Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

455-457

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Reinhardt, Klaus

Titel/Untertitel:

Der dogmatische Schriftgebrauch 1971

Rezensent:

Gerber, Uwe

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

455

Theologische Literalurzeitung 9G. Jahrgang 1971 Nr. 6

Das ganze Werk kann in seinen vielen Einzelbemerkungen
und Einsichten nicht besprochen werden. Es
kann zum Schluß nur noch der Gesamtduktus angezeigt
werden. Dieser Gesamtduktus heißt: Gottes Eintreten
in die Welt als Gottesbewußtsein des Menschen macht
menschliches Leben sinnvoll und möglich. Mit dem Eintreten
Gottes in die Welt tritt dieser Gott aber in bestimmter
Weise auch in die Verantwortung des Menschen. Das
macht den Spannungsbogen des Werkes aus. Ein Buch
wie dieses, das mit sehr langem Atem geschrieben ist, das
daher viele Formalisierungen an sich trägt und wenig
gängige Münze ausgibt, verlangt viel Zeit und Nachdenken
. Es erzieht den Leser zum beharrlichen Mitdenken
. Es belohnt ihn mit sehr vielen feinen Einzelbeobachtungen
.

Marbach bei Marburg (.'arl-TIeiuz Ratschow

Reinhardt, Klaus: Der dogmatische Schriftgehraucli in der
katholischen und protestantischen Christologie von der Aufklärung
bis zur Gegenwart. München-Pailerhorn-Wii'n:
Schöningh 1970. XXIV, 534 S. gr. 8°. Lw. DM 60.-.

In dieser Habilitationsschrift versucht der kath. Dog-
matiker K.Reinhardt (Trier) den „Schriftgebrauch des
Dogmatikers" aufzuweisen, „wie er in den systematischen
Darstellungen der Christologie, in Lehrbüchern, Abhandlungen
, Aufsätzen zum Ausdruck kommt". Es gellt „nicht
direkt um die erkenntnistheoretischen Grundlagen des
Schriftgebrauchs (sc. um Offenbarung, Glaube etc.), sondern
um den Schriftgehraucli selbst" (S.4). Es geht also
auch nicht um die Christologie als solche, sondern um den
dabei implizierten Schriftgebrauch, und zwar seit dem
Aufkommen des historisch-kritischen Denkens in der Aufklärungszeit
. Es sollen „die Wurzeln der heutigen Problematik
und die Entwicklungslinien herausgearbeitet
werden" (S.O), für die protestantische wie katholische
Theologie.

Im I.Hauptteil (S.8ff) werden die Anfänge einer biblisch
-historischen Lehrart in der Christologie der Aufklärung
(Ernesti, Semler, Teller u.a. bzw. Klüpfel, Galura,
Hermes u.a.), die Typen des dogmatischen Schriftgebrauches
zu Beginn des 19. Jh. (De Wette, Schleiermacher,
J.T. Beck u. a. bzw. A.Günther, F. A. Staudeumaier u.a.),
die Stellung des dogmatischen Schriftgebrauches in der
Auseinandersetzung mit der konsequent historischen Forschung
(Strauß, F.Chr. Baur, Biedermann u.a. bzw. Kulm,
Franzelin, Scheeben u.a.) und in der Zeit des Historismus
(hist. Jesusforschung, Ritsehl, Herrmann, Troeltsch u.a.
bzw. Schell, Pohle, Bartmann, Diekampu.a.) aufgezeigt.
Es wäre vielleicht im Blick auf die heutige Aktualität wünschenswert
gewesen, wenn Kierkegaard und M. Kähler
bzw. Newman und die Modernisten ausführlicher zu Wort
gekommen wären.

Im II. Hauptteil (S. 219 ff) werden die Typen des dogmatischen
Schriftgebrauches in der Christologie seit 1920
untersucht, beginnend mit K.Barths christologischem
(christozentrischem) Schriftgebrauch über die existentiale
Interpretation bei R. Bultmann und deren Fassung in der
Bultmann-Schule (E. Käsemann, Braun, Ebeling), über
die personalistische Schriftdeutung E. Brunners und
F. Gogartens ,Jesus Christus - Wende der Welt' (1966),
über die symbolistische Schriftauslegung bei F. Buri und
die überlieferungsgeschichtliche bei W. Pannenberg bis
zum Schriftgebrauch in der neueren katholischen Theologie
(Adam, Schmaus). Reinhardt geht hier nicht nur
deskriptiv vor, sondern zeigt auch die Grenzen und kritischen
Punkte der jeweiligen Position wie die Weiterinterpretationen
, etwa in E.Jüngel.s Verbindung von
Barths und Bultmanns Hermeneutik, in J.Moltmanns
eschatologischer Deutung des Barthschen Ansatzes oder

in der säkular-christologischen Schriftdeutung auf Barth-
schem Boden etwa bei D. Bonhoeffer oder l';uil van Buren.

