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Ausgabe:

1971

Spalte:

530

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Entscheidungen, 1936 - 1939 1971

Rezensent:

Kupisch, Karl

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Theologische Literaturzeitung 9(!. Jahrgang 1971 Nr. 7

530

Halle/Saale EConrad Onasrli

ihrem Dichterberuf' (S. 157) eine entscheidende Holle. Für fältig wechselnd, verbildlichte Hoffnung der Menschheit Ant-
Doerne ..ist die Rede von christlicher Dichtung, auch in der wort auf ein Wort der Verheißung ist, das allen inneren XI«.
personalen Abwandlung zum .christlichen Dichter', über- nologen der Humanität gegenüber das fremde, das an-
haupt problematisch, ja wahrscheinlich untauglich. — Dich- dere Wort ist. Genau genommen gibt es christliche Uto-
tung ist Dichtung" (S. 113). Indem er die Laterne, mit der pie nur unter dieser zweiten Voraussetzung" (S. 170). Ein
andere vielleicht nach einer nichlexistenten .christlichen polemisches Stichwort Leontjews gehrauchend, betont der
Dichtung' suchen, sieben lieft, wurden ihm die (fände frei Vf., „daß das Wort dieser zwei .neuen Christen' ZU unseren
für eine unvoreingenommene Werkanalyse, deren theolo- eigenen Fragen nach einer vernehmlichen Neuaussage des
gische Aspekte keine F'rage einer ..besseren Ideologie", als christlichen Glaubens für den Menschen von heute und mor-
Vielmehr der eigenen theologischen Existenz geworden sind. gen einen unveralteten Iteitrag anbietet" (S. 170), einen Bei-
Weil Tolstoj und Dostojewskij zuerst keine Utopisten, son- trag mitten hinein in „die jüngst in stürmische Bewegung ge-
deru Dichter sind, erwächst aus ihrem Werk, so unterschied- ratene Selbstkritik der Christenheit am Hände ihrer Selbst-
lieb es bei einem gewaltigen Epiker und bei einem genialen auflOsung" (S. 81). Man mag mit D. rechten, ob dieses Pro-
Romancier auch sein mag, die Erkenntnis, „daß Utopie gnosticum richtig formuliert ist, seine Untersuchung stellt
ein legitimer Antrieb im Ganzen des menschheitlichen Ge- jedenfalls einen wertvollen Beitrag aus theologischer Sicht
schichts- und Zukunftsdenkens ist" (S. 157). Nach einer Ein- zum Thema Ideologie und Utopie dar. Der Systematiker bei!
führung mit ihrer Literaturübersicht und der Warnung: „In den Praktiker dem Zeitgenossen eine echte Lebenshilfe ander
vorliegenden Schrift sollen Tolstoj und Dostojewskij bieten, ohne daß er die Dichtung selbst zu einer solchen denn
Iii postum miteinander befreundet werden" (S. 5) beginnt praviert hätte. Mit hoher Interpretationskunst (man lese nur
"n 1. Teil die Analyse des Werkes von Tolstoj. Unter Heran- S. 93f. das Stück über den „verhinderten Menschen", den
liehung der speziell poetischen Werkuntersuchung von Käte Kellerlochmenschen Dostojewskijs) wird Dichtung als Er-
llamburger rafft D. die- dem Titel unterstellte Problematik kenntnisobjekt sui generis angesehen und behandelt, um
'n 5 Kapiteln: 1. „Gedichtetes Leben" mit dem exzellenten ihrer Wahrheit Geltung zu verschaffen.
3. Unterkap. „Kontinuität und Differenzierung des Selbst-
POrträts", IL „Der Realismus der Wahrheit" („Tolstojs Gott
so könnte man sagen, ist die Wahrheit", S. 26), III. „Der
Kampf mit dem Tode", IV. „Die Masken des Teufels", hinter
denen „der schwere Ernst von Tolstojs (1 esellsi hafts- und

Zivilisationskritik sichtbar" wird (S. 59), und die „auch . «mwiu

,|„„ , , . | ... ,, i.i i." Itonhociler-Aiiswahl. Hrsg. V.O. Dudzus. I : Anfange. 12/ bis

«urch den stattlieben Einschlag von hartnackigem Eigen- _ _ e 8

,■ , r . , ,, . , .. • , , .. , ....... 19J3. 189 S. II: Gegenwart und Zukunft der Kirche. 1933.

8"in und fanatischer Ungerechtigkeit nicht diskreditiert ,„ ,QO c m 31. i i .,„.„. ,„.„, ,amTo tv

n.;-i on ir i-> ti • v •< u • 1930. 189 S. III: Entscheidungen. 1930—1939. 187 S. IV:

*>rd (S. 61), V. „Das Reich Gottes in uns , wo es nach einer „ .„„,. * _ ....

p v ''. . ", , . , . . » . . . ,, Konsequenzen. 1939—1944. 189 S. Mun< heu-1 lambiirc:

'»eihe von kritischen Analysen von 1 olstois Sozial- und Ge- „. , ,___,___, __, ,T . . r„"

,.,,.„ t ■ r • r . t. ■ Siebenstern I aschenbiich Verlag (Lizenzausgabe d. Uhr.

