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Ausgabe:

1971

Spalte:

468-469

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Rasse, Entwicklung und Revolution 1971

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 9(5. Jahrgang 1971 Nr. 6

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Glaubensgeschichte 60jähriger bis weit über 80jähriger
Menschen. Das religiöse Schicksal wird in enger Konkordanz
zum Lebensachicksal gesehen, da das Schicksal eine,
Einheit von objektiven Gegebenheiten und persönlichem
Welt- und Selbstverständnis ist, wobei im Alter die Rückschau
auf das Lebensganze und die Grenzsituation der
Todesnähe eine besondere Rolle spielen. Es geht also tiichl
nur um die Religiosität des Menschen in der Altersphase,
sondern um Längsschnittforschung unter Einbeziehung
der biographischen Methode, wie sie H.Thomae und seine
Mitarbeiter (Bonn) auch in der Altersforschung durchführen
. Nach thematisch bestimmten Gesprächen mit
65 Personen beiderlei Geschlechts und verschiedener
sozialer und weltanschaulicher Herkunft kristallisierten
sich sechs typische Verlaufsformen religiöser Schicksale
heraus. Sie werden als Merkmale für die Gliederung der
39 vollständig vorgelegten Gesprächsprotokolle verwendet
. Wir finden: 1. „Persönlichkeiten mit einer ungebrochenen
religiösen Entwicklung", 2. „Individualisten -
mit eigenständiger religiöser Entwicklung innerhalb der
überkommenen Konfession", 3. „Konvertiten", 4. „Suchende
mit Distanzierung von der überkommeneu Konfession
, die in einer anderen religiösen Gemeinschaft
heimisch geworden sind", 5. „Persönlichkeiten, deren
religiöse Schicksale durch die Begegnung mit dem Sozialismus
beeinflußt wurden", und 6. „Persönlichkeiten, deren
religiöse Schicksale durch die Distanzierung von der
überkommenen Konfession bestimmt wurden ohne Zugehörigkeit
zu einer Gesinnungsgemeinschaft". Tm letzten
Drittel des Buches werden die Ergebnisse unter Verwertung
weiterer Protokollauszüge nach bestimmten Gesichtspunkten
zusammengefaßt, z.B. „Glaube und Unglaube
", „Die Gestalt Jesu Christi", „Das Erlebnis der
Kirche" u.a.

Ein Ergebnis der früheren Untersuchungen des Autors
über „Die Religion des Kindes" (1964) und „Die religiöse
Entscheidung der Jugend" (1963) wird durch die
Aussagen im Lebensfinale erneut bestätigt: die überragende
Bedeutung des Ursprungsschicksals. Die vom
Glauben der Eltern bestimmte häusliche Atmosphäre und
Erziehung prägen weitgehend die Struktur des religiösen
Schicksals. Augenfällig ist der Einfluß der Mutter
(matriarchal bestimmte Variante). Insbesondere haben
die Menschen einer ungebrochenen religiösen Entwicklung
ihre Prägung durch die Liebe und Frömmigkeit der
Mutter erhalten. Wir finden aber auch eindrucksvolle
Beispiele eines patriarchal oder parental oder durch wertneutrale
Konstellationen bestimmten Ursprungsschicksals
. Für den „Primärverlauf" und weitgehend auch für
den „Sekundärverlauf" des Schicksals (Begegnung und
Konfrontation mit der überkommenen Konfession in
Schule und Kirche) ergibt sich eine Dominanz der „personalen
Wertübertragung" gegenüber dem Einfluß anonymer
Bildungsmächte oder abstrakter Lehren. Die persönlichen
Begegnungen mit Lehrern und Pastoren im
Schul-, Religions- und Konfirmandenunterrieht sind ausschlaggebend
für die Prägung des Gottesbildes und für das
Verhältnis zur Kirche. Im „Tertiärverlauf" des religiösen
Schicksals werden Ehe und Elternschaft, Beruf, politische
und geistesgeschichtliche Vorgänge, persönliches
Glück und Leid, wie Krankheit, Kriegs- und Todeserfahrungen
von großem Gewicht. Im Alter, in dem „das
große Schlußexamen" zu bestehen ist, wird der Glaube
noch einmal auf eine Bewährungsprobe gestellt und bleibt
darum Wandlungen unterworfen. Die Glaubensstruktur
zeigt sich im Alter als ein individuell geprägtes, doch
dynamisches Gefüge, da die Spannung zwischen Glaube
und Unglaube, bewußtem Bekenntnis und unbewußten
existentiellen Bindungen bestehen bleibt. Da alles Begegnende
vom Schicksalsträger sinndeutend gewertet
wird, sind auch die konstitutions- und geschlechtsspezifischen
Eigenarten und nicht zuletzt die Faktoren des
kollektiven und persönlichen Unbewußten (einschließlich
des Verdrängten) an den Schicksalen ablesbar. Der gläubige
Christ erkennt in ihnen auch das Wirken Gottes und
seines Wortes und spürt die personale Beziehung zwischen
Gott und Mensch. Es zeigen sich aber auch die für jede
Gesinnungsgemeinschaft typischen Wahrheiten, Grenzen
und Gefahren im theologischen Selbstverständnis, Gemeinschafts
- und Erziehungsstil, die zur Bindung an sie
beitragen bzw. zur Distanz von ihnen führen. So lassen
sich aus dem Studium der Schicksale viele Lehren für die
Verkündigung, Seelsorge und Erziehung, aber auch für
das eigene Glaubensleben ziehen. Das wird erleichtert
durch die sachkundige und differenzierte Auswertung der
Schicksale, die der Autor vornimmt.

