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Ausgabe:

1971

Spalte:

567-568

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bethge, Eberhard

Titel/Untertitel:

Ohnmacht und Mündigkeit 1971

Rezensent:

Henkys, Jürgen

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Seite 1

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567

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 8

568

in der Römischen Kirche gefunden hat, unterstreicht die hier
bestehende Aporie. Manchmal fürchte ich, dafj dieses Problem
seine Lösung eher durch geschichtliche Erschütterungen
als durch dogmatische Erwägungen finden wird, wenngleich
auch hier mit neuen Fragestellungen systematischtheologisch
weiter gearbeitet werden muß. In einem hoffnungsvollerem
Stadium befindet sich die Erörterung der
Gültigkeit der Ämter. Die bisherige römisch-katholische
Nichtanerkennung der Ämter in den Reformationskirchen
hat eine gewisse Auflockerung erfahren durch die Überlegung
, ob nicht analog dem votum baptismi, das den Taufvollzug
ersetzt, auch von einem votum ministerii gesprochen
werden kann, das die gültige Weihe ersetzt — ferner
durch Bemühungen, den Begriff der apostolischen Sukzession
aus der Enge des speziellen Bezugs auf die Folge der
bischöflichen Handauflegungen zu seiner ursprünglichen
ekklesiologischen Weite zurückzuführen. Der Vf. geht auf
diese Erwägungen nicht ausführlicher ein, aber er hält im
Unterschied zur traditionellen Lehre die Frage nach außerordentlichen
Wegen ins kirchliche Amt immerhin ausdrücklich
offen. Er geht davon aus, daß die Kirche „eine sogenannte
.geistige Kommunion', d. h. den Empfang der in der
Eucharistie zuteil werdenden Gnade außerhalb des Sakramentes
" kennt, und stellt die Frage: „Ist es erlaubt, mit Hinweis
auf diese geistige Kommunion die Möglichkeit einer
,rein charismatisch' ausgeführten Weihevollmacht zu negieren
?" Er antwortet: „Wir sehen beim gegenwärtigen Stand
der theologischen Reflexion über das kirchliche Amt nicht
die Möglichkeit, diese Frage positiv oder negativ zu entscheiden
. . . Möglicherweise werden sich aber in der Zukunft
andere Perspektiven eröffnen, die eine Annäherung
der Positionen herbeiführen" (S. 190 f). Wenngleich heute
die Meinung weit verbreitet ist, daß der Gegensatz zwischen
reformatorischer und römisch-katholischer Rechtfertigungslehre
nicht mehr besteht, ist es mir die Frage, ob nicht hinter
den Gegensätzen im Verständnis des Amtes und der Unfehlbarkeit
letztlich doch Unterschiede im Verständnis der
„Rechtfertigung des Gottlosen" wirksam sind.

Dieses Buch — eine in Rom von der päpstlichen Universität
Gregoriana angenommene Dissertation — ist ein neuer
Beweis für die große Aufgeschlossenheit und Sorgfalt, mit
der junge römisch-katholische Theologen heute die dogmatische
Arbeit der evangelischen Kirche studieren und aufnehmen
.

1 Schwenzer, German, SS.CC.: Die großen Taten Gottes und die Kirche
. Zur Ekklesiologie Edmund Schlinks. Paderborn: Verlag der Bonifa-
cius-Druckerei <1°67). 208 S. gr. 8" = Konfessionskundliche und kontroverstheologische
Studien, hrsg. v. Johann-Adm-Möhler-Institut, 22. Lul.
DM 16.-.

ALLGEMEINES

Bethge, Eberhard s Ohnmacht und Mündigkeit. Beiträge zur

Zeitgeschichte und Theologie nach Dietrich Bonhoeffcr.

München: Kaiser 1969. 191 S. 8°. DM 14.50.

