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Ausgabe:

1971

Spalte:

375-377

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Gottesdienst und Öffentlichkeit 1971

Rezensent:

Hertzsch, Klaus-Peter

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

376

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Cornehl, Peter, u. Hans-Eckehard Bahr [Hrsg.]: Gottesdienst
und Öffentlichkeit. Zur Theorie und Didaktik
neuer Kommunikation. Hamburg: Furche-Verlag [1970].
263 S. 8° = Konkretionen. Beiträge z. Lehre v. d. handelnden
Kirche, hrsg. v. H.-E. Bahr, 8. Kart. DM 12,80.
Das Verhältnis zwischen Gottesdienst und Öi'fentl ch-
keit ist zum Problem geworden. Dem Anspruch unsrer
Gottesdienste, öffentliches Ereignis zu sein, entspricht
kaum noch eine Wirklichkeit; denn es ist in den meisten
Fällen eine Winkel- und Schein-Öffentlichkeit, in der sie
sich vollziehen. Dabei ist es noch nicht einmal ausgemacht,
ob die Gemeinde überhaupt Interesse am Eindringen der
Öffentlichkeit in ihre Gottesdienste hat; denn Öffentlichkeit
heißt heute: politische Realitäten, gesellschaftliche
Fragestellungen, Unruhe. ;

In dem vorliegenden Buch haben sich Autoren zusammengefunden
, die mit Nachdruck einer Haltung widersprechen
, die aus solcher Not eine Tugend machen, die
Verkündigung privatisieren und den Gottesdienst wieder
in die Abgerücktheit der kleinen, selbstgenügsamen Schar
zurücknehmen will. Sie plädieren für die Wiedergewinnung
eines wirklichen Öffentlichkeitsbezuges unsrer Gottesdienste
und damit unserer Verkündigung. Denn sie sind
offenbar alle der Meinung, die Peter Cornehl in seinem
Aufsatz formuliert: „Die Herstellung der Öffentlichkeit
steht unseren Gottesdiensten noch bevor. Davon, ob und
wie sie gelingt, wird abhängen, ob Gottesdienst in Zukunft
noch ein ernst zu nehmender Faktor neuer Kommunikation
sein wird." Es handle sich dabei, meint Cornehl, um
das liturgische Problem der siebziger Jahre.

Das Buch gehört in die Reihe, die Hans-Eckehard Bahr
unter dem Titel .Konkretionen" herausgibt Es bietet
denn auch konkretes Material über Gottesdienste und
Vermittlungsformen - aber nicht vorrangig: Das eigentliche
Zentrum bilden vielmehr drei Aufsätze, von denen
zwei etwas umfangreicherere historische Längsschnitt-
Studien darstellen und ein dritter sich als kleine exegetische
Untersuchung erweist: Walter Magass .Mauer und
Markt. Modelle der Kirche von gestern", Peter Cornehl
.Öffentlicher Gottesdienst. Zum Strukturwandel der Liturgie
", Jürgen Roloff „Heil als Gemeinschaft. Kommunikative
Faktoren im urchristlichen Herrenmahl". Es gehöre
offenbar zur bevorzugten Darstellungsweise Bahrs und
seiner Freunde, die Überlegungen zu gegenwärtiger Problematik
der „handelnden Kirche" zunächst als originell
pointierte kirchen- und kulturgeschichtliche Rückblicke anzulegen
. Daß auch im vorliegenden Buch so verfahren
wird, begründet Peter Cornehl damit, daß gezeigt werden
soll, wie der Liturgie bei ihrem Eintritt in eine bestimmte
geschichtliche Konstellation „der Öffentlichkeitsbezug kon-
tingent, aber irreversibel aufgenötigt worden ist". Seitdem
entspricht einem Strukturwandel der Öffentlichkeit notwendig
ein Strukturwandel der Liturgie. Auf dem langen
Weg der Liturgiegeschichte von der Tischgemeinschaft Jesu
bis zur Agende I (die ihm „ein Dokument der Angst vor
der unbewältigten Öffentlichkeit" ist) stellt er vor allem
zwei Zeitabschnitte exemplarisch dar, die eine „Epocheschwelle
" bedeuten: die Zeit Konstantins, da die christliche
Liturgie zum cultus publicus wird und nun Salus
publica und Einheit des Reiches zu garantieren hat, und
die Zeit der Reformation, in der Gottesdienst und Öffentlichkeit
eine Zeitlang fast beispielgebend aufeinander
bezogen waren. Wie kritisch er die Entwicklung immer
sieht, wie unterschiedlich die jeweiligen Formen ven
Öffentlichkeit immer sein mögen: für Peter Cornehl is.
die Liturgie nun nicht mehr trennbaf von der Frage nach
der salus publica, dem Stadtfrieden, der demokratischen
Öffentlichkeit.

