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Ausgabe:

1971

Spalte:

493-495

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schottroff, Willy

Titel/Untertitel:

Der altisraelitische Fluchspruch 1971

Rezensent:

Koch, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 7

494

Scholtroff, Willy: Der altisrael iiisehe Fluchsprach. Neukirchen
-Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
[1969]. 280 S. gr.8° = Wisscnschaftl. Monographien z. Alten
u. Neuen Testament, hrsg. v. G. Bornkamm u. G. von
Rad, 30. DM38,-; Lw. DM 40,-.

Für den Christen ist Segen zu einer ornamentalen Verzierung
bei gottesdienstliehen Akten, Fluch dagegen zu einer
unanständigen Angelegenheit geworden. Es fällt ihm schwer,
Bich in die Zeit des Alten Testaments zurückzuversetzen, in
der Segen und Fluch feierliche Zeremonien waren, bei denen
es um Leben und Tod ging- Gar zu schnell liest der Bibclleser
über solche Begebenheiten hinweg, die im alten Israel eine
bedeutsame Rolle in Religion und Leben gespielt haben.
Wenn die vorliegende Mainzer Habilitationsschrift den Fluchspruch
untersucht, d. h. die 39mal im Alten Testament vorkommende
"Wik-Formel, die wirkungsvollste Weise des Fluchens
, wird alles andere als ein exegetisches Nebenthema behandelt
.

Eine Einleitung (9—24) stellt den Forschungsstand dar.
Gleich auf den ersten beiden Seilen werden zwei divergierende
Auffassungen unter den Exegeten aufgewiesen. Nach
der einen (Speiser, Brichto) ist der niK-Fluch wesentlich Le-
hensminderung, nach der anderen (F. Horst, J. Pedersen)
ist er Ausschluß aus der Gemeinschaft. Daraus gewinnt
S. seine Arbeitshypothese: „Wenn es im Hebr. diese
beiden Auffassungen von der Wirkung des Fluches tatsächlich
gegeben hat, kann man dann ihr Nebeneinander wirklich
mit J. Pedersen und J. Scharbert als unproblematisches Ex-
plikationsverhältnis sehen? Sind nicht vielmehr der exkom-
niunikative Fluch und der jeweils im Hinblick auf individuell
Verschiedene Lebeiisiniiidcrung konkretisierte Hann zwei
grundverschiedene Anschauungen?" (10). Für eine solche
Unterscheidung spricht schon der formale Befund, daß das
Alte Testament mit altorientalischen Fluchwünschen sehr
viel gemein hat, daß aber die feierliche IHK -Formel sich davon
abhebt durch ihre parlizipiale Stilisierung und ihre pauschale
Aussage, während sonst im Allen Orient durchweg
konkretes Unheil angesagt wird. „Sollte sie darüber hinaus
die Form des Fluchworts sein, die der nach J. Pedersen aus
der Wüste stammenden Anschauungen vom Fluch als Ausschluß
aus der Gemeinschaft korrespondiert?" (14). In den
'olgenden fünf Kapiteln macht S. sich daran, was die Einleitung
als Frage derart formuliert hatte, in den Modus der
festen Aussage zu überführen.

Das erste Kapitel, die Fluchformel (25—73), behandelt I
»Die Form der alttestamentlichcn 'arür-Worte" mit Hinweis
Inf die semantische Bedeutung der Wurzel sowie mit grammatischen
und syntaktischen Erwägungen, II „Altorientalische
Fluchformeln" stellt als einfachste und darum ursprüngliche
„Grundform" nnx -vnK heraus. Das läßt eine „Grund-
Mtuation" annehmen, bei der ein heftiger Konflikt zwischen
zwei Menschen(gruppen) sich in diesem eruptiv hervorbre-
eliciiilcii Much entladen hat (.Vi). Die Grundform muß zwar
hypothetisch erschlossen werden, sie ist im Alten Testament
licht, erhalten, aus ihr lassen sich aber alle späteren Erscheinungen
ableiten (55).

Das zweite Kapitel untersucht Fluchbegründungen
und Fluchbedingungen (74—129). Die Begründungen
smd nicht allzu häufig und folgen keinem formalen Schema,
sie können in rhetorischen Fragen bestehen, in '3 - oder -ttix-
Sätzen. Inhaltlich zeigt sich keine feste Beziehung zum vorangegangenen
nix. Gewichtiger sind die im Fluch genannten
Bedingungen, die in Partizipial- oder Relativsätzen erfolgen
, z. B. „der Mann, der auf Menschen vertraut" (Jer 17,5).

