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Ausgabe:

1971

Spalte:

463-465

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Evangelische und katholische Gottesdienstmodelle, ökumenische Gottesdienste

Titel/Untertitel:

Gebete, Meditationen, Bekenntnisse 1971

Rezensent:

Mendt, Dietrich

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463

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 6

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deren Ursachen beseitigen, die darin liegen, daß die
meisten der entscheidenden Sozialisationsträgcr, nämlich
besonders die Eltern, ihrer Aufgabe nicht gewachsen
sind. Die Erwachsenentaufe wäre keine Lösung, weil die
erwachsenen Täuflinge vorwiegend aus dem „kirchlichen
Intensivsegment" zu erwarten sind.

Von weiteren „quaestiones disputatae" seien die Frage
der Kirchenzugehörigkeit erwähnt. Nach Leroy sieht das
Neue Testament die Zugehörigkeit zur Kirche im Hören
des Evangeliums begründet (70). „Es ist zu fragen, ob es
nicht Situationen und Gründe gibt, die es empfehlen, auf
diese Praxis zurückzugreifen." Neumann sieht in der
Taufe die grundlegende, aber noch unvollständige Zuordnung
zur Kirche, auf die in der Firmung die volle Mitgliedschaft
folgen soll. Auch die Kindersegnung wird als
Möglichkeit erwogen, eine erste Zugehörigkeit zur Kirche
auszudrücken (Exeler - Zimmermann, 183f.).

Erfreulich ist die Sachlichkeit der Argumentation, die
extreme wie pauschale Standpunkte und Vorurteile zu
meiden sucht und so auch für die Diskussion auf evangelischer
Seite hilfreich sein kann. Dem Fortgang des
katholischen Gesprächs über die Taufe ist mit Interesse
entgegenzusehen.

Halle/Saale Eberhard Winkler

Seidel, Uwe, u. Diethard Zik [Hrsg.]: Aktion Gottesdienst.

I. Evangelische und katholische Gottesdienstmodelle, Ökumenische
Gottesdienste, Gebete - Meditationen - Bekenntnisse
. Wuppertal: Jugenddienst-Verlag; Düsseldorf: Verlag
Haus Altenberg [1970]. 387 S. 8°. Kart. DM 13,80.

Unter der Überschrift „Zum Beispiel der Gottesdienstbesucher
. Ein Itechenexempel" findet sich im Abschnitt
„Bericht - Anregungen" (S.370) eine satirische
Abrechnung mit dem normalen Gottesdienstbesucher
bzw. mit der normalen Kirchgemeinde und ihren „Erwartungen
" in bezug auf den Gottesdienstbesucher. Im
vierten, positiven Abschnitt dieser Anklage heißt es unter
dem Stichwort „Folgerungen":

Begegnungsfreundlicherer Stil, menschenfreundlichere Pausen
und Auflockerungen. Information und Weiterbildung. Klare
Sprache, eindeutige Aussagen. Bitten, Bittrufe, Voten umeinander
in Übereinstimmung mit „Tagesdeutsch", Sing- und ver-
stehbares Liedgut. Ansprachen, Darbietungen existentialer
Art zu unserer Lage, und zwar an Hand der Christusaussagc,
daß Christus der Herr ist, war und bleibt, und unser Leben
immer in seiner Hand bleibt. Angebote von gemeinsamen
Unternehmungen, Aktionen, Aufrufen.

Damit ist das Programm des Buches umschrieben. In
der Einführung ergänzen einige erläuternde Stichworte
aus der gegenwärtigen Diskussion um den Gottesdienst
das Programm des Buches: „Aktion" (8), „Protest",
„Situation, Analyse, Information" (8), „Säkularisierungsprozeß
" (9), „Aktion Gottesdienst bedeutet, die Tagesordnung
der Welt behandeln - sachgemäß und unreligiös"

Dies alles ist nicht mehr neu, und man möchte hinzufügen
angesichts der Flut solcher „Werkbüchcr" in der
Gegenwart, auch die angebotenen Texte sind nicht mehr
neu. Natürlich ist Gutes mit Schlechterem und Schlechtem
vermischt, natürlich ist mitunter die Sprache fast
herkömmlich (23ff), mitunter reißerisch modern (Meditation
über „Schalom" 14f), mitunter schön in der Mitte
liegend (153ff), aber man merkt zu seiner eigenen Verblüffung
, daß sich beim Lesen nach etwa fünfzig Seiten
Lektüre so etwas wie Langeweile einstellt. Dies ist nicht
ausschließlich negativ zu werten, es handelt sich eben
nach dem Willen des Herausgebers nicht um ein „Lesebuch
", sondern um ein „Werkbuch", das nicht gelesen,
sondern als Anregung zu eigenen Versuchen gebraucht