wissensethik heißt: ..Im tiefsten ist seine Lehre vom Ideal ... ... .... , . r,n„„n QO c. f „

j„ ... . i j ir i Kaiser Verlages, München) 1970 . 8 — Siebenstern la-

'"'r I hristiisnach nlgc doch ein ernstzuiiclimcncler versuch, , , . , ... , rt, ... .L,, T nU,u

j. •»•,,. ,• . • i r. .• . i schenbuch 149, 150, 151, 152. Je DM .3,90.
uns spezifisch Evangelische in der Predigt Jesu zu ergreife
"... Es gibt keine vollkommenen Christen, es gibt nur das Dag literarische Werk Dietrich Bonhoeffers. obwohl ein
unterwegssein, die Pilgerschaft in Jesu Nachfolge... Viel Torso, erfreut sich nach wie vor eines lebhaften Interesses
Brfer als sein oft ärgerlich anzuhörender protcstlerischer Ra- auch bei Nichttheologen. Dieser Umstand allein rechtfertigt
«onalismus es wahrhaben will, lebt auch seine Sozialutopie ,.Si aus <lem Gesamtopus eine Auswahl vorzulegen. Die von
von dem Geheimnis der ,Torheit' des Evangeliums" (S. 81). yUo ]),lc|zus, einst Mitglied des Finkenwalder Unterhauses
'ra 2. Teil über Dostojewskij werden die Fragen in vier Ka- „„j Predigerseminars, veranstaltete Auswahl will vornehm-
P'teln entfaltet: I. „Ein Realist im höheren Sinne", II. „We- i;,.), solchen Lesern dienen, denen die großen Vv ecke zu schwer
zur christlichen Integration", III. „Die zwei Gesichtervon erreichbar sind und die kleinen nicht ausreichen. Geschick
Dostoj,.wskijs Christentum", IV. „Allmenschliche Synthese und beste Sachkenntnis sind in den vorliegenden Bänden er-
'">d Goldenes Zeitalter". In Kap. III verdient das 2. Unter- kennbar, die Auswahl des Gebotenen hinreichend, um in das
*aP- „Der Dichter zwischen Glaube und Unglaube" wegen theologische Denken Bonhoeffers einzuführen. Der Register-
seiner vorsichtig formulierten Einsichten in die unzweifelbar teil erleichtert die Orientierung. Obwohl die Zeittafeln die
poihandene Glaub, •nskepsis Dostojewskijs hervorgehoben zu wichtigsten Lcbensdaten und Stationen von Bonhoeffers Ent-
*erden. „Aus der Reflektionsdjalektik von Glauben und Un- wicklung anzeigen, wäre es vielleicht doch zu begrüßen ge-
Slauben, mit der Dostojewskij seine Leser und sich selbst wesen, wenn neben der trefflichen Einführung auch ein knap-
'luälte, erwächst hier ein Modidl christlichen Glaubens und m.r biographischer Abriß Platz gefunden hätte. Denn Eber-
''"'islbeber Existenz, in das die W idersprüche und Gegen h.ard BethgeS monumentale Biographie durfte den Lesern,
Beweise positiv mi tauf genommen sind" (S. 133). Der Schluß an die hier gedacht ist, noch schwieriger zugänglich sein,
^r Arbeil zeigt „Das Gemeinsame in den Unterschieden". Aber vielleicht — das sei hier als Desiderat angemerkt —
;"' gemeinsamen Züge sind: 1. Verantwortung für Volk und kann El». Bethge selber für die Taschenbiich-Reilie und ins-
^,esellschaft, 2. grundsätzlicher Protest „gegen die vorgefun- besondere im BUck auf die vorliegende Auswahl einen sol-
nene gesellschaftliche und geistige Wirklichkeit" (S. 158), chen Auszug herstellen. Er könnte im Unterricht und im Gc-

kein,. Skepsis und keine Benignalion gegenüber dieser Wirk- ineindedienst wertvolle Hilf,- leisten,
"ehkeit, 4. ein durchaus optimistischer „Uhcrwindtings- und

V"'»andh.ngswille", 5. alles dieses „aktualisiert sich hier wie ,,erlin K"H K"''is'h

t*0rl in einem religiös-ethischen Anruf an die Menschheit

ü,|d darüber hinaus, bei Dostojewskij bestimmter, bei Toi- _

8toj gedämpfter, in einem appcllativcn Schaubilde wahr-
'">ft menschlicher Zukunft" (S. 159). D. möchte den entscheidenden
Unterschied zwischen Tolstojs „moralischem Bänzinger, Hans: Max Frisch — Der Protest eines Skepli-
|Jlüpismus" und Dostojewskijs „utopischem Zukunftsglau- kers (Universitas 25, 1970 S. 481— 492).
^n" in der Bezogenheit des letzteren auf die Verheißung liaden. Hans Jürgen: Ist der Mensch sterblich':' Das Todes-
'■'risti sehen (S. 169). „Am Ende wird dies die tiefste Diffe- bild in der zeitgenössischen Literatur (Wege zum Men-
re°z zwischen den verschiedenen utopischen Schaubildern sehen 22, 1970 S. 161-175).

Se,n-•.: ob sie nur aus der inneren Transzendenz des Men- Gunn, Giles IL: Literature and lts Relation lo Religion (.III

■«hengeistes erzeugt sind — oder ob die in ihnen, hundert- 50, 1970 S. 268—291).