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Ausgabe:

1971

Spalte:

22

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Cohn, Gabriel H.

Titel/Untertitel:

Das Buch Jona im Lichte der biblischen Erzählkunst 1971

Rezensent:

Ringgren, Helmer

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 1

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entwickelt hat (S. llOf; gegen Baumgartner). Gunkel verweist
in der ersten Auflage seines Genesis-Kommentars
im Unterschied zu den späteren Auflagen auf keine literaturwissenschaftlich
orientierten Abhandlungen. K. kann
nachweisen, dafj er dies auch gar nicht tun konnte, da die
entsprechenden literaturwissenschaftlichen Werke entweder
erst nach Erscheinen oder während der Publikation von
Gunkels Kommentar herausgekommen waren bzw. auf
Grund ihres eigenen methodologischen Entwicklungsstandes
gar nicht in der Lage gewesen waren, anderen Wissenschaftsgebieten
methodologische Anregungen zu vermitteln.
°ie geistesgcschichtliche Linie führt über Reuss zu Herder
zurück; dafj Anregungen von den Gebrüdern Grimm ausgegangen
sein mögen, wird nicht bestritten. Nicht uninteres-
sant ist der Tatbestand, daß Gunkel ein hervorragender
Kenner der Werke Goethes und Lessings war. Erst im Hinterdrein
stöfjt Gunkel auf verwandte Gedanken bei dem
Orientalisten Ernst Heinrich Meier (1813-1866) in dessen
1856 erschienenem Buch .Geschichte der poetischen Natio-
nal-Literatur der Hebräer', das Gunkel — wie K. bemerkt —
erst 1906 zitiert (S. 112f u. Anm. 35).

K. geht so vor, daß er in den beiden anderen Hauptteilen
Werden, Wirken und Bedeutung der Gunkelschcn
Arbeiten herausarbeitet. Es gelingt dem Vf., das Klima
der Kämpfe und Auseinandersetzungen mit den Fachkolle-
9en, namentlich mit der älteren Schule Wellhausens, zu
erfassen und darzustellen. Da5 die ,religionsgeschichtliche
Schule' in Gegensatz zur .literarkritischen Schule' geriet
"fei dafj die literaturwissenschaftlichen Erkenntnisse Günsels
sich nur schwer Bahn brechen konnten, nimmt man
heutzutage mit Erstaunen wieder zur Kenntnis (vgl. die —
wahrscheinlich unveröffentlicht gebliebene — Erklärung
Grefjmanns, S. 73f). Dafj Gunkel dann später mit der Dialektischen
Theologie in Konflikt geraten mußte (vgl. die
Bemerkungen auf S. 221, Anm. 22) zeigt, in was für einer
tneologie- und geistesgeschichtlich spannungsreichen Zeit
U880—1930) das Lebenswerk Gunkels seinen .Sitz im Le-
°en' hatte. K. konnte für manche Unklarheiten noch Schüler,
Freunde und jüngere Kollegen Gunkels brieflich bzw.
mündlich befragen (u. a. Baumgartner, Bultmann, Eißfeldt),
So dafj auch das unmittelbare Zeugnis über Gunkel Eingang
m seine Darlegungen gefunden hat. Überall versucht K.,
a>e Linien bis in die Gegenwart auszuziehen. Hier besteht
natürlich die Gefahr, Zusammenhänge zu schnell und zu
""differenziert zu (re)konstruieren. K. gelangt in seinem
E'nleitungs- und Schlufjkapitel bis hin zu J. Barr und W.

annenberg. Wissenschaftsgeschichtlich summierende Abschnitte
, wie z. B. die Skizzierung der .Lage im Alten Testament
' um 1895 (S. 46ff), stellen die wissenschaftsgeschicht-
■cne Situation mitunter vereinfachend dar. Interessant
"hd aufschlußreich ist die Berichterstattung über das Ver-
altnis von Gunkel zu seinen Schülern, insbesondere zu H.
^refjmann. Leider muß man sich das Bild dieser Beziehun-
9en aus zahlreichen einzelnen Mosaiksteinen selber zusammensetzen
. Dieses Thema wäre eine eigene Verhandlung
vert. Über die Beziehungen Gunkels zu Mowinckel hätte
rnan gern noch mehr erfahren, als K. vorführt. Aber vieleicht
ist das zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht mög-
lch. Insgesamt darf man den Autor zu dieser wertvollen,
Sachkundigen Monographie beglückwünschen. Sie stellt ei-
hen wichtigen Beitrag zur jüngeren Theologiegeschichte
nicht nur der alttestamentlichen Disziplin dar.

