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Ausgabe:

1971

Spalte:

380-382

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Hiecke, Paul Gotthard

Titel/Untertitel:

Meister Eckhart und die Stoa 1971

Rezensent:

Hiecke, Paul Gotthard

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379

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

380

REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN UND HABIL-SCHRIFTEN

IN MASCHINENSCHRIFT

Fohl, Gerhard: Die Theologie des Geistes in den Schriften
des Rostocker Theologen Michael Baumgarten (bis 1858).
Diss. Rostock 1969. 151 S.

Michael Baumgarten, Professor an der Theologischen
Fakultät Rostock, wurde am 6.1.1858 wegen
„grundsätzlicher Lehrabweichungen" aus seinem Lehramt
entlassen. Theologische und politische Voreingenommenheit
, welche zu stark emotional gefärbten Urteilen führte,
hat die Auseinandersetzung mit Baumgarten bisher überschattet
(W. Nigg, Kirchliche Reaktion, dargestellt am
Lebensschicksal M. Baumgartens. 1939. - H. H. Studt,
Der treue evangelische Zeuge Prof. Dr. Baumgarten, 1891. -
E. Haack, D. Theodor Kliefoth, 1910. - H. A. Stoll, Theodor
Kliefoth als Kirchenführer, 1936).

Da zu einer annähernd objektiven Beurteilung nur
eine genaue Erhebung des Quellenbefundes weiterführen
kann, wurde die Theologie Baumgartens untersucht. Trotz
vieler Weitschweifigkeiten und einer schillernden Ausdrucksweise
zeigt sich, daß alle Aussagen Baumgartens
unter dem Vorzeichen einer Geisttheologie stehen. Dieses
wird bereits deutlich an seinem Schriftverständnis. Er
isoliert die Schrift vom Geist und stellt sie als das
Sekundäre, als toten Buchstaben hin. Der Ausgangspunkt
jeglichen Schriftverständnisses ist für ihn die pneumatische
Selbstgewißheit des Auslegenden. Die Schrift, der „äußere"
und tote Buchstabe, gewinnt dann kanonische Autorität,
wenn der durch den Geist Erleuchtete den demselben
Geist entsprungenen Inhalt der Schrift als den Geist
seines Lebens wiedererkennt. Die Abhängigkeit von
Schleiermacher und besonders von v. Hofmann, dessen
problemreichsten und originellsten Gedanken Baumqarten
bis zu schroffen Absonderlichkeiten auszieht, wird noch
deutlicher in der Christologie und Ekklesiologie. Der
anthropozentrische Ansatz seiner Christologie ist unverkennbar
. In einer bisweilen an J. Böhme und Oetinqer
erinnernden Geschichtsspekulation führt Baumgarten den
Gedanken der Entwicklung des Zentralmenschen Jesus
weit aus. Besondere Betonung findet die Menschheit Jesu,
welche sich nur insofern von den anderen Menschen unterscheidet
, als hier das göttliche Wesen = Geist in vollkommener
Weise zur Ausbildung gelangt. Indem Christus
diesen Geist, der ihn auch nicht während der Kreuzigung
verläßt, anderen mitteilt, wird er zum Erlöser und der
Geist zum Lebensnrinzip der Kirche. Dieser unmittelbar
wirkende Geist schließt die von Baumgarten vorgefundene
Form der institutionalisierten Kirche in Form der
Staatskirche, als dem eigentlichen Wesen der Kirche n'cht
entsprechend, radikal aus. Sein Ideal ist die selbsttät'ge
Gemeinde, welche aus solchen Gliedern besteht, die sich
in freier Selbstentscheidung zu Christus bekannt haben.
In diesem Geistorganismus gibt es keinen Rang, sondern
nur noch funktionelle Unterschiede. Der Gemeinde kommt
nicht nur eine - vom Geist bedingte - Mitwirkung bei
der Berufung der Amtsträger zu, sondern auch die Mitverantwortung
bei der Gemeindeleitung bis hin zur
Wortverkündigung. In einem so ausgesprochenen charismatischen
Orqanismus erübrigt sich das Kirchenrecht,
welches in krassem Widerspruch zum Wesen dieser Gemeinschaft
steht, von selbst. Baumgarten schrieb dieses
immerhin 50 Jahre vor R. Sohm. Er lehnt n'cht die
Ordnung überhaupt ab, aber er muß ja wegen der seiner
Geisttheologie inhärenten Freiheit und Spontanität zu
dem Schluß kommen, daß eine allgemeine, feste Norm
nicht präjudizierbar sei, sondern notwendige Entscheidungen
von Fall zu Fall durch die vom Geist Geleiteten
getroffen werden. Nur eine, dem „Geist der Freiheit" entsprungene
Ordnung hat lt. Baumgarten innerhalb der
lebendigen und mündigen Gemeinde ihre Berechtigung.
Damit werden auch alle autoritär verfügten liturgischen
Ordnungen, die zu seinerzeit übliche Tauf-, Konfirmationsund
Trauordnung, sowie die in der Mitte des 19. Jahrhunderts
gehandhabte Kirchenzucht in Frage gestellt. -
Da er die unmittelbarste und nächste Offenbarung des
Geistes in der Predigt des „prophetischen Wortes" sieht,
haben alle Reformen in der Kirche von dort her ihren
Ausgangspunkt zu nehmen. Die pneumatische Auffassung
der Predigt schließt eine abstrakte Objektivität des Wortes
aus und bindet das Wort an die charismatische Persönlichkeit
des Predigers. Für eine ausschließlich vom Ge st
geleitete Kirche kann das Bekenntnis natürlich nur
relativen Charakter haben. Wird z. B. das Apostolikum
von der Gemeinde nicht mehr verstanden, muß kraft des
Geistes eine neue Formulierung gefunden werden. Es
genüge zu bekennen: Ich glaube an Gott und den Heiland.
Amen! - Der Theologe des Geistes überträgt die mit
dem Geiste untrennbar verbundene Maxime der Freiheit
auch auf das politische Leben. Baumgarten ist zeit seines
Lebens ein Anhänger des Liberalismus gewesen. Der vom
Geist geleitete Mann hat stärkste Eindrücke, die auch
sein theologisches Denken mitbeeinflußten, während seiner
aktiven und führenden Teilnahme am Aufstand der
Schleswig-Holsteiner gegen die Dänen 1848-1850 empfangen
.