In welche Sparte müßte die Anzeige dieses Buches eingereiht
werden? In „Praktische Theologie: Allgemeines und
Homiletik"? Immerhin sind sechs der dreizehn Beiträge Predigten
. In .Kirchengeschichte: Neuzeit"? Drei dieser Predigten
hat Bethge in der Dorfkirche Berlin-Dahlem zum Gedenken
an den 20. Juli 1944 gehalten. Ein Vortrag gilt Adam
von Trott und dem deutschen Widerstand, ein anderer dem
Problem des Exils in der Zeit des Faschismus, ein dritter
dem modernen Märtyrertum als gemeinsamer evangelischkatholischer
Verlegenheit. In „Systematische Theologie"
oder „Ethik"? Denn die Sammlung hat ihr Schwergewicht
in Bonhoeffer-Interpretationen. Die Themen sind „Christo-
logie und religionsloses Christentum' bei Dietrich Bonhoef-
fer", „Gottesdienst in einem säkularen Zeitalter", „Was
heißt: Kirche für andere?". Dabei steht jedesmal das Ganze
des Bonhoefferschen Werkes zur Diskussion (nicht nur sein
letzter Abschnitt), und mit dem Werk das Leben. Das heißt
aber, daß auch an dieser Stelle das Disziplinen-Schema gesprengt
wird. Bleibt noch die Sparte „Allgemeines, Festschriften
". Dort stand schon J. M. Lochmans Besprechung
von Bethges großer Bonhoeffer-Biographie (ThLZ 1968, 823).
Lochman nannte sie in einem Atemzug „ein sauberes wissenschaftlich
-theologisches Werk" und „ein Erbauungsbuch höherer
Ordnung". Nichts hindert, dieses Urteil auch für das
vorliegende Buch zu übernehmen. Um „Allgemeines" handelt
es sich also, weil die ganze Theologie, um höchst Besonderes
aber, weil der ganze Leser davon betroffen ist.

Im Nachwort äußert sich Bethge über den zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang der Beiträge mit der Biographie.
Es sind durchweg Auftragsarbeiten zusammengestellt. „Meistens
waren Interpretationen zu Bonhoeffers Aussagen gefragt
; in der Biographie oft nur Angedeutetes drängte auf
Weiterentwicklungen" (190). Zu diesen Weiterentwicklungen
gehört jedenfalls die Formel „Ohnmacht und Mündigkeit".
Bethge sieht in ihr das durchgehende Thema seiner Versuche
, die Bonhoefferschen Anstöße zur Christologie und
Ekklesiologie auszulegen. Wohlgemerkt: Nicht die Ohnmacht
des Menschen ist gemeint, sondern die Ohnmacht

Christi in ihrer für den mündigen Menschen heilvollcn Posi-
tivität (190 f.). Daneben sei noch eine andere Formel erwähnt
, wieder eine zweipolige, aber mit ekklesiologischer
Funktion. In der Biographie hatte Bethge herausgearbeitet,
daß die Arkandisziplin zu den dauernd nötigen Voraussetzungen
der nichtreligiösen Interpretation gehört. Der Zusammenhang
beider erschien beiläufig als der von „Identität
und Identifikation". Diese ekklesiologische Formel wird
nunmehr expliziert (166 ff., vgl. 130 ff.). Die Identität der
Christen und der Kirche ist nicht ein für allemal gegeben,
sie wird je neu gewonnen — durch Identifikation (Solidarisierung
) mit den von Gott geliebten Menschen. Gerade die
Angst der Kirche um ihre Identität führt zum Identitätsverlust
. Andererseits bleibt ein demonstrativer Identifikationswille
der Christen ohne die zuvor in der Gemeinde durch
Christus selbst empfangene Identität völlig wirkungslos.
Einen Satz aus der Biographie über Arkandisziplin und
Weltlichkeit abwandelnd formuliert Bethge: „Identität ohne
Identifikation ist Ghetto, Identifikation ohne Identität ist nur
Boulevard" (169).

Wer die von Bonhoeffer geforderte nichtreligiöse Interpretation
für eine Auslegungstechnik hält, muß von Bethges
Predigten Musterbeispiele dieses Verfahrens erwarten. Aber:
„Nichtreligiös interpretieren ist . . . mehr eine ethische als
eine hermeneutische Kategorie" (E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer
, 1967, 987). Das heißt: Das Für-andere-Sein der Kirche
geht dem Anderswerden ihrer Sprache voraus. Die Verkündigung
kann nicht unabhängig von den (dem Glaubensgehorsam
zu unterwerfenden) sozialen Bedingungen ihrer
kirchlichen Veranstaltung neu werden. Dennoch kann es natürlich
nicht ausbleiben, daß die intensive Rezeption und
Reflexion der Bonhoefferschen Theologie auf Bethges Predigtart
auch unmittelbar einwirkt. Wenn seine sprachliche und
theologische Individualität dabei respektiert würde, könnte
diese Einwirkung gewiß erfolgreich untersucht und dargestellt
werden. Aber das ist hier nicht unsere Sache. Wir dürfen
uns auf die dankbare Feststellung beschränken, daß diese
Predigtbeispiele — als geschlossene Sprachwerke und öffnende
Anreden, als unbefangene Vergegenwärtigungen und
gegenwartsbewußte Stellungnahmen — das Evangelium und
die Geschichte auf eine Weise zusammenbringen, die für die
Theologie und Kultur der Predigt unserer Tage ein hoffnungsvolles
Zeichen ist.

Petershagen b. Berlin Jürgen Henkys