Zwei Fragen seien noch angefügt, die sich bereits zur
ermulierung des Untertitels dieses Buches stellen. K. plä-
lert für eine vereinheitlichende Nomenklatur. Er schreibt
^uf S. 12, Anm. 6 (unten): „Man sollte sich aus Gründen
er Rationalität darauf einigen, .Formgeschichte' als Ober-
9nff zU verstehen und die verschiedenen Aspekte der
.0rJri9eschichtlichen Arbeit jeweils mit .gattungsgeschicht-
^ ' .traditionsgeschichtlich', .redaktionsgeschichtlich' zu
ezeichnen." Aus dieser Grundanschauung erklärt sich der

letzte Teil des Untertitels. Es fragt sich freilich, ob sich
diese Forderung von der Sache her wird erfüllen lassen.
Und die andere Frage bezieht sich auf die Theologie Gunkels
, die K. als Theologie der Religionsgeschichte verstehen
möchte. Hier deutet sich eine Überzeichnung Gunkels an.
K. hat grofjes Interesse daran, Gunkel ,theologisch aufzuwerten
'. Sicher hat diese Intention eine gewisse Berechtigung
, allerdings bedürfte es nun in diesem Zusammenhang
einer klaren Definition von Theologie. Es darf nicht
der Verdacht entstehen, als sei mit Gunkel das bereits verwirklicht
gewesen, was heute dringendes Erfordernis der
Theologie ist, eine Theologie der Religion(en) und dann
gewiß auch der Religionsgeschichte zu formulieren.

Corrigenda: S. 46, Anm. 3 lies: Marburg; Gustaf Dal-
man schreibt sich mit f, nicht mit v.

Greifswald Siegfried Wagner

Cohn, Gabriel H.: Das Buch Jona im Lichte der biblischen
Erzählkunst. Assen: van Gorcum 1969. V, 111 S. gr. 8"
= Studia Semitica Neerlandica, red. by M. A. Beek,
J. H. Hospers, Th. C. Vriezen, R. Frankena, 12. Lw. hfl.
17.-.

Cohn will in diesem Buch neue Wege betreten. Die Ergebnisse
der bisherigen Forschung, die literarkritische, historische
und theologische Fragen gestellt hat, sind nach
ihm unbefriedigend. „Sie erklären nicht das Buch Jona, sondern
das Buch erklärt sie" (S. 21). Man befaßt sich mit
„Äußerlichkeiten, Abfassungszeit, Einflüsse, historisch-gesellschaftliche
Tendenzen .. . Fragen, welche sich mit dem
Rahmen des Buches beschäftigen und nicht mit seinem Inhalt
selbst" (S. 31). Statt dessen wählt der Vf. eine literarische
Methode, die mit stilkritischen Mitteln arbeitet, um
die literarische Struktur des Jona-Buches zu analysieren.
Er will das Buch „auf Grund der ihr eigenen Form und des
ihm eignen Inhalts" untersuchen und „in seiner Gesamtheit
" verstehen (S. 32). Vor allem soll „die Seinsweise des
literarischen Kunstwerks" erfaßt werden.

Demgemäß untersucht der Vf. rhythmische Aspekte,
Struktur und Aufbau des Buches, sprachliche Aspekte wie
Wortwiederholungen und Leitworte, und „stoffliche Aspekte
", und versucht zuletzt „das Buch Jona als organische Einheit
" (Kap. VII) zu verstehen. Auf diese Weise soll das Buch
Jona als literarisches Kunstwerk in seinem Wirken auf den
Leser sozusagen unmittelbar verstanden werden.

Die Analyse ist sorgfältig und erarbeitet in der Tat
neue Aspekte, die in der bisherigen Forschung vernachlässigt
worden sind. Es fragt sich aber, ob nicht bei dieser
Methode gewisse wichtige Gesichtspunkte zu kurz kommen.
Die Fragen der traditionellen Forschung, die sich auf Abfassungszeit
, Einheitlichkeit und Tendenz beziehen, werden
überhaupt nicht beantwortet. Will der Vf. sagen, daß diese
Fragen überhaupt belanglos sind, kann man ihm kaum
folgen. Will er aber sagen, daß die bisher gestellten Fragen
mit der vorliegenden Analyse ergänzt werden müssen, dann
hat er gewiß recht. Vom besonderen Standpunkt des Verfassers
hat er Wichtiges gesehen, was bisher nicht oder
nicht genügend berücksichtigt wurde. Aber die alten Fragen
sind dadurch nicht als belanglos oder gar unwichtig erwiesen
.

Die alttestamentliche Wissenschaft ist offenbar auf der
Suche nach neuen Methoden. Die stilkritische Forschung,
die von Alonso Schökel, Meir Weiss, Krinetzki und anderen
betrieben worden ist, fordert unsere Aufmerksamkeit.
Das vorliegende Buch fügt sich in die Reihe dieser Untersuchungen
und unterstreicht weiter die Notwendigkeit einer
Prinzipiendiskussion, um zu klären, was diese Methode
Neues und Wichtiges leisten kann und was nicht. Sicher
macht sie nicht die alten Methoden überflüssig nur dadurch,
daß sie die alten Fragen nicht stellt.

Uppsala Helmer Ringgren