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Ausgabe:

1971

Spalte:

569-572

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Fides et communicatio 1971

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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569

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

570

[Doerne, Martin:] Fides et communicatio. Festschrift für
Martin Doerne zum 70. Geburtstag. Hrsg. v. D. Rössler,
G. Voigt u. F. Wintzer. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1970]. 454 S. gr. 8". Kart. DM 28.-.
Die meisten Beiträge dieser gehaltvollen Festschrift behandeln
, dem Lebenswerk Doernes entsprechend, Themen
der Systematischen oder Praktischen Theologie. Während
die Aufsätze alphabetisch nach den Verfassernamen geordnet
sind, wähle ich für die Besprechung eine Aufteilung nach
Sachgebieten. Dem Praktischen Theologen sei es gestattet,
die Beiträge aus seiner Disziplin ausführlicher zu erwähnen.

Zwei Beiträge widmen sich der Lehre vom Pfarramt
. T. Stählin (Vox clamans in deserto. Zu Beruf
und Existenz des Pfarrers in der Gegenwart", 311—325) beklagt
die bekannten akuten Probleme des pastoralcn Dienstes
, beschwört zu deren Überwindung aber nicht nur die
Strukturreform, sondern will eine neu verstandene, existentiell
verwirklichte theologia crucis als die Basis für Rechenschaft
und Wegweisung der Arbeit und Existenz des Pfarrers
gewinnen. Strukturreformen haben die Aufgabe, unechtes
, d. h. in unverantwortlich gewordenen Institutionen
begründetes Leiden zu beseitigen und das durch den Auftrag
des Pfarrers bedingte echte Leiden zu ermöglichen. —
F. Wintzer bereichert die Diskussion um das Selbstverständnis
der Praktischen Theologie und des Pfarramtes sowie
deren Verhältnis zueinander („Praktische Theologie und
Pfarramt", 412-427). „Die Praktische Theologie will das gegenwärtige
Leben der Kirche im Raum von Wissenschaft
und Theologie analysieren, kritisieren, projektieren und will
ihre Forschung und Lehre generell für die gesamte Kirche,
speziell für zukünftige Pfarrer fruchtbar machen." „Das
Pfarramt verantwortet die öffentliche Annahme und Weitergabe
des Evangeliums durch öffentlich berufene und theologisch
gebildete Träger in einer bestimmten Gemeinde mit
Hilfe vielfältiger Institutionen und bestimmter Funktionen."
Praktische Theologie hat zur inneren und äu5eren Mobilität
des Pfarrers anzuleiten, Bildung in der Seelsorge zu vermitteln
, die theologische Verantwortung für Liturgie, Predigt
und Unterricht zu vertiefen, zum brüderlichen und gruppengerechten
Verhalten anzuleiten, die Möglichkeiten nebenamtlicher
Berufstätigkeit aufzuweisen und durch Spezialausbildung
den Realitäten von Bedarf und Charisma gerecht
2u werden.

An der Grenze der Pastoraltheologie zur Homiletik
steht der Beitrag von A. Niebergall: „Zum Problem
v°n Autorität und Freiheit in der Verkündigung" (233—251).
N. befragt die Autoritätsbegriffe von M. Weber (traditionale,
charismatische und legale Autorität) sowie A. Mitscherlich
(-Brüderautorität", d. h. im Spezialistentum begründete kollegiale
Autorität) hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf die
Verkündigung. Die Autorität der Verkündigung kann weder
durch den Verweis auf Tradition noch auf Institution legitimiert
werden, sondern allein durch die „Sache", um die
es in der Verkündigung geht. M. E. müßte berücksichtigt
Werden, da5 „die Sache" nicht unabhängig von der Person
des Predigers, seiner Glaubwürdigkeit und homiletischen
Fähigkeit und damit auch seiner „charismatischen Autorität
" wirksam wird. — F. Wintzer („Die Predigt als Ermutigung
zum Dialog", 428—440) unterstützt die Forderung
des indirekten Dialogs in der Predigt, die zum wirklichen
°ialog ermutigen soll. Für den indirekten Dialog der Predigt
wird die Funktion des homiletischen Skopus bedeutsam
. Der vom exegetischen zu unterscheidende homiletische
Skopus wird der Tatsache gerecht, da5 die Predigt zwischen
den Polen Text und Situation geschieht. — „Tod und Auferstehung
Jesu als zentrale Aussagen der Theologie" (144 bis
154) bedenkt G. Harbsmeier in der Auseinandersetzung
^'t historisierenden und mystifizierenden Tendenzen der
Predigt. „Rechte Verkündigung des Todes und der Aufer-
stehung Jesu kann nur die genannt werden, die mit dem

