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Ausgabe:

1971

Spalte:

619-621

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schreiber, Johannes

Titel/Untertitel:

Theologische Erkenntnis und unterrichtlicher Vollzug 1971

Rezensent:

Müller, Norbert

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619

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

620

Es ist zu bedauern, dafj die Analyse der biblischen Texte,
der Exaktheit und Differenziertheit attestiert werden kann,
im systematischen Teil nicht zu annehmbaren Ergebnissen
führt. Es mag daran liegen, daß die Analyse sich mit dem
negativen Ergebnis begnügt, anstatt ihm positiv das ntliche
Reden vom Gottesreich gegenüberzustellen und damit den
Kern der biblischen Botschaft.

Lich/Oberhessen Hans-Werner Bartsch

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Schreiber, Johannes: Theologische Erkenntnis und unterrichtlicher
Vollzug. Dargestellt am Beispiel des Markusevangeliums
. Hamburg: Furche-Verlag [1966]. 196 S. 8". —
2. durchgesehene, ergänzte Aufl. 1968. 206 S.
Das Buch bietet in einem strengen und sehr gefüllten Sinn
das dar, was sein Titel verspricht: Eine Untersuchung über
die Beziehungen von exegetischer Erkenntnis und unterrichtlicher
Praxis, wobei sowohl die am kritischen Schriftstudium
gewonnene theologische Einsicht des Lehrenden
als Voraussetzung fruchtbaren Unterrichtens wie auch
ein selbständiges Verstehen theologisch-exegetischer Grundfragen
beim heranwachsenden Schüler als Ziel katechetischer
Arbeit ins Auge gefaßt werden.

Es geht dem Vf. nicht nur darum, den Fragen und Ergebnissen
historischer Schriftauslegung im Unterrichtsgeschehen
endlich den ihnen gebührenden Platz einzuräumen. Historische
Kritik ist ihm nicht Verlegenheit, unentrinnbar gewordene
Fatalität, der man sich wohl oder übel zu beugen
hätte. Vielmehr wird ihm die kritische Haltung gerade zu
einem wirksamen Instrument, den biblischen Unterricht
aus den Fesseln autoritärer Strukturen zu befreien und
in den Rang einer verantwortlichen wirklichkeitsnahen
Glaubenshilfe zu erheben. Es handelt sich also um
jene Neuorientierung in dem Verhältnis von Glauben und
Wissen, wie sie seit dem Zeitalter der Aufklärung für die
Theologie auf der Tagesordnung steht und innerhalb deren
Katechetik und Religionspädagogik eine trotz aller diesbezüglichen
Bemühungen bisher wohl immer noch zu wenig
respektierte Schlüsselposition einnehmen (vgl. S. 18 f.) i Kritischem
Denken ist es nicht um eine Reduktion der Glaubenssubstanz
, sondern um eine Vertiefung und Personalisierung
der Glaubenshaltung zu tun; ihr entspricht nicht zuerst
eine Verkürzung des Lernstoffes, sondern eine Erweiterung
der in den Unterrichtsprozeß einzubeziehenden
Fragenkomplexe. Das vorliegende Buch ist eine Gesamtdarstellung
der Unterrichtsaufgaben unter dem berührten Gesichtspunkt
durch alle Altersstufen der Kindheits- und Jugendentwicklung
. Wenn der Vf. sich bei der Demonstration
seiner didaktischen Prinzipien auf das Markusevangelium
beschränkt, so liegt darin einmal eine methodisch kluge
Eingrenzung auf ein übersehbares Stoffgebiet. Zum anderen
kann der Vf. gerade hier mit besonderer Kompetenz sprechen
, weil er sich durch seine redaktionsgeschichtlichen
Forschungen über dieses Evangelium (vgl. seine Bücher:
Theologie des Vertrauens, 1967; Die Markuspassion, 1969)
auch als Exeget ausgewiesen hat.

Den Entwicklungsphasen der Schüler entsprechend stellt
Schreiber die sich aus seinem Ansatz ergebenden Unterrichtsaufgaben
in drei jeweils unter einen thematischen
Leitgedanken gestellten Hauptteilen dar. Diesen Leitgedanken
werden die ihnen entsprechenden exegetischen
Beobachtungen zugeordnet; andererseits werden die bei
den Altersstufen zu berücksichtigenden psychologischen Gegebenheiten
sorgfältig erörtert. Konkrete Vorschläge für die
Wahl der Texte und sich anschließender Unterrichtsstoffe
sind dadurch sachgemäß fundiert.

