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Ausgabe:

1971

Spalte:

686-688

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Davies, William David

Titel/Untertitel:

Die Bergpredigt 1971

Rezensent:

Niederwimmer, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 9

686

(im Prinzip wird der Text der Second Edition zugrunde
gelegt). Auch auf die Überschriften und Zwischentitel der
NEB geht H. mehrfach ausdrücklich ein. So gibt "The New
Testament" Anlaß zu sehr knapper Erläuterung des Begriffs
»Testament" (hier einmal auch unter Rückgriff auf die
entsprechenden hebräischen und griechischen Vokabeln, was
sonst weitgehend vermieden wird) sowie zu ebenso kurzer
genereller Information über die Entstehung der neutesta-
mentlichen Schriften, ihre Ursprache und den geistigen
Rahmen, innerhalb dessen das NT gesehen werden muß -
wobei nach H. selbst das Judenrum der neutestamentlichen
Zeit als eine alles in allem doch nur fragmentarisch bekannte
Gröfje erscheint, während als eigentlich „entscheidendes
Element" des Hintergrundes für das NT das Alte
Testament, insbesondere in der Gestalt der Septuaginta,
zu sehen sei (S. 3-9); es ist deutlich, daß hier schon eine
bestimmte exegetische Richtung sichtbar wird. Ähnlich dienl
auch die Überschrift "The Gospel" als Ausgangspunkt für
eine kurze Erläuterung dieses englischen Wortes und für
eine knappe Darstellung des Weges von der Jesusüber
lieferung bis zu den Evangelien, mit zurückhaltender
Skizzierung der synoptischen Zweiquellentheorie, die
gleichwohl als die handlichste Arbeitshypothese für die
Erklärung vorausgesetzt wird (S. 13-16). Demgemäß werden
die allen drei Synoptikern gemeinsamen Abschnitte
jeweils bei Markus erläutert (die Mk.-Auslcgung ist daher
mit 111 Seiten umfänglicher als die zu Mt. mit 83 und zu
Lk. mit 88 Seiten); bei dun anderen Evangelien wird
dann gar nicht immer ausdrücklich darauf verwiesen.

Hier mag man bezweifeln, ob Leser ohne Kenntnis der
für den Exegeten selbstverständlichen Voraussetzungen,
denen die Art der synoptischen Verwandtschaft der drei
ersten Evangelien nicht völlig vertraut ist, diese Anlage
verstehen werden - und an solche relativ voraussetzungslosen
Leser denkt die Erklärung doch mindestens auch. Der
allgemeine Hinweis auf diese Anlage ist innerhalb der
Einleitung (S. 14 f.) ziemlich versteckt; ein schematisches
und darum deutliches System von Verweisen von Mt. und
Lk. auf jeweiligen Abschnitt bei Mk. fehlt. - Auch sonst
wird von Verweisen nur sparsam Gebrauch gemacht. So sei
erwähnt, daß etwa 22 Kartenskizzen in den Kommentar
eingestreut sind, von denen einige, die ganz oder fast
identisch sind (vgl. S. 25 mit S. 126 und S. 146; ferner
S. 161 mit S. 317), durch Verweise hätten eingespart werden
können. Einige Skizzen sind weniger informativ, als
sich ohne großen Aufwand hätte erreichen lassen (z. B.
S. 170 und S. 537), während andererseits die Zerlegung der
üblichen Karte zu den Missionsreisen des Paulus in viele
»Teilstrecken" (eingestreut in die Acta-Auslegung) natürlich
die Orientierung erleichtert. Zu erwägen wäre, ob zwei
oder drei Gesamtübersichtskarten als Ausschlagtafeln am
Ende des Bandes nicht günstiger plaziert wären.

Das Wagnis, als Einzelner einen kursorischen Kommentar
zum ganzen NT zu verantworten, ist dem Vf. voll
bewußt. Wenn er vornehmlich C. H. Dodd - der auch der
^auptvcrantwortliche für das Neue Testament der NEB
War (vgl. ThLZ 86, 1961 Sp. 650) - für durchgehende
Beratung am ganzen- Manuskript dankt, so kann man erwarten
- und wird darin nicht getäuscht -, in dem Werk
ejn Produkt bester englischer exegetischer Tradition vor
sich zu haben.

