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Ausgabe:

1971

Spalte:

585-587

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gaston, Lloyd

Titel/Untertitel:

No stone on another 1971

Rezensent:

Delling, Gerhard

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585

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

586

S. 139 ff. (zu Apg 17): Ziel des Lukas ist es, Gebildete zu
bekehren. Er erscheint noch stärker als Verwandter Justins
als in der ersten Auflage.

Vielleicht erfährt man bei Gelegenheit vom Vf. etwas über
die vom Petriner Lukas verschwiegene petrinische Tradition
. An Einfällen fehlt es dem Autor von The Puzzle of 1
John ja nicht.

Göttingen Hans Conzelmann

Gaston, Lloyd: No Stone on Another. Studies in the Signifi-
cance of the Fall of Jerusalem in the Synoptic Gospels.
Leiden: Brill 1970. IX, 537 S. gr. 8° = Supplements to No-
vum Testamentum, ed. W. C. van Unnik etc., XXIII. Lw.
hfl. 82.-.

In der Introduction (I) seiner Baseler Dissertation zeigt
Gaston zunächst auf, wodurch das Bündel der von ihm behandelten
Themen zusammengehalten wird: es ist die Frage
nach der Bedeutung des Untergangs Jerusalems bzw. des
Tempels und damit zugleich die Frage nach der Stellung
zum Tempel bzw. zum Kult überhaupt auf den verschiedenen
Stufen der synoptischen Tradition bzw. bei Jesus selbst.

Aus der formkritischen Analyse von Mk 13, die, wie G.
betont, vor ihm bisher noch nicht ernstlich vorgenommen
wurde1, ergibt sich eine komplizierte Geschichte dieses Textes
. Wenn in ihm auch das eine und andere Jesuslogion verwendet
wurde (etwa in V. 30.31.32), so geht die Rede doch
in der Hauptsache auf die urchristliche Prophetie zurück;
sie war ursprünglich als eschatologische Rede des erhöhten
Herrn verstanden worden; Markus übernahm 13,5—37 als
Ganzes und bezog es auf die Zerstörung des Tempels
(13,1 f.), während der älteste Kern (V. 14—19) von dessen
Entweihung - und die spätere prophetische Rede von
der Zerstörung Jerusalems gesprochen hatten. Der Vergleich
des vormarkinischen Komplexes mit der eschatologi-
schen Paraklcse des Neuen Testamentes sonst (besonders in
den Briefen) zeigt, dafj er dieser Gattung zugehört, nicht der
der apokalyptischen Rede.

In Kap. III, Jesus and the Temple (65—243), geht es speziell
um das Verständnis von Mk 14,58a. Vorbereitend bespricht
G. zunächst die hierher gehörenden Aussagen der
synoptischen Tradition, die nach ihm die Scheidung Jesu und
der Jcrusalcmcr Kirche vom Kultischen überhaupt deutlich
machen. Jesus ist gegenüber dem Jerusalcmer Kultus gleichgültig
, das Urchristentum entfaltet dann eine gewisse Polemik
gegen ihn. Sodann wird in großer Breite die jüdische
(auch die spätere judenchristliche) Opposition gegen den Jerusalcmer
Tempel erörtert (G. stellt hier z. T. eine Exodus-
Tradition einer Zion-Tradition gegenüber), die nicht etwa
gegen den Kultus gerichtet ist (es ergibt sich, daß die Erwartung
eines neuen Tempels für die Heilszeit im Judentum bis
70 n. Chr. im ganzen keine Rolle gespielt hat). Erst bei Stc-
Phanus findet sich eine kompromißlose Feindschaft gegen
den Tempel; diese hat man jüdischerseits den Christen überhaupt
angelastet. Mk 14,58a geht auf Stephanus zurück; es
ist kein genuines Jesuswort. Das Gegenteil gilt für V. b. Wie
in der Gemeinde von Qumran (163—176), so spielt in der
Verkündigung Jesu das Verständnis der Gemeinde als des
neuen Tempels eine bedeutsame Rolle (229—241). Es ist eng
verbunden mit dem des Reiches Gottes (not a reign but a
rcalm (243)). In diesem Zusammenhang wird besonders die
Redeweise vom Eingehen, von der Pforte u. ä. besprochen
(231 ff.). Jesus ist nach Mk 14,58b der Erbauer der Gemeinde
, des neuen Tempels (wie nach Mt 16,18 f. [223-227]). Die
Gleichung Tempel Christus begegnet besonders ausgeprägt
im Joh-Ev (Jesus als der Ort der Gegenwart Gottes (205 bis
213]); sie geht auf die palästinische Christenheit zurück. Beide
Bezüge finden sich nebeneinander in den Briefen des
Neuen Testaments (176-205).