Mit einer so gelehrten Theologie des Geistes und allen
sich daraus ergebenden Konsequenzen mußte Baumgarten
zur konfessionellen Theologie des Neuluthertums,
wie sie in Mecklenburg vor allem von Kliefoth vertreten
wurde, und der damals herrschenden politischen Reaktion
in Widerspruch geraten. Wenn auch seine politischen Anschauungen
mit zu seiner Entlassung beigetragen haben,
gab schließlich doch die von ihm vertretene Thcolcg;e
den Ausschlag, welche dorthin führte.

Mag uns manches für Baumgarten einnehmen, muß
man auch die ganze Art des gegen ihn geführten Verfahrens
mißbilligen und weisen die von ihm im Rahmen
seiner Theologie des Geistes erhobenen Forderungen unverkennbare
Ähnlichkeit mit denen der Gegenwart auf,
so muß auch jenen Männern Gehör verschafft werden,
welche ihn von ihrem Standpunkt aus ablehnten. Da beide,
Baumgarten und seine Gegner, konsequent dachten, muß
man von einer Tragik sprechen. Die Propheteia ein~s
Baumgarten wäre u. U. eine gute Ergänzung der Kyber-
nesis Kliefoths gewesen. Tragisch ist auch das weitere
Leben Baumgartens verlaufen. Anstatt einen ehrenvollen
Ruf nach Basel anzunehmen und dort die Richtigkeit
seiner Anschauungen unter Beweis zu stellen, vergeudete
er seine Kraft und reichen Gaben bis an se:n Lebensende
mit immer unsachlicher und aggressiver werdenden Streitschriften
, womit er sich schließlich das Vertrauen vieler
seiner Freunde verscherzte.

Hiecke, Gotthard: Meister Eckhart und die Stoa. Drs.
Rostock 1969. XI,, 285 S. und 101 S. Anm.
In den Schriften Meister Eckharts findet sich zwar
eine beachtliche Zahl von Stoiker-Zitaten, aber nur gele
gentlich wird in der Eckhart-Literatur auf sein Verhältnis
zur Stoa hingewiesen. Vorliegende Arbeit, die dem Einfluß
der Stoa bzw. einzelner Stoiker auf Eckhart nachgeht,
versucht, diese Lücke in der Eckhart-Forschung zu
schließen.