Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

606-607

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bücking, Jürgen

Titel/Untertitel:

Johann Rasser und die Gegenreformation im Oberelsass 1971

Rezensent:

Mecenseffy, Grete

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

605

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

606

Zunächst wird die Entwicklung der Freiheitsidee von der
Gründung Clunys bis zur Libertas Romana dargestellt. Als
wichtige Etappe gilt der Pontifikat Johannes XIX. und dessen
Maßnahmen zugunsten des burgundischen Klosters.
Hatte Cluny bis dahin schon durch einige Papsturkunden
die Anerkennung seiner Immunität (zuerst durch Johannes
XI. 931) und seiner Exemtion (zuerst durch Gregor V. 998)
erhalten, so bekannte sich nun das Papsttum voll zu seinen
Eigentumsrechten über das Kloster, um dadurch in wohlverstandenem
eigenem Interesse den gerade damals laut gewordenen
Ansprüchen des Bischofs von Mäcon zu begegnen
. Was Immunität, Exemtion und Proprietas Romana im
allgemeinen bedeutete und inwiefern Cluny zur Fortbildung
dieser Rechtsinstitutionen beigetragen habe, wird mit besonderem
Hinweis auf die Übereignung von Vezelay an den
Papst in der Mitte des 9. Jh.s und auf die Auseinandersetzungen
des Abtes Abbo von Fleury mit dem französischen
Episkopat am Ende des 10. Jh.s in eigenen, freilich stellenweise
recht summarischen Abschnitten erläutert. Nach Johannes
XIX. gestaltete sich die Verbindung Clunys mit Rom
immer enger. Hatte das Kloster das Papsttum zum Schutz
seiner wiederholt angefochtenen Freiheit nötig, so erschien
anderseits den römischen Reformern diese cluniazensische
Freiheit bereits als kirchliches Ideal, wofür emphatische
Äußerungen des Kardniallegaten Petrus Damiani aus dem
Jahre 1063 und des Papstes Gregor VII. von 1080 beispielhaft
sind.

Ein weiterer Untersuchungskomplex stellt die Ausbreitung
Clunys in und außerhalb Frankreichs dar und welche Unterstützung
dieser durch Rom im Einzelfalle zuteil wurde, ganz
abgesehen von dem schon durch Johannes XI. gewährten
Recht der Aufnahme fremder Mönche in Cluny und der
Übertragung der Exemtion auf alle cluniazensischen De-
Pcndancen durch Johannes XIX. An der Geschichte verschiedener
Priorate und Reformklöstcr läßt sich erweisen, wie
wichtig überall die Hilfe des Papsttums war, aber auch, wie
es aus zum Teil sehr vordergründigen politischen Erwägungen
zur Variation der Privilegierung kommen konnte. Long-
Pont bei Paris blieb unter bischöflicher Jurisdiktion; die
Romfreiheit der Hirsauer und die Erbvogtei in deutschen
Klöstern waren bekanntlich besondere Probleme; eigenmächtige
Reformen in Toulouse und im spanischen Sahagün
forderten das Einschreiten sowohl des Papstes als auch des
Abtes von Cluny heraus. Damit sind freilich nur einige Beispiele
aus dem breiten Untersuchungsfeld genannt, in dem
nur England wegen des dort nicht bestehenden Konnexes
von cluniazcnsischcr und gregorianischer Reform fehlt.
Überall anderswo kann mit der Ausbreitung Clunys auch die
Verbreitung der römischen Reformideen jener Zeit konstatiert
werden. Ob die englischen Verhältnisse nicht eine Revision
des allgemeinen Eindruckes vom Zusammenwirken
beider Reformen veranlassen müßte und daher das Übersehen
Englands einer kaum zu rechtfertigenden Unterlassung
gleichkommt, darf wohl kritisch gefragt werden.

Den unterschiedlichen Auffassungen zwischen Cluny und
Rom über die Ziele der Reform und den daraus erwachsenden
Konflikten geht der Autor in jenem Teil seines Buches
nach, der über die Epoche Hugos des Großen in besonderer
Weise handelt. Am deutlichsten ist der Interessengegensatz
Wohl in den bekannten Fällen, wo der Abt vom Papste deswegen
getadelt wurde, weil weltliche Potentaten als bußfertige
Mönche in Cluny eintraten, um hier milites Christi
"m geistlichen Sinne zu werden, statt als milites saneti Petri
dem Papste und der Kirche in der Welt und durch ihren
Weltlichen Einfluß zu dienen. Solchen Kontroversen werden
die Zeugnisse für das Zusammengehen von Cluny und Rom
im Verlaufe des Investiturstreites gegenübergestellt, so etwa
die Mittlerrolle des Abtes Hugo zwischen Gregor VII. und
Heinrich IV., die Kooperation des Abtes mit päpstlichen Legaten
in Frankreich, die Rolle Clunys in der Vorgeschichte
der Kreuzzugsbewegung. Daß nach dem Beispiel von Cluny

um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert die päpstliche
Kurie reformiert wurde, ist eine bekannte Tatsache.

