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Ausgabe:

1971

Spalte:

503-506

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kertelge, Karl

Titel/Untertitel:

Die Wunder Jesu im Markusevangelium 1971

Rezensent:

Rohde, Joachim

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nischen und <ler georgischen) und dem griechischen Wort-
l,iul der Hs. Nr. 355 der Pariser Nationalbibliothek (Debatte)
im wesentlichen deckt, zeugt von der Existenz einer alten
griechischen Fassung des Kindheitsevangeliums des Thomas
, die sich als weit vollständiger und erheblich älter als die
durch Tischendorf bekanntgewordenen griechischen Redaktionen
A und I! erweist. Die Existenz und die Beschaffenheil
dieser griechischen Fassung machen die von P. Peeters aufgestellte
Hypothese über den syrischen Ursprung dieses Apo-
kryphons höchst unwahrscheinlich. Überdies läßt diese Fassung
ausgeprägte gnostische Züge sowohl in der Ausdrucks-
weise als auch in den wichtigsten sich in diesem Apokryphon
abzeichnenden Motiven erkennen, die in der dem griechischen
„textus reeeptus" zugrunde liegenden handschriftlichen
Oberlieferung größtenteils verlorengegangen sind. Dieser
gnostische Einschlag legt den altchristlichen Ursprung
des Kind hei Iscvangeliums des Thomas nahe und verrät einen
engeren Zusammenhang zwischen ihm und dem Thomasevangelium
, das nach den Hinweisen einiger Kirchenväter im Besitz
verschiedener gnostischer Gruppen gewesen sein soll. Abgesehen
von geringfügiger Ähnlichkeit, in manchem gnostiseh
gefärbten Ausdruck weist das Kindheitsevangelium des Thomas
keinerlei gemeinsame Züge mit dem koptischen Thomasevangelium
aus Nag-Hammadi auf" (S. 185/6).

Der slavistische Unterbau des Werkes ist, wie mir mein
Kollege K. H. Döpmann versichert, korrekt und zuverlässig.
Im Bereich des Griechischen gibt es allerdings gelegentlich
etwas Undurchsichtiges. Die Ergebnisse sind im großen und
ganzen überzeugend. Nur was die „ausgeprägten gnostischen
Züge" anbelangt, vermag ich nicht zu folgen. Zwar ist es
denkbar, daß manche Gnostiker auch das Kindheitsevangelium
des Thomas benutzt und geschätzt haben (d. h. daß
manche Notiz über ein Thomas-Evangelium in der Hand von
Gnostikern unser Kindheitsevangelium meint); aber in ihm
selber findet man an sich nichts spezifisch Gnostisches. Daß
S. 0. hier zu einem entgegengesetzten Ergebnis kommt,
dürfte an seinem zu allgemeinen und unkritischen Gebrauch
des Begriffs Gnosis liegen.

Berlin Hans-Martin Schenke

Kerlelge, Karl: Die Wunder .Jesu im Markusevungelium.

Eine redaktionsgeschichlliche Untersuchung. München:
Kusel 1970. 232 S. gr. 8° = Studien zum Alten und Neuen
Testament, hrsg. von V. Hamp u. J. Schmidt unter Mitarb.
v. 1'. Neuenzeit, 23. Kart. DM 42, — .

Die hier vorgelegte Arbeil stellt den Hauptteil einer Habilitationsschrift
dar, die von den Professoren Dr. Joachim
(, oilka und Dr. Wilhelm Thüsing an der Katb.-Theol. Fakultät
der Universität Münster begutachtet wurde. Sie ist zwar
in der Erwartung geschrieben, daß von der Deutung der
Wunder Jesu im Lichte des Markusevangeliums auch erhellendes
Licht auf die moderne theologische Wunderproblematik
fallen wird, insofern sich diese als ein zugleich fundamentaltheologischer
und exegetischer Sachzusammenhang
darstellt (S. 13), jedoch wird von dieser Zielstellung nurwenig
sichtbar, aber das würde ja auch den Rahmen einer redaktionsgeschichtlichen
Untersuchung sprengen.

In der Einführung wird zunächst der Stand der Dikussion
vorgeführt (S. 13—18), nach der Darstellung seiner eigenen
Fragestellung und Methode (S. 18—20) und der Abgrenzung
des Themas (S. 20—21) dann im Hauptteil in vier Kapiteln
eine Einzeluntersuchung der markinischen Wunderberichte
geboten, und in einem Schlußteil werden die Ergebnisse zusammengefaßt
. Bevor der Vf. in Kap. 3 die „Wunder Jesu
in den Einzeiherichten" analysiert (S. 40—184), geht er in
Kap. 1 „Zeichen und Wunder" (S. 23—29) auf die Ablehnung
der Zeichenforderung in Mark. 8,11—13 ein und bespricht in
Kap. 2 „Die Wunder Jesu in den Sammelberichten" (S. 30 bis

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39) die Stücke Mark. 1,32-34; 3,7-12 und 6,53-56. Bei der
Untersuchung der Wunder Jesu in den Einzelberichten beschränkt
sich der Vf. mit Recht auf die Wunder der Kap.
1—10 und schließt die sog. Begleitwunder Taufe, Versuchung
und Verklärung sowie alle wunderbaren Züge im Zusammenhang
der Passions- und Ostergeschichte aus seiner Untersuchung
aus.

