gottes Arm' wird da geschaut,
dessen Beschreibung (in Luthers Worten] lautet: daß ,Gott
ein solcher Herr sei, der nichts anderes zu schaffen habe,
als nur zu erhöhen, was niedrig ist, zu erniedrigen, was da
hoch ist, und kurz, zu zerbrechen, was da gemacht, und zu
machen, was zerbrochen ist'. ... hier heißt es, ohne Empfindung
glauben und das Werk Gottes an sich erfahren,
erleiden. Solange man davon nicht persönlich erfaßt ist und
auf Grund eigener Erfahrung (nicht: «Empfindung'!) davon
zu reden vermag, kommt es nicht zu dem unwillkürlichen,
quellenden Lobpreis der göttlichen Barmherzigkeit, wie
das Magnifikat einer ist. Wo es aber selbst erfahren wird,
da preist man dann auch Gott über dem, was er an andern,
z. B. an Maria, getan hat. Von hier aus regelt sich dann
auch die Einstellung zu Maria" (9,105 f).

Zu Luthers Auslegung des Magnifikat selbst ist hier
nicht Stellung zu nehmen; aber die Übertragung in die