Von der Zerstörung Jerusalems ist in den Synoptikern mit

Ausnahme von Lk 13,34 f./Mt 23,37—39 ausdrücklich nur im
Sondergut des Lk-Ev's die Rede; daher ist IV überschrieben:
The Fall of Jerusalem as a Political Event in Luke-Acts. Der
Sitz-im-Leben dieser Texte ist die Missionspredigt der Kirche
in Jerusalem. Sie stammen aus Proto-Lk, einem selbständigen
Evangelium um 50 n. Chr., das im Lk-Ev weitgehend
benutzt ist (dazu 244—256). Aus Lk 1 f. arbeitet G.
die Hauptthemen des Proto-Lk heraus (256—276) und zeigt
dann auf, wie sie in ihm weiterhin durchgeführt worden
sind. Die Christologie des Proto-Lk schließt zwei Stufen ein,
die des ersten Kommens als des eschatologischen Propheten
und die des zweiten als des Davidischen Messias; als der
erste wird Jesus bestätigt durch seinen gewaltsamen Tod
und seine Auferweckung (276—298). Die Stellung der proto-
lukanischen Quelle zu Israel ist dadurch gekennzeichnet, daß
die Mission sich vorerst an die Judenschaft wendet, während
die Heidenmission erst nach der Bekehrung Israels ihren
Platz hat1. Vor allem im protolukanischen Evangelium werden
die Schwierigkeiten sichtbar, auf die die Mission in Palästina
stößt, speziell, wie an der Passionsgeschichte gezeigt
wird, in den führenden und vor allem in sadduzäischen
Kreisen (298—334). Von dem Mißerfolg dieser Mission her
wird das Nebeneinander von Promise of Peace . . . and
Threat of War in Proto-Lk verständlich. „Friede" umfaßt
dabei auch den zwischen Israel und den Völkern, speziell
Rom, entsprechend dem konkreten Bezug der Kriegsdrohung
, die nicht als vaticinium ex eventu zu verstehen ist,
sondern als genuin prophetisches Drohwort. Auch die Gc-
richtsdrohung gegen Jerusalem (nicht gegen den Tempel!)
zielt auf die Umkehr der Judenschaft ab (334—365).

Kap. V, The Fall of Jerusalem and Eschatology, setzt ein
mit dem Thema Jesus und die Zukunft' (370—433). Jesus
bezog den Ausdruck Menschensohn auf das eschatologische
Israel, die von ihm (Jesus) ins Leben gerufene Gemeinde,
die durch Leiden zur Erhöhung gelangen werde. Was Jesus
für sie erwartete, erfüllte sich - an ihm selbst. Zugleich erfüllte
sich Jesu Erwartung des Reiches Gottes prolcptisch in
der Kirche, dem Anfang des eschatologischen Israel, das
auch die Heiden einschließt. Ein zweiter Abschnitt in V stellt
auf dem Hintergrund einer hilfreichen Skizze über die zeitgenössische
jüdische Prophetie (433—444), die als charismatische
Schriftauslegung in bezug auf das Geheimnis des nahenden
Endes charakterisiert wird, die Bedeutung der Propheten
im Urchristentum heraus (auf sie geht übrigens die
Lehre von der Parusie zurück) und äußert sich über die Voraussage
des Endes speziell für den Abschluß des Jüdischen
Krieges; dazu wird (458—467) auf die Berechnung des Endes
im damaligen Judentum eingegangen. Abschließend (468 bis
487) wird betont, daß es Markus ist, der die bevorstehende
Zerstörung des Tempels als Gericht an Israel versteht. Ihr
folgt die Parusie (Mk 16,7!).

Wir hoffen, wenigstens die wichtigsten Linien der gefüllten
und beziehungsreichen Ausführungen G.s seinem Verständnis
gemäß nachgezogen zu haben. Mancher besonders
gefaßte Satz wäre nur in seinem Kontext verständlich geworden
; G. formuliert die Aussagen mitunter im betonten
Gegensatz zu herkömmlichen Auffassungen. Die Literatur
ist tatsächlich in erheblichem Umfang verarbeitet (Bibliographie
: 488—510); für nicht wenige Einzelthesen kann sich
G. auch auf Vorgänger berufen, deren Interpretationen im
Rahmen seiner Untersuchung neue Bedeutung gewinnen.
Die speziellen Themen, die er behandelt, werden nicht nur,
wie wir gelegentlich andeuteten, in ihren jüdischen, sondern
auch in ihren biblischen Zusammenhang hineingestellt und
von ihm her erhellt. Daß der Versuch einer Rekonstruktion
eines Kapitels urchristlicher Theologiegeschichte aus den
Synoptikern, die im einzelnen Evangelium Stufen sehr verschiedener
Prägung herausarbeitet, nicht ohne Hypothesen
auskommt, sollte nicht nur im Prinzip zugestanden, sondern
auch bei der Beurteilung und Verwertung der Ergebnisse
solcher Versuche beachtet werden. Das Studium des hier vor-