Ein Epilog ist der Zeit nach dem Tode Hugos des Großen
gewidmet und der Frage, wie es zum Niedergang Clunys
kommen konnte, dessen prächtige, unter Hugo begonnene
Klosterkirche erst fertig wurde, als sich die cluniazensische
Bewegung längst überlebt hatte. Die Conclusion lautet, daß
trotz aller deutlich hervortretender Kooperation von Cluny
und Rom im 11. Jh. doch zwischen beiden Reformrichtungen
unterschieden werden muß.

Der Rezensent aber darf mit der Bemerkung schließen,
daß das Buch, abgesehen von oft nötigen Ergänzungen in
bezug auf die Literatur, eine interessante und wertvolle Bereicherung
der Forschung darstellt und ein wichtiges historisches
Problem gelöst haben dürfte.

Saarbrücken Harald Zimmermann

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Bücking, Jürgen: Johann Rasser (ca. 1535—1594) und die Gegenreformation
im Oberelsaß. Münster/W.; Aschendorff
1970. XII, 121 S. gr. 8° = Reformationgeschichtl. Studien
u. Texte, in Verb. m. T. Freudenberger, H. Jedin, E. Iser-
loh, K. Rcpgen u. E.-W. Zeeden hrsg. v. A. Franzen, 101.
Kart. DM 18,—.

Die vorliegende Arbeit ist nicht nur ein Bericht über das
Leben Johann Rassers, sondern - wie der Titel angibt —
auch eine Darstellung der religiös-kirchlichen Lage im Oberelsaß
in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, die den Hintergrund
für die Tätigkeit des gebildeten und zielstrebigen
Pfarrers abgibt, der seine Kraft für die Hebung und Besserung
der römischen Kirche einsetzte. Der Niedergang der
katholischen Kirche wird nicht geleugnet; nicht nur die
schlechte Ausbildung und mangelhafte Moral des Klerus
waren daran schuld, sondern auch der Adel, der mit den
Kircheneinkünften nach Belieben schaltete und waltete
(„schalte" ist wohl Fehler im Text auf S. 2) und unwürdige
und ungebildete Priester anstellte. Doch hielten die habs-
burgischen Landesherren, Kaiser Ferdinand I. und Erzherzog
Ferdinand IL, ihre schützende Hand über die katholische
Kirche.

Rasser war um 1535 in Ensisheim geboren, studierte an
der Universität Freiburg, erwarb 1558 den Grad eines Bacca-
laureus der „artes liberales" und wurde, anscheinend ohne
den Magisterrang erreicht zu haben, im gleichen Jahr zum
Priester ordiniert. An einer theologischen Fakultät hat er
nicht studiert (S. 10). Er wurde Kaplan in Ensisheim, und
da er sich als tüchtig erwies, 1563 Dekan am St.-Martins-Stift
in Colmar. 1565 kehrte er nach Ensisheim zurück; 1571 findet
man ihn wieder als Dekan und Kantor in Colmar verzeichnet
. Dies hing wohl damit zusammen, daß sich in der
Reichsstadt der evangelische Glaube ausbreitete. Die Mehrheit
des Rates war evangelisch. Dieser ging zwar nur zögernd
vor, hat aber doch 1575 am St.-Martins-Stift den evangelischen
Gottesdienst eingeführt und evangelische Lehrer
an die Lateinschule berufen (S. 24). Das katholische Kirchenwesen
blieb daneben bestehen, hat auch gerade durch das
Vorgehen des Magistrats neue Belebung erfahren, die von
Rasser kräftig unterstützt wurde, aber Colmar war doch eine
vorwiegend evangelische Stadt, bis 1628 Kaiser Ferdinand IT.,
gestützt auf seine starke militärische Stellung im Reich, die
Rekatholisierung durchführen ließ (S. 34). Neben der Verwaltung
seines Amtes an der Pfarrkirche St. Martin in Ensisheim
war Rassers bedeutendste Leistung die Gründung
einer höheren Schule nach Art der Jesuitenschulen. Doch gedieh
das Werk aus Mangel an Geld nicht, bis ihr der Kardinal
Andreas von Österreich, Markgraf von Burgau, die