werden will, obwohl ganz sicher die Gefahr nicht vermieden
werden kann, daß inaktive und sich modern gebärende
Gruppen einfach unreflektiert Texte übernehmen
, um so mehr, als auch hier Modelle vorgelegt werden
, denen die Umwelt nicht anzusehen ist, aus der sie
stammen, wie beispielsweise „Ich glaube an eine heilige
katholische Kirche" (23ff), „Frieden ist möglich" (53ff),
„Eine bessere Gerechtigkeit" (141 ff) u.a. Immerhin sind
einige Gottesdienste von brennender Aktualität für die
Bundesrepublik, in der das Buch ja erschienen ist, so
etwa „Schalom - Friede! Friede! ... Doch wo ist Friede ?"
(29 ff), „Herausforderung Mischehe" (45ff), „(Ungehorsam
eine Bürgerpflicht?" (öl ff), „Hunger nach Gerechtigkeit
im Strafvollzug" (1G3). Hier ist wegen der strengen
thematischen Begrenzung auch wirklich nur ein schöpferischer
, selbständiger Nachvollzug denkbar. So wird das
Buch zweifellos wie seine Vorgänger und Nachfolger
seinen Zweck erfüllen.

Einige verallgemeinernde Notizen zum Ganzen seien
immerhin gestattet:

Alle vorgelegten Texte gehen von der Situation aus.
Der herkömmliche Typ eines „vorgegebenen Predigttextes
" fehlt völlig. Das heißt nicht, daß auf die Bibel
verzichtet wird, obwohl auch das vorkommt. Trotzdem
wird man dies am wenigsten bedauern, zumal Texte auf
diese Weise wirklich wieder spannend werden. Man lese
etwa die Transformation des Psalmes 8 (30G) oder die
Paraphrase über die Weihnachtsgeschichte aus der Werkstatt
des Weltkirchenrates (348)! Aber man vermißt
doch - und dies ist ein schmerzliches und theologisches
Vermissen! - gerade im Blick auf manche Situations-
bezogenheit (Strafvollzug, Nordirland, Nichtkümmern
um Verletzte auf der Autobahn, Hunger) so etwas wie den
reinen Zuspruch des Evangeliums! Man versteht die Verfasser
. Sic wollen um Gottes willen - wirklich um Gottes
willen! - nicht in den Verdacht geraten, sie wollten etwa
Hungernde mit dem bloßen Wort trösten, ohne ihnen
etwas zu essen zu geben. Aber ist nicht eine wesentliche,
die wesentlichste Funktion des Evangeliums, die gerade
in einer Leistungsgesellschaft ein ganz besonderes Gewicht
erhält, dem Menschen die Liebe Gottes, die Vergebung
Gottes mitzuteilen, die ihn unabhängig von seiner
Leistung zukommt. Auch wer nichts leistet, nichts leisten
kann, hat Anspruch auf die Liebe Gottes, „zählt" vor
Gott. Man hat den Eindruck, daß keiner der Gottesdienstbesucher
, die mit den Modellen dieses Buches angesprochen
werden sollen, mit dieser Erleichterung, mit
dieser Gewißheit nach Hause gehen kann. Vielleicht
hängt es damit zusammen, daß das Werkbuch in einer
Hinsicht, die die gottesdienstliche Tradition im evangelischen
Bereich wesentlich geprägt hat, um keinen
Schritt vorankommt, auch nicht in den vorgelegten katholischen
Versuchen: es handelt sich ausschließlich um dargebotene
Lehre. Es fehlt die Erzählung, die dem Hörer die
denkende Schlußfolgerung überläßt. Man könnte geradezu
sagen: es wird zuviel gedacht, zuviel vorgedacht und zu
wenig Nachdenken dem Besucher iibeilassen.

Ein großer Mangel des Buches sind die nur ganz spärlichen
, gelegentlichen Stimmen über die Wirkung der
Gottesdienste (Presseberichte 12.130. 242. 252. 354. 308).
Man erfährt weder, wie die Gottesdienste „ankommen",
man erfährt nicht einmal etwas über den Verlauf anschließender
Diskussionen (bei knapp der Hälfte aller
Modelle ist anschließendos Gespräch vorgesehen), die doch
wesentlichen Aufschluß geben könnten über die Anteilnahme
des Publikums, man erfährt aber auch nichts über
geplante, geschweige denn durchgeführte Aktionen. Und
das ist zweifellos zuwenig. Gerade wenn sich solche
Gottesdienste dadurch auszeichnen wollen, daß sie nicht
neben dem Alltag herlaufen, daß sie den Christen nicht
veranlassen, zweigleisig zu fahren - hie Kirche, hie Welt -,