Für die erste Phase, das „Märchenalter", wird »Das
Kerygma als Erzählung" ins Auge gefaßt (S. 18
bis 51). Schon hier wird erkennbar, was Schreibers Methode
zu leisten vermag i Er erteilt keine Rezepte, wie der biblische
Text dem Alter oder einem religiösen Zweck entsprechend
umzumodeln sei; ihm geht es darum, das Kerygma
in seiner eigenen Intention sprechen zu lassen, derzufolgc
es weder wie ein Märchen noch wie ein historischer Bericht
darzubieten ist, aber auch mit keiner autoritären Glaubensforderung
belastet werden darf: „Im Hören der Erzählung
vertraut das Kind dem Wort der Erzählung ganz und gar
... Es darf zu keiner Vergewaltigung kommen" (S. 49). Vergewaltigung
im Sinne des Vf.s wäre freilich auch ein massiver
Überfall mit Problemen, die das Kind noch nicht ver:
arbeiten kann. So ist es besonders wichtig, z. B. in der
Passionsgeschichte jene Motive herauszuarbeiten, die dem
Märchenalter entsprechen i „Jesus weiß um die kommenden
Gefahren und den abschließenden Sieg, weil er seinem Vater
vertraut"; gerade so „kommt dem Kinde der Unterschied
zum Märchen anschaulich zum Bewußtsein" (S. 35).

In der zweiten Phase, der „Realitätsperiode" geht es
um das Verhältnis von „ Kerygma und Erfahrung"
(S. 52—108). Hier gilt es, eine lebendige Beziehung zwischen
dem biblischen Text und dem sich erweiternden und vertiefenden
Wirklichkeitssinn der Schüler herzustellen. So gehört
es jetzt zu den Aufgaben des Unterrichts, in die Fülle
der biblischen Realien einzuführen, ohne doch den Text als
„Leben Jesu" zu mißdeuten. Eine Fülle von „Querverbindungen
" zum kirchlichen Leben, zur Welt-, Rcligions- und
Kirchcngeschichtc kann dieser Aufgabe dienen. Vf. empfiehlt
, die Passionsgeschichte auf dieser Stufe nicht als
Ganzes darzubieten, doch schlägt er vor, Mk 14,66—72 zu
behandeln: „Das in den Streitgesprächen implizierte Pas-
sionskerygma" wird an Hand dieser Perikope „unaufdringlich
und der Altersstufe angemessen expliziert: Der mutige
Glaube wird dank Jesu Sieg über die Todesangst als unzerstörbare
Kraft des von Gottes Liebe getragenen Lebens erkennbar
" (S. 94).

Die dritte Phase, das „Jugendalter", wird im Licht der
Begegnung von „Kerygma und Erkenntnis" gesehen
(S. 109—168). Das Ziel ist hier, zu einem selbständigen
, kritischen und theologischen Erkennen anzuleiten, wobei
nun eine Konfrontation unmittelbar mit den Texten
stattfinden kann. Gerade am Beispiel der Passionsgeschichte,
speziell des Kreuzigungsberichtes (S. 145 ff.), wird demonstriert
, wie es möglich ist, einmal den Text einer differenzierten
historischen Kritik zu unterziehen, weiterhin aber
die theologischen Intentionen des Markus zu erfassen, der
„sein Evangelium als eine Passionsgeschichte mit ausführlicher
Einleitung" (S. 151 f.) konzipiert hat. Das aber leitet
zu der Frage des Schülers, „ob er es selbst im Sinne des
Markus mit Jesus von Nazareth in seinem Leben wagen
will" (S. 152). Damit hat die exegetische Orientierung des
Unterrichts ihre pädagogische Zielstellung erreicht: Der
Schüler wird „durch die Orientierung über die Botschaft des
Markusevangelistcn nach dem Fundament seines bisherigen
Lebens gefragt" (a. a. O.). Schreiber erreicht dieses Ziel, indem
er auch hier streng dem an anderer Stelle betonten
Grundsatz folgt, daß nicht „Modernisierung der Texte", sondern
„Konzentration" auf ihre kerygmatische Grundrichtung
Ziel der didaktischen Bemühung zu sein habe (vgl. S. 29,37).

Vf. hat seine redaktionsgeschichtlichcn Forschungen zum
Markusevangelium unter dem Titel „Theologie des Vertrauens
" gestellt (s. o.). Auch seine Didaktik ist von einer Theologie
des Vertrauens getragen, das sowohl den Möglichkeiten
wissenschaftlicher Arbeit („Die Wissenschaft erleichtert
das Wagnis des Glaubens", S. 167) als auch der Macht göttlicher
Gnade gilt: „Der Glaube weiß, daß die ihm innewohnende
Erkenntnis Gottes in aller menschlichen Anstrengung
um Klarheit des göttlichen Wortes nicht sein Werk, sondern
reines Geschenk und Gnade ist" (S. 168). So ist sein Buch