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Ausgabe:

1971

Spalte:

433-435

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Philo Alexandrinus, De fuga et inventione 1971

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 6

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rät in Zweifel, welches nun das eigentliche Ziel der Arbeit
ist. So verdichtet sich die Enttäuschung zu dem unguten
Gefühl, daß auf diese Weise das relativ magere Ergebnis
der historisch-politischen Untersuchung kaschiert worden
ist.

Das entscheidende Problem der Arbeit liegt m.E. in
dem Verständnis dessen, was Auslegungsgesohiehte
eigentlich will. Seit Eberings Interpretation der Kirchengeschichte
als Geschichte der Auslegung der Heiligen
Schrift ist dieses Thema zu einem Schwerpunkt der theologischen
Forschung geworden. Doch liegen hier, wie A.
zu Hecht betont hat, eine Fülle noch ungeklärter methodischer
Fragen. Ebeling war so konsequent, daß er auch
die „unbewußte" und „negative" Beziehung zur Heiligen
Schrift als „Auslegung" verstanden wissen wollte und
die Kommentare als „keineswegs primär" bezeichnete.
Damit wird der Begriff der Auslegung jedoch methodisch
unbrauchbar, da keine genaue Stoffabgrenzung mehr
möglich ist. So ist es verständlich, daß sich A. im Anschluß
an L.Vischer und D.Lerch auf die spezielle Auslegungsgesehiehte
beschränkt. Ohne Zweifel sind auf
diese Weise wertvolle Quellen für die Exegese und die Geschichte
der Theologie zu erschließen. Aber für die eigentliche
kirchengeschichdichc Fragestellung wird das Ergebnis
, wie die Arbeit von A. beweist, gering bleiben. Das
„Selbstverständnis im Hinblick auf die Haltung gegenüber
den weltlichen Gewalten", von dem A. einleitend
spricht, vollzieht sich eben nicht primär in den Kommentaren
, die ganz anderen Zielsetzungen unterliegen. Doch
kann man dieses Thema überhaupt unter dem einfachen
Stichwort „Auslegungsgeschichte" erfassen, wird damit
nicht der Eigenwert der zeitgeschichtlichen politischen
ond kulturellen Einflüsse verdeckt, wird auf diese Weise
die Kirdicngeschiehte nicht doch wieder theologisch überfrachtet
? Die Untersuchung von A. regt dazu an, diese
grundsätzlichen Fragen erneut zu bedenken. Eine weiterführende
Antwort bietet sie leider nicht.

Halle/Saale Friedrich de Boor

KIRCH ENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

fPhilon d Alcxaudrirtj Lcs Oeuvres de Philon d Alexandrie.

Publeee Bora le patronage de l'Univertite de Lyon par
R-Arimidex, J.Pouilloux. C.Mondisert. 17: De Fuga et
Iuventione. [ntroduotion, Texte, Tnxluetioii etCoiiimcntmic
PM E.Starubinski-Safran. Paris: Edition« du Ccrf 11)70.
332 S. 8°. ffr. 42,-.

Mit dem Erseheinen dieses Bandes geht ein vom Bez.
«in dieser Stelle mehrfach geäußerter Wunsch in Erfüllung
. Hier wird eine Schrift Philos so dargeboten, daß die
Jüdische Eigenart in Denkstil und Auslegungsweise des
Alexandriners im Vordergruud steht. Wenn man den
neuen Bänden dieses Übersetzung«- und Kommentarwerkes
(vgl. zuletzt ThLZ 95, 1970 Sp. 750f.) immer wieder
mit großem Interesse entgegensah, dann nicht zuletzt
deshalb, weil der großzügig gespannte Rahmen jedem der
zahlreichen Mitarbeiter erlaubte, seine besondere Vorbildung
und seine speziellen Vorarbeiten bei der Behandlung
des ihm anvertrauten Traktates zur Geltung zu
bringen. So ergaben sich unterschiedliehe Schwerpunkte:
die philosophische, die bildungsgeschichtliche, die zur
frühchristlichen Theologie hinüberweisende Seite wurde
herausgestellt. Vom Juden Philo war selten die Rede,
wohl darum, weil den meisten Interpreten von ihrem Bildungsgang
her klassische Philologie und Patristik näher
lagen als die geistige Welt des Judentums. Für die Schließung
der damit bezeichneten Lücke bringt die m Genf
lebende Philologin und Judaistin Esther Starobinski-

