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Ausgabe:

1971

Spalte:

382-385

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte als Theologie 1971

Rezensent:

Opitz, Helmut

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381

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

382

In einem l.Teil (Die Stoa im Blickfeld Meister Eckharts)
wird an Hand einiger repräsentativer Beispiele gezeigt,
daß die patristische und scholastische Literatur Eckhart
kein klares und vollständiges Bild der Stoa vermitteln
konnte. Durch Augustin, der als sekundäre Quelle für
Eckharts Stoa-Kenntnisse vor allem in Frage kommt,
konnte er nur einige stoische Lehrsätze oberflächlich kennenlernen
. Spätere gehen, von Zitaten abgesehen, nicht
wesentlich über das von Augustin Gebotene hinaus. Von
den großen Theologen des 13. Jahrhunderts entwirft
Albert der Große ein falsches Stoa-Bild. Genaueres ist,
wenn auch nur fragmentarisch, bei Thomas und Bonaventura
zu erfahren. Abschließend wird auf die große Wertschätzung
hingewiesen, der sich Cicero und vor allem
Seneka im 12./13. Jahrhundert erfreuten.

Im 2. Teil (Stoisches Gut bei Meister Eckhart) werden
zunächst die Textstellen besprochen, an denen Eckhart
stoisches Gut aus der christlichen Überlieferung übernimmt.
Ausdrücklich werden die Stoiker nur dreimal erwähnt.
Die stoische Affektenlehre und die Lehre von der Sünd-
losigkeit des Weisen wird wie von anderen christl:chen
Autoren auch von Eckhart kritisiert, obwohl er das gleiche
von dem Menschen sagt, in dem es zur Gottesgeburt
gekommen ist. Zugestimmt wird der Lehre, daß die
äußeren Güter überhaupt nichts zum Gut- und Glücklich-
Leben hinzufügen können.

Hinzu kommen noch einige stoische Begriffe und
Lehren, die anonym in seinen Schriften weiterleben, z. B.
die Bezeichnung Gottes als „anima mundi", die Lehre von
den Keimkräften, die Lehre von der Verknüpfung der
Tugenden und Laster und die Gesinnungsethik. Stoischen
Ursprungs ist wahrscheinlich auch Eckharts „Seelenfünklein".

Sodann werden die 90 Seneka- und 51 Cicero-Zitate
(mehrfache Zitierung mit gezählt) besprochen, die Eckhart
anführt. Aus der stoischen Logik findet sich z. B. der
Gedanke, daß die Namen Natur und Eigenschaften der
Dinge kennzeichnen. Aus der Physik begegnen uns u. a.
die Aufforderung, sich zu den göttlichen Gestirnen zu
erheben, der teleologische Gottesbeweis, Senekas Definition
von „Gott" aus den Nat. quaest. I praef. n. 13, der Glaube
an die Vorsehung und die stoische Divinationslehre. Die
Mehrzahl der Zitate sind ethischen Inhalts. Hervorgehoben
seien der Gedanke, daß die Tugend ihren Lohn
und die Sünden ihre Strafe in sich tragen, die Aufforderung
, sich über sich selbst, über Laster, Leidenschaften
und Begierden und über die Obel zu erheben, die Abwertung
des Leibes (Seneka), die Verachtung des Reichtums
und die Beschreibung des Weisen, der über alle
Widerwärtigkeiten erhaben stets voller wahrer Freude
ist und der die ganze Welt zur Heimat hat.

Im abschließenden 3. Teil (Eckharts Stoa-Rezeption)
wird das vorgelegte Material ausgewertet.

Die Hauptquelle, aus der das stoische Gut in Eckharts
Schriften herstammt, sind die Schriften Senekas und Cice-
ros. Die Mehrzahl der Seneka-Zitate sind den Epistulae
morales entnommen. Außerdem finden sich Zitate aus De
beneficiis. De dementia und aus den Naturales quaestiones.
Vielleicht wurden auch Exzerptensammlungen benutzt. An
Cicero-Schriften sind zu nennen die Tusculanae disputa-
tiones. De officiis, De finibus bonorum et malorum. De
amicitia. De inventione. De fato und die pseudo-cicero-
nische Schrift Ad C. Herennium. In der Regel wird mit
Stellenangabe und weitgehend wortgetreu zitiert.

Als Motive für die Zitierung sind neben dem soziologischen
Zwang, in Predigt und Vorlesung Zitate aufzunehmen
, vor allem ein theoretisches und ein praktisches
zu nennen: die Absicht, die Übereinstimmung zwischen
der christlichen Wahrheit und der heidnischen Philosophie
zu zeigen und zugleich dem Prediger Predigthilfen anzubieten
.