Widerspruch konfrontiert zwischen dem Jesus der Geschichte
und dem Christus der Verkündigung, mit dem Widerspruch
, der nur im Glauben aufgehoben wird und ohne den
Glauben nur als Ärgernis bestehenbleibt." Leider fehlt jeder
Hinweis auf homiletische Konsequenzen, die sich aus einer
solchen Forderung ergeben. Einen interessanten praktischen
Versuch unternimmt C. C o 1 p e , indem er Hebr 1,1—6 ho-
milieartig in Auseinandersetzung mit der studentischen Protestbewegung
in der BRD aktualisiert. — M. Mezger fordert
Klarheit, Redlichkeit, Einfachheit und Wahrhaftigkeit
der Predigt in konsequenter Konzentration auf „Die eine
Wirklichkeit" (215—225), die durch den Glauben nicht etwas
Neues hinzugefügt erhält, sondern Einheit und Tiefe gewinnt
. „Gott ist kein ,Plus' an Wirklichkeit, sondern diese
unsere Wirklichkeit, aber .total anders' " (219). Da Mezger
S. 223 Anm. 8 die Aussagen eines Kollegen als „Scharlatanerien
, Anzeichen der Abwesenheit jeder philosophischen Propädeutik
und - was noch schlimmer ist — des minimalsten
Anstandes denkerischer Redlichkeit" bezichtigt, muß bemerkt
werden, daß solche Ausfälle eine sachliche Auseinandersetzung
unmöglich machen.

Die L i t u r g i k ist vertreten durch W. J e 11 e r s humor-
und schwungvolle, aber doch abgewogene „Bemerkungen
zur Situation und zum Verständnis des Gottesdienstes heute"
(183—214). Die unter ökumenischem und kirchensoziologischem
Aspekt durchgeführte Analyse führt zu der Frage, ob
nicht der Alleinvertretungsanspruch des Gottesdienstes, der
nicht nur die Mitte, sondern auch die Einheit christlichen
Lebens verkörpern will, zu einer Selbstüberforderung ausgewachsen
sei und sich selbst widerlegt habe. Der Gottesdienst
ist entschlossen instrumental zu verstehen und beweglich
plural zu gestalten. Darum „wird die Kirche ein
freies Versuchsgelände neben den gelegten Geleisen ihres
Herkommens anerkennen und geradezu als Neubaugelände
erschließen müssen", wenn das auch Spannungen produziert
und eine starke Elastizität der Beteiligten fordert.

Eine aktuelle Frage der Seelsorge, nämlich das Verhältnis
von „Beraten und Bezeugen", erörtert W. Jentsch
(155—182). Er würdigt die auf C. Rogers zurückgehende
„non-directive" bzw. „Client-centered"-Methode, deren Anwendung
auf die Seelsorge jedoch zu modifizieren ist: „Das
Beraten des Christen darf und kann nicht vom Bezeugen
chemisch rein gehalten werden". — „Aggression in psycho-
pathologischer Sicht" (226—232) ist nach H. Müller-Suur
als Triebgeschehen eine wertindifferente Komponente der
biologischen Lebensdynamik, die aber zur Gefahr für das
Leben wird, wenn die destruktive Aggression dominiert und
nicht durch das Spiel oder ernsthafte Liebe in produktive
Aggression umgewandelt wird. Das Verhältnis zwischen
konstruktiver und destruktiver Komponente entscheidet
über normalen oder abnormen Charakter der Aggression. —
Ch. Bourbeck meditiert über „Frömmigkeit im Wandel"
(21—38), indem sie Sprangers „Weltfrömmigkeit", von Oppens
„sachliche" Frömmigkeit und Bonhoeffers christolo-
gisch begründetes Dasein für die Welt gegenüberstellt.

Aus der Katechetik stammt ein Beitrag von M.
S t a 11 m a n n über „Luthers Katechismusfrage als katechetische
Anleitung" (326—340). Die Katechismusfrage soll dem
Hörer des Wortes helfen, sich über das Gehörte zu verantworten
. Der Gesichtspunkt der Verantwortung vor dem
Wort wird von St. so stark betont, daß die Notwendigkeit
der praktischen Einübung in das Gemeindeleben ungenügend
gewürdigt wird. Methodische Rätsel gibt der Satz auf,
mit dem St. Konsequenzen seinen Interpretation der Katechismusfrage
andeutet: der Unterricht müßte „auf die Predigt
folgen, müßte vielleicht reflektierend nachzuvollziehen
suchen, was in ihr vernehmbar geworden ist, um aus der
wahr gewordenen Lehre die Verbindlichkeit zu begründen"
(339).

Systematische Theologie und Theologiegeschichte sind
fast im gleichen Umfang wie die Praktische Theologie ver-