Die Grundhaltung kann als die einer maßvoll-konservativen
historischen Kritik gekennzeichnet werden. Das heißt
e'nmal, daß der Leser in den - sehr kurzen - Einleitungen
2u jeder Schrift des NT auch mit kritischen: Einstellungen
z- B- zur Verfasserfrage bekannt gemacht wird, während
s'ch H. doch mit der gebotenen Vorsicht meist zu konser
vativen Lösungen bekennt (unter den Paulinen wird eigentlich
nur Eph. ernsthaft als .Imitation" behandelt; selbst für
öle Pastoralbriefe neigt H. eher der Sekretärshypothese
•U' ohne freilich anzudeuten, wie dadurch die zuvor für

andere Lösungen aufgezeigten Schwierigkeiten behoben
würden,- S. 661). Ebenso wird bei der Einzelerklärung
vieler synoptischer Texte die Möglichkeit historischer »Un-
echtheit" ohne falsche Befangenheit angedeutet, aber in
den meisten Fällen doch so eingeschränkt, daß die Erklärung
im übrigen ohne weitere Reflexion der Frage die
konservative Möglichkeit verfolgt. (Doch ist auch für H.
kein Zweifel, daß etwa Mt. 2,1-12 legendär, Mt. 5-7 eine
Komposition aus ursprünglich nicht zusammengehörigem
Jesusgut, Mk. 13 aus echten Jesuslogien und anderweitigem
Material kombiniert ist, usw.)

Zu der konservativ-historisch-kritischen Haltung gehört
ferner, daß die Synoptiker generell unter historischem
Aspekt ausgelegt werden. Obwohl H. die Grundeinsichten
der Formgeschichte (der Ausdruck fällt auf S. 15 f. nicht)
anerkennt, macht er in der Auslegung dem Leser kaum je
deutlich, daß die Texte vor ihrer Aufnahme in die Evangelien
zunächst als Einzelperikopen der Verkündigung der
nachösterlichen Gemeinde dienten. Vielmehr ist die Erklärung
auf eine — sorgfältige und kenntnisreiche - Erläuterung
der historischen Situation des Lebens Jesu gerichtet.
In diese Richtung weisen übrigens schon die Zwischenüberschriften
der NEB selbst (etwa für das Markusevangelium
insgesamt nur sechs!), die nicht den Inhalt einzelner Peri
kopen, sondern die Großabschnitte eines (eben doch auf
der literarischen Konstruktion des Markus beruhenden)
„Leben Jesu" markieren wollen. Äußerlich hat das zur Folge,
daß auch im Kommentartext die Abgrenzung kleinerer
Texteinheiten nicht ins Auge springt - förderlich im Sinne
einer kontinuierlichen Texterklärung, aber nicht im Sinne
der Übersichtlichkeit.

Das dritte Merkmal der Arbeit im Ganzen scheint mir
eine gewisse historische Distanz gegenüber dem Gegenstand
zu sein 3, die natürlich sowohl mit der Absicht, vornehmlich
zu informieren, als auch mit der zuvor gekennzeichneten
exegetischen Grundhaltung zusammenhängt, aber doch wohl
zu einer gewissen Unterbetonung der theologischen Aussage
der Texte führt; namentlich die Auslegung der Briefe bleibt
dadurch manchmal etwas zu summarisch und mager, und
nur selten wird das - an sich keineswegs zu bezweifelnde -
Engagement des Autors für seinen Gegenstand sichtbar
(etwa am Ende der Einleitung zur Bergpredigt, S. 28).

Aufs Ganze gesehen ist die wohltuend klare Diktion des
Verfassers und die damit verbundene Fähigkeit, auch über
kompliziertere Sachverhalte knapp, klar und zielstrebig zu
informieren, rühmend hervorzuheben. Seine Arbeit wird
gewiß vielen bildungswilligen englischen Bibellesern den
Weg zu einem sachlichen Studium des Neuen Testaments
eröffnen und erleichtern können.

Naumburg Nikolaus Walter

1 Vgl. tat Bericht vou H. Hunger, ThLZ 8G, 1961. «49—054.

2 Angezeigt von G. Haufe, ThLZ 90, 1965, C83; 91, 19GG, 657 f.;
92, 1967, 816 f.; 93, 19G8, 751.

3 Hier liegt wohl der Hauptuntorschied ZU dem sonst in
manchem vergleichbaren deutschen Parallelwerk „DaB Neue
Testament mit Erklärungen" (eines Arbeitskreises von 11 Auslegern
), Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft Berlin 1964.

Davies, William David: Die Bergpredigt. Exegetische Untersuchung
ihrer jüdischen und frühchristlichen Elemente.
Mit einem Geleitwort v. U. Wilckens. Übers, v. C. u. G.
Reim. München: Claudius Verlag [1970]. 200 S. 8°. Kart.
DM 16,-.

Der Vf. hatte Gelegenheit, in einem Zyklus von Gast
Vorlesungen die wichtigsten Ergebnisse seiner großen
Untersuchung über die matthäische Bergpredigt ("The
Setting of the Sermon on Ihe Mount", Cambridge, Univ.