Walter Magass, der für den gleichen Zeitraum das
Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit untersucht, füllt
einige Zwischenräume, vor allem die Zeit der Auseinandersetzung
zwischen Kirche und Imperium, zwischen
sacerdotium und regnum. Indem er die letzte Periode
in die Engführung Vilmar, Nietzsche, Spengler, Gogarten
zwängt, endet seine Darstellung nicht nur kritisch, sondern
geradezu verdrießlich. Eindrucksvoll ist übrigens,
wie er Geschichte anhand der jeweils epochebestimmenden
Wörter und sprachlichen Termini vorführt. Trotzdem
bieten die beiden historischen Beiträge natürlich im Entscheidenden
viel Paralleles: ich habe nicht ganz durchschaut
, warum sie beide nebeneinander veröffentlicht
werden.

Bei genauerem Hinsehen ist es dagegen nützlich, dafj
Roloffs kleine Studie über das Herrenmahl, die besonders
für Paulus den kommunikativen Faktor eindrucksvoll
nachweist, in dieses Buch gekommen ist: Er macht - nachträglich
- all denen ein gutes Gewissen, die das Abendmahl
in den letzten Jahren neu entdeckt und in neuen
Formen gebraucht haben; denn diese Entdeckung und
diese Formen basieren ganz und gar auf eben diesem
kommunikativen Faktor, der sich als verstehbar und
brauchbar erwies und nun also noch als neutestamentlich
gut fundiert aufgewiesen wird.

Ergänzt werden diese Beiträge durch zwei mehr systematisierende
: Gert Otto steuert eine Thesenreihe über
die „Problematik der Predigt in der Gegenwart" bei, in
der er die Predigt ausdrücklich als Rede und also normalen
Redegesetzen unterworfen versteht: von da setzt
er neu den Stellenwert von Rhetorik und biblischem Text,
Didaktik und Kommunikation, auch die partielle Bedeutung
des Monologischen im Predigtvorgang fest. Das ist
nicht prinzipiell neu, aber übersichtlich zusammengefaßt
und also nützlich. Am Ende des Buches steht dann noch
eine erstaunliche Arbeit von Sigurd Martin Daecke
„Öffentlichkeit von Theologie, Predigt und Religionsunterricht
. Notizen zum Thema einer didaktisch reflektierten
theologia publica". Erstaunlich ist diese Arbeit deshalb
, weil es ihr gelingt, anhand der acht Fragewörter
Woher? Wo? Wohin? Wozu? Wie? Wann? Wer? Was?
entscheidende Ansätze zu zeitgemäßer Theologie, Predigt
und zum Unterricht überaus handlich und überschaubar
darzustellen und zugleich zu zeigen: die sieben erstgenannten
Fragewörter sind gegenüber der Frage nach dem
Was keineswegs didaktisch-methodische Sekundärfragen,
sondern Grundlagen-Fragen, die jeweils auch das „Was
(Objekt, Gegenstand, Inhalt)" entscheidend verändern.

Damit sind wir schließlich bei den Konkretionen. Zu
ihnen leistet Hans-Eckehard Bahr einen Beitrag in der
Gegenüberstellung von „unmöglichen" und „möglichen"
Fernsehgottesdiensten; er bedient sich dabei des Denkmodells
vom „Wärmestrom" (symbolisch antezipierende
Transfiguration) und „Kältestrom" (analytisch kritische
Information) „bei der Vermittlung des Christlichen". Ganz
am Anfang des Buches wird Bericht gegeben und die
konkrete Predigt abgedruckt von einem Pastor in Hamburg
, der seine Predigt als „Publikums-Beschimpfung"
verfaßt hat, weil er mitteilen will: er gedenke nun nicht
mehr zu predigen, jedenfalls nicht vor einer Gemeinde,
die nur ihre Ruhe haben will, in Antikommunismus verhärtet
ist, aus der Predigt nichts lernt. Konkret endet
auch Peter Cornehls historischer Aufsatz mit einer kritischen
Würdigung des politischen Nachtgebets in Köln.
Konkrete Fragen stellt Walter Magass. Konkrete Hinweise
und Überlegungen finden sich auf Schritt und Tritt.

Aber gerade hier empfindet der Rezensent aus der
DDR mit großer Deutlichkeit: unsere Konkretionen müssen
anders aussehen. Denn unsere Öffentlichkeit und das
Verhältnis der Christen hier zu ihr ist anders, und so
sind nicht nur die Formen, sondern zuletzt auch die