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Ausgabe:

1971

Spalte:

607-610

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Krüger, Friedhelm

Titel/Untertitel:

Bucer und Erasmus 1971

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

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nötigen Mittel zukommen ließ (S. 45). Es war eine fünfklas-
sige Schule mit Aula, eigener Kapelle und angeschlossenem
Konvikt, das 200 Schüler beherbergte. Keineswegs war sie
ein Konkurrenzunternehmen zu den bischöflichen Seminaren
, es wurde kein Griechisch gelehrt.

Die Schule war die Gründung eines Privatmannes, der
sein ganzes Geld in sie steckte und dennoch dauernd von
der öffentlichen Hand abhängig war. Deshalb läfjt sie sich
auch nicht mit den von den Landständen in Österreich gegründeten
Schulen vergleichen, die an die Universitäten
heranführten.

Wir erfahren einiges über die Lehrer, den Lehrplan, die
Schulordnung und die Zucht im Konvikt (S. 49—53). Infolge
von Krankheit sah sich Rasser 1584 genötigt, die Leitung
der Schule aufzugeben. Sie bestand weiter fort und wurde
1615 endgültig den Jesuiten übergeben. Rasser hat biblische
Schuldramen geschrieben (S. 56—60) und pastoraltheologische
Schriften verfaßt; das Bemühen um die Predigt scheint
bedeutsam. Es ist dies ein Gegenstück zu seiner Tätigkeit
als Visitator im oberen Elsaß. Die Visitationen führte er im
Auftrag des Kardinals Andreas durch, der Bischof von Konstanz
war, öfter aber noch im Dienste der weltlichen Regierung
. Diese kümmerte sich hier ähnlich wie in den österreichischen
Alpenländern mehr um Religion und Kirche als
die geistlichen Instanzen. 1584 wurde er zum erzherzoglichen
Rat ernannt. Fallweise hatte er es auch mit Protestanten
zu tun, so in Rappoltsweiler mit Egenolph III. von Rap-
poltstein, der seines Protestantismus wegen, den er in seiner
Herrschaft kräftig förderte, 20 Jahre mit der Regierung in
Streit lag. Rasser visitierte auch in Künzheim und Zellenberg
, dessen Rat ganz evangelisch war (S. 70). Religionsmandate
des Landesfürsten hatten keinen Erfolg.

Als Anerkennung seiner Tätigkeit verlieh ihm der Landesfürst
die kleine Cluniazenser-Propstei S. Niclas in Enschingen
, um die er mit den französischen Herren von Cluny
streiten mußte (S. 77—79). 1590 trat Rasser von seinem
Pfarramt in Ensisheim zurück, er lebte fortan in Enschingen,
wo er 1594 gestorben ist.

Im Schlußkapitel „Die kirchlich-religiöse Situation der
katholischen Kirche im Oberelsaß um 1590/1600" urteilt der
Vf. folgendermaßen: „Beim Tode Rassers war das Bild der
katholischen Kirche noch nicht entscheidend, aber doch
schon im Ansatz zum Besseren gewandelt" (S. 85). Es bedurfte
noch einiger Zeit, bis die Beschlüsse des Konzils zu
Trient sich auswirken konnten. Damals waren die Zustände
vor allem im Klerus noch katastrophal.

Die Darstellung vom Wirken einer nicht unbedeutenden
Persönlichkeit, deren Wesen sich von dem seiner Standesgenossen
vielfach wohltuend abhob, gründet der Vf. auf bislang
noch nicht benützte Quellen, deren Fundorte er auf S.
IX angibt. Einige Stücke sind im Anhang abgedruckt, zwei
davon stammen aus dem Landesregierungsarchiv für Tirol
in Innsbruck. Den Schluß bildet ein Namens-, Sach- und Ortsregister
, die Sekundärliteratur ist auf den Seiten X—XII verzeichnet
. Als Ergänzung zum bisher vorhandenen Schrifttum
ist die Studie wertvoll.

Wien Grete Mecenseffy

Krüger, Friedhelm: Bucer und Erasmus. Eine Untersuchung
zum Einfluß des Erasmus auf die Theologie Martin Bu-
cers (bis zum Evangelien-Kommentar von 1530). Wiesbaden
: Steiner 1970. X, 233 S. gr. 8° = Veröffentlichungen
des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 57. Abt.
Abendländische Religionsgeschichte, hrsg. von J. Lortz.
Lw. DM 40.-.

Diese im Wintersemester 1968/69 von der Evangelisch-
Theologischen Fakultät der Universität Münster angenommene
Dissertation führt in extenso aus, was in vielen Einzelstudien
anderer teilweise schon thematisch gemacht worden
war: den Einfluß des Humanismus, respektive des
Erasmus, auf den Straßburger Reformator Martin Bucer.
Eine zusammenfassende Behandlung der Problematik fehlte
bisher, obwohl kaum eine Veröffentlichung über Bucar sie
ganz unbeachtet gelasen hatte.