Während in etwa 25 Fällen die Zitate sinngemäß gebraucht
werden, weicht der Sinn der Zitate bei Eckhart
vielfach mehr oder weniger stark vom ursprünglichen
Sinn ab. So wird z. B. Zitaten mit ausgesprochen a-christ-
lichem Inhalt bewußt oder unbewußt ein christlicher Sinn
untergelegt. Es scheint so, als ob Eckhart seine allegorischparabolische
Methode der Schriftauslegung auch bei den
heidnischen Autoren anwendet.

Abschließend ist von dem Verhältnis Eckharts zur Stoa
die Rede. Stoischer Einfluß ist nachweisbar, und sein
Interesse an Seneka und Cicero ist ein weiterer Beleg
dafür, daß im „finsteren Mittelalter" die klassischen Studien
nicht versäumt worden sind. Aber er ist kein „Stoiker".
Denn auf seine theologisch-philosophische Grundkonzeption
hat die Stoa keinen nennenswerten Einfluß ausgeübt.
Allein in der Ethik tritt, wie auch bei anderen Theologen
seiner Zeit, der stoische Einfluß stärker in Erscheinung.

Gerade aber in Zusammenhängen, in denen er sein
eigentliches Anliegen, die Gottesgeburt und die Einung
mit Gott, zur Sprache bringt, gibt es Berührungspunkte.
Von einer Abhängigkeit kann aber nicht gesprochen werden
, sondern von verschiedenen Ausgangspositionen sind
die Stoa und Eckhart zu gleichlautenden Aussagen gekommen
. Es handelt sich hierbei um den Gedanken von
der Einwohnung Gottes im Menschen, um die Abwertung
der äußeren Güter, das Unberührtsein von Affekten, den
Gleichmut und die immerwährende Freude des Weisen,
die Sündlosigkeit des göttlichen bzw. tugendhaften Menschen
und um die Forderung, sich in den göttlichen
Willen zu ergeben. Eng berührt er sich auch mit der Stoa
in der Radikalität der Aussagen über den göttlichen
Menschen, den er mit den gleichen Superlativen beschreibt
wie die Stoa ihren Weisen.

Das Verhältnis zwischen dem stoischen Ph:losophen
und dem christlichen Mystiker kann, ohne daß es damit
erschöpfend formuliert wäre, als das von Gesucht- und
Gefundenhaben beschrieben werden. Das Verlangen, frei
von den Bindungen an das Irdisch-Vergängliche das göttliche
, glückselige Leben zu erlangen, verbindet den Stoiker
mit dem Mystiker. Für Eckhart aber wird das erstrebte
Ideal des stoischen Weisen im christlichen Glauben Wirklichkeit
, nicht aber erst im ewigen Leben, sondern bereits
im Jetzt der Gottesgeburt.

Opitz, Helmut: Kirchengeschichte als Theologie. Von
Leben und Werk des Rostocker Kirchenhistorikers Johannes
von Walter. Habilitationsschrift. Rostock 1970.
198 S.

Die im Zusammenhang mit dem 550jährigen Rostocker
Universitätsjubiläum entstandene monographische Darstellung
versucht, auf der Grundlage eines biographischen
Aufrisses der Persönlichkeit v. Walters gerecht zu werden
und zugleich seine Bedeutung für die kirchengeschichtliche
Forschung, die Geschichte der Kirchengeschichtsschreibung
und für die theologische Entwicklung innerhalb der Evangelischen
Kirche seit 1900 aufzuweisen.

Johannes von Walter (geb. 1876) entstammte einer
alten baltischen Theologenfamilie. In Dorpat, wo er 1894
sein Studium begann, erwies sich die Auseinandersetzung mit
dem Luther-Werk des Theodosius Harnack als prägend.
Von Th. Harnack übernimmt v. Walter die Ablehnung des
Lutherbildes und der lutherischen Theologie Albrecht
Ritschis und damit - was für ihn dasselbe war - des
theologischen Liberalismus. Alles echte Christentum konzentriert
sich ihm von jetzt ab um die Erkenntnisse Martin
Luthers. Aber eignes Lutherstudium führt bald auch zu
eignen Ergebnissen: in der Auseinandersetzung Luthers
um die Willensfreiheit (,De servo arbitrio') erkennt er den
Angelpunkt des neutestamentlich-reformatorischen Christentums
. Der „religiöse Determinismus" (s. u.) ist ihm hinfort