Safran die besten Voraussetzungen mit. Aus einer osteuropäischen
jüdischen Familie stammend, die bedeutende
Talmudgelehrtc und Kabbalaforscher hervorgebracht
hat - die Widmung „a mon pere, qni m'a formec et gui-
dee dans la pensee hebraique" läßt die Verwurzelung in
dieser Tradition erkennen -, ist in der talmudischen und
nachtalmudischen jüdischen Literatur zu Hause und besitzt
damit den Schlüssel zu einem Bereich, zu dem mancher
Philo-Interprct nur schwer Zugang findet. Was mit
noch unzureichenden Mitteln von E.Stciii (Der Midraseh
bei Philo BZWA 57, 1931) begonnen wurde und von
S. Belkili (Philo and the Oral Law. Cambridge/M. 1940)
eine mehr systematische und bei S. Sandmel (Philo'*
place in Judaism. HUCA 25, 1954, S.209-227) mehr
motivgcschichtliche Weiterführung fand, wird in der Einleitung
und Kommentierung der Schrift de fuga et iuventione
in der Form einer zusammenhängenden Interpretation
durchgeführt: der Nachweis, welche Fäden Philo
mit der jüdischen Thoraauslegung verbinden, die uns in
der rabbinisehen Überlieferung entgegentritt. Die umfangreiche
Einleitung folgt der im Rahmen dieser Ausgabe
vielfach bewährten Anlage, wenn sie 1. die Stellung
des Traktates innerhalb des Gesamtwerkes (S. 29-30),
2. seine Komposition (S.34-44), 3. die in ihr befolgte allegorische
Methode (S. 45-52) sowie verschiedene Motive
und Motivkreise (S. 53-88) behandelt.

In dieser Schrift - der Titel ist seit Euseb.h.c. 11,18,2
bezeugt - geht es um die Auslegung von Gen. lü,(ib-12,
wo von der Flucht der Hagar vor den Nachstellungen
Saras und ihrer Auffindung durch einen Engel in der
Wüste die Rede ist. Für Philo ist sie Anlaß zu einer Meditation
über das Thema, wie der menschliche Sinn das
Bewußtsein seines geistliehen Unglücks erfaßt und sich
nach dessen Ende ausstreckt. Die verschlungenen Wege,
die Philo bei der Entwicklung seiner Gedanken geht, werden
in der Kommenticrung (S. 105-265) Schritt für
Schritt mit Parallelen aus der jüdischen Auslegungsliteratur
von den Targumen über Talmud und Midraseh
bis hin zu neueren jüdischen Exegeten konfrontiert and
erhalten ein Profil, das bei rein philosophiegeschichtlich
orientierter Deutung nicht ins Bild trat. Die Interpretin
will dabei die Eigenständigkeit Philos keineswegs nivellieren
, doch sie sieht schon von der Methode her eine Verbindung
mit der rabbinisehen Exegese her gegeben, da
hier wie dort die Schrift als unterschiedslose Einheit
gilt und zugleich unendlich teilbar erscheint. So ergeben
sich im einzelnen viele erhellende Aspekte. Wer hinter der
Rückkehr zu Gott die teschuba sieht und hinter dem
Gedanken der I>:q aula die Aboda des großen Versöhnungstages
(vgl. dazu S.90f.), liest Philo anders als
jemand, der nur die platoniseh-popularphilosophische
Vorgeschichte ins Auge faßt. Was ein Vergleich der Deutung
Philos mit dem Targum Oukclos und dem Targum
Jonathan hergibt, wird schon S. 102,1 ad vocem xaitdvuxsii
Gen. Iß,11 LXX gezeigt. Auch für den mit diesem Bereich
nicht Vertrauten ist es reizvoll, die jüdische Lehre vom
Schöpfungswort bis hin zur Kabbala (S.172f.) verfolgt
zu sehen. Manchem wird es freilich als des Guten zuviel
getan erscheinen, wenn die Autorin mitunter, so etwa zu
c.71, wo die Aussage über die Schöpfung des Menschen
Gen. 1,27 berührt wird, die Linien nicht nur bis zu Ibu
Ezra, sondern bis zu Nahmanides, Malbim und M.D.
Cassuto auszieht.

Daß dennoch die hellenistische Seite nicht zu kurz
kommt, zeigen neben zahlreichen gehaltvollen Anmerkungen
vor allem ilie 35 notes complementaires (S.26G bis
294), unter denen sich Darlegungen finden, die zum Besten
gehören, was im Rahmen dieser Ausgabe zum jeweiligen
Thema gesagt wurde, etwa über Philos Verhältnis zu den
Mysterien und zum Mythos, das philonische Lebensideal
sowie die Zahleusynibolik. Da die Autorin im Unterschied