S. ist der Mei.....ig, daß hier die Form von Rechtssätzen auf

den Fluchspruch einwirkt, obwohl gegen den Brauch rechtlicher
Formulierungen in diesem halle die Apodosis „verflucht
" der Tatbeslandsbeschreibung voransteht und obwohl
S« nach eingehender Behandlung nicht bloß von alttesta-
Dientlielien Gesetzen, sondern auch von priesterlicher Tora
und Weisheitssätzen feststellt, daß partizipiale Beschreibungen
keinem bestimmten Sitz im Lehen angehören, sondern
„knappste Form der Kasusbeschreibung überhaupt" sind
(111). Dennoch liegt S. daran, den Fluchspruch auf dem Weg
über seine Bedingungen in die rechtliche Sphäre einzustellen,
weil er sich die Funktion dieser Formeln nur als die „eines
primär volkstümlichen Rechts" vorstellen kann. Sie „stehen
als solche im Dienst der behelfsmüßigen Anspruchssicherung
und -Verwirklichung" (129). Gemeint ist, daß ein Israelit, der
sein Recht nicht auf dem Wege ordentlichen Prozesses erlangen
konnte, etwa bei Diebstahl durch unbekannte Täter sich
durch den Fluch zu helfen versuchte. Selbst der israelitische
Kult bediente sich gelegentlich „des Fluchs zur Sicherung
seiner Erfordernisse" (129).

Das dritte Kapitel ist den fluchentfaltenden Aussagen
gewidmet (130—162), die wie das „Staubfressen" bei der
Schlange Gen 3 der Topik altorientalischer Flüche folgen,
mit den ti-ik -Formeln aber nur locker verbunden sind.

Im vierten Kapitel wird eine parallele Sprachstruktur verfolgt
, nämlich die Segens forme] und ihr Beilrag zur Frage
nach der Herkunft der Fluchformel (163—198). Ein Salz „gesegnet
ist NN" ist im gesamten altorientalischcn Material
nur noch außerhalb des Alten Testaments in aramäischen
Dialekten seit der Perserzeit nachzuweisen. Er wird von S.
auf die leider weder alttestamentlich noch aramäisch belegte
Kurzform „gesegnet bist du" und auf die Situation des
Grußes bei der Ankunft oder beim Abschied (Gen 14,19 z. B.)
zurückgeführt.

Das fünfte Kapitel bestimmt den Sitz im Leben der
Fluchformel (199—230). Sicherlich war es — um den negativen
Teil vorwegzunehmen — nicht im Kult. Die „grundsätzliche
Verwendung des Fluches der Kult" ist „eine späte, deuterono-
mistische Schöpfung" (230). Die Herkunft liegt vielmehr im
nomadischen Clan. Den Schlüssel liefert Gen 27,29; Num
24,9: „Die dich verfluchen — verflucht! Und die dich segnen
— gesegnet!" Diese Sätze, im jetzigen jahwistischen
Text göttliche Zusage über den Erzvater oder den Seher Bi-
leam an Israel, werden nur wirklich anschaulich, wenn man
eine Situation voraussetzt, bei der einer, der aus seiner angestammten
Sippe durch Fluch ausgestoßen war, bei einem anderen
Clan Aufnahme findet. Dann ist nötig, den Fluch abzuwehren
und einen Segen mit Aufnahmen in die neue Gemeinschaft
auszusprechen (207—209).

Abschließend folgt das Ergebnis (231-233). 1. Die
Fluchformel besagt ursprünglich Ausschluß aus der Gemeinschaft
und stammt aus dem nomadischen Bereich. 2. Der Gedanke
konkreter Lebensminderungen ist mit den (andersartigen
) Fluchwünschen erst im Kulturland übernommen worden
. 3. Die Fluchformel, ursprünglich ausschließlich unkultisch
, stößt gemcinschaftsfeindliche Elemente aus der Sippe
aus. 4. Eine (beschränkte) kultische Verwendung hatte der
Fluch im Ordal und bei Verletzungen göttlichen Rechts.
5. Zum Bundesgedanken besteht kein genuiner Bezug.

Man kann dem Buch den Respekt nicht versagen. Das alt-
orientalische Vergleichsmaterial wird in breiter Streuung benutzt
, wie es vordem zum Thema noch nicht geschehen ist.
Dabei weiß der Vf. nicht nur Ugaritisch und Akkadisch, sondern
auch Ägyptisch und Hethitisch im Urtext zu zitieren.
Die Gründlichkeit, mit der die Sekundärliteratur nicht nur
zitiert, sondern kritisch aufgearbeitet ist, führt zu regelrechten
Exkursen über eine Vielzahl von Bibelstellen. Für die
Akribie zeugen auch die fünf Seiten Nachträge (234—238).

Dennoch muß der Rezensent gestehen, daß er an einzelnen
Stellen belehrt, vom ganzen alles andere als überzeugt ist.
Eine eingehende Auseinandersetzung würde zuviel Raum beanspruchen
, doch soviel sei gesagt. Auf sämtlichen 238 Seiten
habe ich nirgends einen eindeutigen Beleg dafür gefunden,
daß der UTK-Spruch Ausstoßung aus der menschlichen Gemeinschaft
bedeutet, noch gar, daß sein Sitz im Leben in der
Sippe liegt. Vom Sippengenossen gegen den Sippengenossen
wird er nirgends benutzt. Hundert unsichere Argumente
machen noch kein einziges sicheres Argument. Ich bin durchaus
mit S. skeptisch, daß der Kult (was ist das eigentlich?)