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Ausgabe:

1971

Spalte:

584-585

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

O'Neill, John C.

Titel/Untertitel:

The theology of Acts in its historical setting 1971

Rezensent:

Conzelmann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

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1) Gegenüber dem Christentum und gegenüber trinitari-
schen Neigungen der Cabbala betont er die Einzigkeit Gottes
. Mit den Christen und den Moslems teile das Judentum,
wenn auch in anderer Weise, den Glauben an die Existenz
Gottes, an göttliche Offenbarung und Vergeltung. Aber ein
Jude könne nicht glauben, daß der Messias gekommen sei,
da das eigentliche Ziel seines Kommens, die Befreiung Israels
und die Wiederherstellung des Tempels, nicht zustande
gebracht sei.

2) Gegenüber den Karaiten, die nur das geschriebene Gesetz
gelten lassen, gegenüber den Deisten, die die Vernunft
an die Stelle der Tradition setzen, und gegenüber den Mar-
ranen, denen von christlicher Seite der Rabbinismus und
Pharisäismus fragwürdig gemacht war, legt N. allen Nachdruck
darauf, da5 auch die rabbinische Tradition auf Mose
zurückgehe und daher für alle Juden verbindlich und für
richtige Schriftexegese ein wesentlicher Faktor sei. Die
Mischna setzt N. mit dem mosaischen mündlichen Gesetz
gleich. Midrasch und Haggada, die nicht zur Gesetzestradition
gehören, möchte er trotzdem möglichst nicht wie Mai-
monides allegorisch verstehen, ferne Zeit und ferner Ort liefen
uns manches als unverständlich erscheinen.

3) Gegenüber dem Spiritualismus und Antinomismus der
Sabbatianer stellt N. die unverletzliche Geltung des Gesetzes
heraus.

4) Gegenüber den Deisten, die meinten, Gott habe die
Welt geschaffen, sie aber dann wie eine aufgezogene Uhr
dem Selbstablauf überlassen, vertritt N. die Ansicht, die Natur
sei nicht eine zwischen Gott und der Welt anzusetzende
metaphysische Gröfje, sondern sie sei Gottes Vorsehung
selbst. So kommt er zu der erstmalig 1703 in einer Predigt
gemachten Äußerung, Gott und Natur seien eins. Das trug
ihm den Vorwurf ein, er lehre spinozistisch (Deus sive natura
), er meinte aber nicht wie Spinoza die natura naturata,
sondern die natura naturans. Gott könne durch Wunder eingreifen
, die wenigsten Wunder dienten jedoch dem Zweck,
Gottes Macht zu erweisen, die Mehrzahl sei ein Gunsterweis
an Auserwählte. Das kopernikanische System hält er für logisch
, er lehnt es aber ab, weil es im Widerspruch zu Jos 10,
12 f. steht.

Sehr gründlich, manchmal etwas weit ausholend, macht
P. deutlich, was N. lehrte, und welche Gegner er im Blick
hatte. Wie zu dem Buchtitel „Matteh Dan" erwähnt wird, daß
Nieto dabei an die Anfangsbuchstaben seines Namens D. N.
gedacht hat, so würde es speziell wohl jüdische Leser interessieren
zu erfahren, daß die Paginierung von „De La Divina
Providencia" (lt. Wolff) Namen, Titel und Amt des Verfassers
und Erscheinungszeit des Buches ergibt. Für nichtjüdische
Leser möchte der Titel Mahamad (S. 15 f.) ebenso
erläutert werden, wie es mit dem Titel Haham (S. 17) geschehen
ist. S. XVI weist P. darauf hin, welches Gewicht der
mündlichen Überlieferung in der modernen Bibelwissenschaft
beigelegt wird. Ihren Anfang nahm diese Forschungsrichtung
bekanntlich bei Rieh. Simon, da freilich so, daß
durch die Überlieferung die Ursprünglichkeit in Frage gestellt
wurde. Ist anzunehmen oder läfjt sich nachweisen, daß
N. die 1680 bzw. 1685 erschienene Schrift Simons „Histoire
critique du Vieux Testament" gekannt hat? Daß N. in der
Auseinandersetzung mit den Deisten deren Naturbegriff aufnahm
, war zwar naheliegend, machte aber die Fehldeutung
in spinozistischem Sinn möglich und verständlich. Eigenartig
, aber von dem rabbanitisch-pharisäischen Standpunkt
her erklärlich, ist die Zusammenstellung der Karaiten mit
den Sadduzäern. Doch ist dies wohl nur die Ansicht von P.
(S. 32) und gehört nicht zur Darstellung von N. selbst. P.
meint mit Rivkin, Marranen wie da Costa hätten von ihrem
„christlichen" Hintergrund eine Antipathie gegen pharisäisches
Judentum mitgebracht, und auf den ersten Schritt, das
mündliche Gesetz zu verwerfen, folge dann leicht der zweite
, auch das mosaische geschriebene Gesetz aufzugeben zugunsten
des Naturgesetzes (S. 45 f.). Hier zieht P. die Parallele
: die Protestanten hätten erst gegen die katholische
Tradition gekämpft, damit aber für später die Waffen geschmiedet
zum Angriff auf die Grundlagen aller offenbarten
Religion. Aber ist dem wirklich so? Auch Nietos Freund de
Castro Sarmento hat sich 1758 von der jüdischen Gemeinschaft
getrennt. Ist das nur davon herzuleiten, daß N. nicht
mehr da war? (S. 22).