Leipzig Adelheid Reuach

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE

Beckmann, Klaus-Mart in: Rasse, Entwicklung und Revolution
, hrsg. u. kommentiert. Der Notring-Hill-Report und
zugehörige Dokumente. Stuttgart: Evang. MissioiiHverlag
1970. 138 >S. 8° = Beiheft zur ökumenischen Rundschau,
14/15. DM 9,-.

Das „ökumenische Programm zur Bekämpfung des
Rassismus", das der Zentralausschuß des ökumenischen
Rates der Kirchen 1969 in Canterbury beschlossen hat
(S. 104-111), markiert eine neue Art der ökumenischen
Aktivität, die sich seit der Weltkonferenz für Kirche und
Gesellschaft 1966 allmählich immer stärker durchgesetzt
hat. Über die rein charitativen Hilfsmaßnahmen an den
Brennpunkten und Spannungsherden unserer Zeit hinaus
ist zum ersten Mal eine deutlich sichtbare Solidaritätsaktion
der ökumenischen Bewegung zu denen eingeleitet
worden, die unter den Ungerechtigkeiten und unter dem
Rassismus im Bereich nationaler und internationaler
Strukturen leiden. Dies konnte geschehen auf dem Hintergrund
einer neuen Situationsanalyse. Aber mit ihr vollzog
sich im Ökumenischen Rat der Kirchen auch ein Wandel
im Verständnis der diakonischen Verantwortung der
Kirchen in der Welt. Kann es doch nicht nur die Aufgabe
der Christenheit sein, Wunden zu verbinden, sondern muß
sie doch um der Menschwerdung Gottes in Christus willen
mit ihrem diakonischen Einsatz auch für die Menschwerdung
des Menschen eintreten. Noch mehr: Sogar im
Blick auf ihr Verständnis von Einheit der Kirche und
Einheit der Menschheit werden neue Perspektiven sichtbar
. Die in Erklärungen zum Rassenproblem erwünschte
Einheit des Menschengeschlechts wird nicht mehr zu
kennzeichnen sein durch die Identität aller Menschen im
Bilde einer in der „westlichen" technischen Zivilisation
gegründeten Weltgemeinschaft. Die Zukunft der Menschheit
ist nur menschlich, wenn jeder in seiner menschlichen
Identität leben kann und gleichberechtigt mitarbeitet an
dem friedlichen Aufbau der Völkergemeinschaft. Jedem
diese seine Identität zu geben, ist Aufgabe auch der christlichen
Mission und Diakonie.

Die Dokumentation Beckmanns weist auf, in welchem
Kontext und auf welchen Stationen der Jahre 1968 -1970
die Neuorientierung im ökumenischen Rat der Kirchen
erfolgte. In der Regel verbindet sich dieser Prozeß am
meisten mit dem Namen Notting Hill (London). An diesem
Ort fand 1969 die Konferenz statt, auf der - nicht
zuletzt durch sehr handgreifliche ungeplante Aktionen
antirassistischer Gruppen von außen die Herausforderungen
der Zeit unausweichlich wurden. Darum stehen
die lebendigen Dokumente dieser Expertentagung am