Der Vf. geht davon aus, daß das Verständnis der Wunder
von erheblicher Bedeutung für die Erhebung der theologischen
Konzeption des Evangelisten sei. Eine einseitige historische
Kritik vermöge keine Ant wort auf die Frage zu geben,
warum der Evangelist diese Zeugnisse überhaupt in sein
Werk aufgenommen habe. Sie könnten weder als Zeugnisse
eines vom Evangelium uberholten primitiven Wunderglaubens
von der kerygmatischen Intention des Evangelisten
unterschieden werden noch seien sie lediglich das vom Evangelisten
mehr oder weniger zufällig verwendete „Material"
(Stoff) (S. 18). Marxsen habe in seiner redaktionsgeschichtlichen
Untersuchung des 2. Evangeliums zwar die Wunder
nicht direkt berücksichtigt, aber sie gerieten hei ihm doch
wohl eindeutig auf die Seite des „Materials", das Markus zur
Verfügung hatte, wenn das Markusevangelium als die aktualisierende
Verkündigung in der Gegenwart des Evangelisten
für diese Gegenwart verstanden werde und nicht als Bericht
von Jesus (S. 15). Aber eine rein kerygmatische Auslegung
des Einzelmaterials wie bei Marxsen reiche kaum aus (S. 16).

Der Vf. möchte dem theologischen Interesse des Markus
an den Wundern Jesu nachgehen unter besonderer Berücksichtigung
des C.esamtaufrisscs des Evangeliums. Durch
möglichst genaue Unterscheidung von Tradition und Redaktion
des Markus ließen sich sowohl vormarkinische Übe rliete-
rungen und Motive als auch die theologische Interpretation
des Evangelisten erheben (S. 19). Das Verständnis der Wunder
Jesu bei Markus komme nicht nur in seinen Interpretationen
zum Ausdruck, sondern auch in der Einordnung der
einzelnen Wundererzählungen in das I icsamlevangclium,
denn bei Markus erschienen die selbständig überlieferten Ein-
zeltraditionen erstmalig als „Evangelium" (S. 20).

Da der Vf. voraussetzt, daß wir in den vom Evangelisten

verfaßten Sammelberichten dei......nittelbarsten Zugang zur

markinischen Deutung der Wundertätigkeit Jesu haben, wid
met er ihrer Untersuchung besondere Aufmerksamkeit. Dabei
hebt er in den Sammelberichten von Kap. 1,32—34 und
3,7—12 besonders das Motiv der Geheimhaltung der Wunder
Jesu (Messiasgeheiinnis) hervor (S. 33 u.35). Als Ergebnis des
markinischen Verständnisses der Wundertätigkeil Jesu in
den Sammelberichten stellt er heraus, daß Jesus dort als der
große volkstümliche Wunderarzt, der Heiland der Kranken,
Hilfsbedürftigen und sogar der Heiden erscheine. Glaube als
Voraussetzung des Wunders werde in den Sammelberichten
nicht erwähnt. Zwar gehörten für den Evangelisten die W under
auch zur geschichtlichen Wirklichkeil, aber entscheidend
seien für ihn nicht die vordergründigen Taten, die er zwar
ohne Kritik am Mirakelglauben des Volkes überliefere, vielmehr
das Euangelion als der Grundbegriff seines literarischen
Werkes (S. 37). Das Verhältnis von Euangelion und
wunderbarem Wirken Jesu könne nicht indem Schema von

Wort und Tal beschriehen werden, denn beides bestehe bei
Markus nicht nebeneinander, sondern ineinander: Das wunderbare
Wirken Jesu an den Kranken sei für ihn Euangelion,

jedoch siehe das Heilswirken noch unter dem Vorbehalt der
Geheimhaltung (S.38).

Für die Untersuchung «L i- V undererzählungen in den Einzelberichten
ist es kennzeichnend, daß der Vf. die von Bultmann
und Dibelius benutzten Eormgeschichtlichen Gattungsbegriffe
in den meisten Fällen als unzureichend kritisiert und
zu Schilies liegrill der missionarischen Redegattungen bemerkt
, er hebe zwar einen wichtigen Gesichtspunkt der ur-

christlichen Überlieferung hervor, doch bedeute er dennoch

eine Einengung, da bei der Gestaltung der synoptischen
Wunderberichte sehr unterschiedliche praktische und theologische
Motive wirksam gewesen seien (S. 42).

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 7