Die Grundfrage bleibt: Gerade wenn man mit Deut 34,10
die Einzigartigkeit der an Mose ergangenen Offenbarung
betont, woher darf man die Gewißheit (S. 131) haben, daß
das mündliche Gesetz in ununterbrochen zuverlässiger Überlieferungskette
auf Mose zurückgeht? Und auch wenn man
diese Grundvoraussetzung teilt, bleiben Schwierigkeiten:
Wird nicht die strikte Verbindlichkeit der Überlieferung
durch N.s Unterscheidung von primären, sekundären und
tertiären Prinzipien (S. 87) erschüttert? Oder wenn Samuel
Ha-Nagid unterscheidet zwischen dem, was als Gebot aufzufassen
ist, und den nichtgesetzlichen Auslegungen, die nicht
die gleiche Autorität haben (S. 99), so ist zu fragen, ob das
im Talmud immer so klar zu scheiden ist und ob sich solche
Unterscheidung nicht leicht auf den Pentateuch selbst übertragen
ließe. Bei Yehudah Halevi ist nach N.s Ansicht das
mündliche Gesetz nicht genügend berücksichtigt, deshalb
ergänzt und berichtigt er dessen „Kuzari" durch einen zweiten
Teil. Aber er schätzt ihn doch hoch, und P. ist geneigt,
dem Halevi noch mehr Anerkennung zuzubilligen, da er
doch einiges auch über das mündliche Gesetz gesagt habe.
Wo also kommt die als autoritativ anzusehende Gesetzcs-
auslegung zeitlich, sachlich und persönlich nicht doch an eine
Grenze?

Trebitz/Elbe Hans Möller

NEUES TESTAMENT

O'Neill, J. C.: The Theology of Acts in its historical setting.

Second edition revised and supplementcd. London: S.P.
C.K. 1970. XIII, 194 S. 8°. £ 2.50.

Die erste Auflage (1961) wurde in ThLZ 87, 1962 Sp. 253 ff.
angezeigt. In der zweiten hält Vf. an seinem zeitlichen Ansatz
der Entstehung der Apg fest: 2. Jh., in der Nähe Justins
. Aber er modifiziert sein Urteil über die Intention des
Buches auf Grund neuer Quellenhypothescn. Beispiele:

S. 87 ff.: War Stephanus Christ? Nicht vielmehr Gründer
einer jüdischen Sondergruppe, der lehrte, daß Gott keinen
Tempel brauche? Im Bericht über ihn sind die christlichen
Motive nur leichte Rctouchen i Apg 6,14 (uxrjxi'tfi itF.y...NaÜ(oni.Tos
klammert man den Passus ein, dann geht outos auf Stephanus
) ; 7,52; 7,55b.58b.59. Die Identifizierung des erscheinenden
Gottessohnes (sie! nach P 74 usw.) mit Jesus ist sekundäre
, christliche Deutung. Aus der Verfolgung zogen die Anhänger
des Stephanus die Konsequenz, auch zu Heiden zu
reden. Sic wurden dann von Christen überzeugt, daß dem
Stephanus Jesus erschienen war. „Lukas" identifizierte
diesen Propheten Stephanus mit dem gleichnamigen Mann
der Siebcnerliste.

S. 120 ff.: Apg 15 ist aus zwei Quellen zusammengesetzt:
a) einer antiochenischen: 1—4.12b.22.23a.24—27.30—34; b)
einer jerusalemischen: 5—ll.12a.13-21.23b.28.29. Dazu kommen
Zusätze des Lukas zugunsten des Paulus. Beide Berichte
handeln von verschiedenen Zusammenkünften. Die der Jc-
rusalemer Quelle samt dem Aposteldekret lag lange vor der
anderen. Das Dekret bezog sich nur auf einen begrenzten
Kreis von Gemeinden und ging Paulus nie etwas an.

Lukas irrt auch darin, daß er Paulus immer wieder in der
Synagoge anknüpfen läßt. Ziel des Paulus war von vornherein
die Gründung rein heidenchristlicher Gemeinden.
Das verstand Lukas, der in der Sukzession des Petrus stand
(134), nicht mehr. Aus dieser Sukzession erklärt sich auch
der merkwürdige Umstand, daß er die Briefe des Paulus
nicht benutzt.