Der Vf. beginnt mit einem ausgedehnten Blick in die Forschungsgeschichte
seit 1900 und beschreibt dabei Ausgangspunkt
und Wirkungen August Längs, der behauptet hatte,
Bucer besitze „nichts von dem für Zwingli so wichtigen
humanistisch-spekulativen Elemente" (S. 3). Auch nach jahrzehntelangen
Forschungen hat Lang diese These (noch 1941)
aufrechterhalten (S. 6). Krüger geht die Reihe der Bucer-
Forscher durch. Anrieh, R. Seeberg, W. Koehler, O. Ritsehl,
Eells, R. Schultz, Bellardi, Stuppcrich, W. Holsten, H. E. Weber
, Strohl (er im besonderen, weil er sich der in dem vorliegenden
Buch thematischen Frage: „Bucer, humaniste chre-
tien" zugewendet hatte), W. Maurer, Tcmmcl, H. Bornkamm,
Kantzenbach, O. Rudioff, Johannes Müller, E.-W. Kohls, K.
Koch und Raubenheimer werden genannt.

Zwar ist das Humanismusproblem im Denken Bucers
immer wieder „verschieden gesehen und beleuchtet worden
", ja manche „Darstellungen übergehen es ganz" (S. 36)
bzw. terminieren es früh (Eells 1524'25), aber im allgemeinen
ergibt die Bilanz, daß den oberdeutschen Reformator
starke Einflüsse der Theologie und Philosophie des Erasmus
bis an sein Ende begleitet, ja sogar bestimmt haben. Krüger
stellt, sicherlich zutreffend, in diesem Zusammenhang folgende
Beobachtung heraus: „Wird aber unter der Voraussetzung
, daß Bucers humanistische Bildung überhaupt in
Anschlag gebracht wird, ein fortdauernder Einfluß registriert
, dann wird er sehr häufig je nach dem Standort des
Interpreten einer Wertung unterworfen. Besonders den lutherisch
orientierten Theologen erscheint jeder Schritt Bucers
in Richtung auf Erasmus zu als ein Sturz aus der Höhe
der Theologie Luthers in die humanistischen Niederungen
einer philosophisch verwässerten Theologie" (a. a. O.). Es
ist nicht nur dieser Satz, es sind dazu Nennungen von Lehrern
Krügers bzw. Förderern der Arbeit (Stupperich, Goc-
ters, Lortz, Iserloh, Küng u. a.), die gleich eingangs wahrscheinlich
machen, daß das konfessionelle Problem bei der
Ergebnisfindung des Vf.s nicht wesentlich Pate gestanden
hat.

Bereits durch die Darstellung der Forschungsgcschichtc
schälen sich für Krügers Disposition thematische Schwerpunkte
heraus, die ihn bei der Kapitclcinteilung leiten: „Gesetz
und Evangelium, die Rechtfertigung, die Ethik und die
Frage der natürlichen Offenbarung" (a. a. O.). Für all diese
in der Theologie Bucers wesentlichen Komplexe weist der
Vf. erasmischen Einfluß nach und schließt sich damit der
These Raubenheimers an, „für den Bucer .eigentlich immer
der erasmische Mensch geblieben ist' . . . Am Ende einer
65jährigen Periode der Bucerforschung steht geradezu die
Umkehrung der Ausgangsposition" (S. 37).

Bevor sich Krüger den vorerwähnten Einzelthemcn widmet
, streut er ein biographisches Kapitel ein, das sub specie
des Erasmus durchgeführt wird (S. 38—68). Auch wenn die
Anfänge Bucers „im Dunkel" liegen (S. 38), läßt sich doch
leicht von dem erasmischen Geist in der Schlettstädter Schule
her auf die Beeinflussung des jungen Studenten schließen.
Bucer hatte bald Verbindung mit bestehenden Humanistenzirkeln
(Schlcttstadt und Speyer) und direkt bzw. indirekt
mit einzelnen, die durch ihre Position in oder zwischen Humanismus
und Reformation bekannt geworden sind: Capito,
Spalatin, Hutten und Gcrbel. Deutliche literarische Zeugnisse
aus dieser Zeit fehlen, doch läßt ein aus dem Jahre
1518 stammendes Bücherverzeichnis Schlüsse zu, mit wem
sich Bucer befaßte bzw. wem er in dieser Zeit zuneigte. Das
Übergewicht antiker Schriftsteller und Dichter ist charakteristisch
; von den Zeitgenossen steht neben Faber Stapu-
lcnsis der anerkannte Fürst der humanistischen Gclehrten-
rcpublik: Erasmus. Die Mehrzahl seiner bis 1518 enchic-