Im III. Hauptteil (S.347ff) wird der Längsschnitt nach
der Querschnittsmethode betrachtet, und zwar hinsichtlich
der christologischen Einzcltraktate: a) Messias, zweiter
Adam, Kyrios, Kenosis etc. als biblische Motive in der
dogmatischen Christologie; b) kritische Beobachtungen
zur dogmatischen Verwendung solcher biblischen Motive.
Gleichsam umgekehrt wird dann gefragt, wie sich die
systematischen Motive der Christologie, bes. die Zwei-
Naturcn-Lehre, als schriftgemäße Interpretation der
Christus-Offenbarung darstellen (S.384ff). Wurde das
Dogma durch neue Interpretationsschemata existentialer
oder spekulativer Provenienz ersetzt, so lautet das Fazit:
„Daß das Dogma (sc. Chalcedonense) den Sinn der Schrift
verfehlt hätte und deshalb aus seiner (einer?) schriftgemäßen
Christologie eliminiert werden müßte, ist von
dem katholischen Schriftverständnis her ausgeschlossen;
auch die historische Untersuchung hat gezeigt, daß die
neuen christologischen Vorstellungen die Schrift keineswegs
besser interpretieren als das christologis'che Dogma.
So bleibt nur der Weg, das Christusdogma in einen Sinn-
zusammenhang zu transponieren, der das Dogma selbst
und die ihm fehlenden biblisch-systematischen Motive
umschließt, das aber heißt, das Dogma, zu übersetzen, zu
ergänzen, zu interpretieren" (S.403). Schon hier deutet
sich der später herausgestellte Kontroverspunkt an, wie
katholische und protestantische Christologie bzw. überhaupt
Theologie zu Schrift und Dogma stehen.

Im IV. Hauptteil (S.407ff) werden die hauptsächlichen
biblischen Beweisstellen in der dogmatischen Christologie
angeführt. Von den 17 Bibelstellen seien einige genannt:
Mt. 1,18-21 par.; Mt. 11,27 par.; Mt. 18,11 par.; Mk.8,38
par.; Apg.2,32-36; Röm.l,3f etc. Wie verhalten sich
nun aber historische und dogmatische Schriftauslegung
angesichts der Tatsache, daß viele überlieferte Jesuslogien
der nachösterlichen Verkündigung angehören? „Die historische
Differenzierung hilft der Dogmatik ..., die Akzente
richtig zu setzen. Sind auch alle Aussagen der Schrift für
ihn (sc. Dogmatiker) beweisend, so haben doch nicht alle
denselben Rang. Es gibt in der Schrift auch sachlich
unbedeutende, ja sogar defektive Aussagen, die nicht auf
der ursprünglichen Höhe der Offenbarung stehen...(!).
Also auch die Kritik, die zwischen bedeutsamen und weniger
bedeutsamen Aussagen der Schrift, zwischen dem
Hauptstrom der Entfaltung des Christusgeheimnisses und
den Seitenlinien, ja Holzwegen, unterscheidet, hat für die
dogmatische Interpretation eine positive Bedeutung. Auch
die historische Kritik ist ein wesentlicher Bestandteil der
dogmatischen Methode selbst" (S.423) - aber bei solchen
(|uantitierenden Aussagen beginnt ja erst das eigentliche
Problem, das im Schlußteil ausführlicher aufgerollt wird
(S. 425 ff).

Es hat sich gezeigt, daß jede Christologie einen spezifischen
Schriftgebrauch impliziert, so etwa die Auf-
klärungschristologie einzig den moralischen Schriftsinn,
die Bultmannsche Christologie einzig den existentialen
Schriftsinn usw. Wo gibt es hier nun ein Kriterium? Zunächst
ist die Funktion der Schrift in der Dogmatik bzw.
Christologie eine dreifache: „Sie ist Quelle der dogmatischen
Erkenntnis, sie ist deren Norm und Beweisgrund
, schließlich macht sie die dogmatischen Erkenntnisse
anschaulich und lebendig" (S.425). So gesehen dient
die historisch-kritische Exegese dem dogmatischen
Schriftgebrauch sowohl durch Destruktion historischer
Sicherungen des Glaubens als auch durch Begründung des
Glaubens wie als apologetische Hilfswissenschaft. Exegese
und Dogmatik durchdringen sich schon immer gegenseitig
(S.437). Der Ort aber für den dogmatischen Schriftgebrauch
, der sich aus den Faktoren der historisch-kritischen
Exegese, der ontologisch-systematischen Frage-