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1971

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

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endliche hin hervortritt. Diese Dynamik wird zugleich als
Streben nach der eigenen Vollendung erwiesen (38).

Jene erste These, von der oben gesagt wurde, daß sie
einen Zielpunkt des Werkes darstelle, erfährt hier eine
erste ausführliche Behandlung: die Charakterisierung des
Absoluten im Überstieg über die Beziehungen zum Endlichen
. Schon die zugehörigen Überschriften sind Hinweise:
Supra oppositionem (46), coincidentia oppositorum (43),
supra coincidentiam (53).

Im zweiten Teile des Werkes wird, wie bereits gesagt,
die Schöpfungstat Gottes behandelt. Nach einigen einführenden
Darlegungen wird gezeigt, wie die Freiheit dis
Schöpfers Freiheit und Notwendigkeit der Natur zugleich
begründet und wie in der Schöpfung ein jedes Geschöpf
zwar in Beziehung zum Menschen steht, aber doch freigelassen
wird zu dem ihm eigenen Sein: „Der Theologisie-
rung Gottes und der Humanisierung des Menschen entspricht
die Naturalisierung der Natur" (96).

Sodann entfaltet Vf. die cusanische Konzeption, daß
Schöpfung ein „Identifikationsprozeß" sei (103). In diesen
Ausführungen werden die Darlegungen über Gottes Immanenz
in der Welt grundgelegt: Schöpfung als radikale
Selbstmitteilung Gottes - aber ohne Vermischung mit den
Dingen (102; 200). Ferner die Begründung einer immer
neu anhebenden und immer weiter treibenden inneren
Fruchtbarkeit und Dynamik der Geschöpfe, die nie zur
Ruhe kommt, weil ihre wahrhafte Identität, und damit das
wahre Ziel ihres Strebens das absolute idem: Gott selbst
ist (109).

Das Werk schließt mit einem Kapitel über den Zusammenhang
von Gotteserkenntnis und Sehnsucht nach Gott.
Gotteserkenntnis ist „scientia laudis", es geht um das Lob
Gottes (245).

Zusammenfassend ist anzuerkennen, daß das Werk mit
innerer Dynamik auf seinen Kern zutreibt. Vf. versucht,
das aufgerissene Kernproblem bis auf seinen Grund hin
zu verfolgen. Eine Reihe untergeordneter Fragen, die sein
Interesse nicht zentral treffen, werden dagegen arg skizzenhaft
behandelt, so etwa das Problem analoger Erkenntnis
bei Cusanus (176), die Klärung des Begriffes contractio
(141), die Frage nach einer „transzendentalen" Partizipation
(116). Das ist einer der Gründe, warum die Ausführungen
nicht leicht lesbar und für den, der nicht schon im voraus
mit cusanischem Denken vertraut ist, vielleicht überhaupt
nur schwer verstehbar sind. So sehr zuzugestehen ist, daß
die Ausführungen von einer starken Dynamik beseelt sind,
so ist diese doch nicht selten durch die lockere Gliederung
des Ganzen verdeckt. Formal wäre zu bemängeln, daß
Hauptüberschriften dreimal als Teilüberschriften wiederkehren
: 1. TL 3 und 1. Tl, 3c; 2. TL 5 und 2. Tl 5b;
3. TL und 3. TL 8.

Die vom Vf. benützten Zitate sind stark gedanklich
verarbeitet. Das bedeutet negativ, daß der Zusammenhang
zwischen Darlegung und Zitat nicht immer auf den ersten
Blick ersichtlich ist. Positiv ermöglicht es, die cusanischen
Gedanken intensiv auf die Problemstellung des Werkes zu
beziehen, so daß trotz der angeführten Mängel in der
Gliederung gerade eine starke systematische Leistung vorliegt
- eine Leistung, die wegen der Eigenart cusanischen
Schrifttums (Dialogform, Predigtform, Briefstil) die Diskussion
um Cusanus sehr anregen kann.

Inhaltlich erscheint als gewichtige Schwäche, daß Vf.
aus seinen Darlegungen ohne weitere Erklärung ausklammert
, wie Cusanus das Geheimnis der Trinität miteinbezieht
in die Deutung der „verborgenen Gegenwart
des Unendlichen'. Wenigstens eine Auseinandersetzung
mit dem von ihm selbst mehrfach zitierten Werke von
R. Haubst über „Das Bild des Einen und Dreieinen Gottes
in der Welt nach Nikolaus von Kues" wäre zu erwarten
gewesen. Wo Vf. von unendlicher Gleichheit (121; 205 f.),
von connexio absoluta (149), von unitas, aequalitas, con-

nexio (197) spricht, wäre eine Bezugnahme auf die
cusanische Behandlung des trinitarischen Geheimnisses
gefordert gewesen. Die Tatsache, daß das Interesse des
Vf.s vorwiegend philosophischer und nicht theologischer
Art ist, entschuldigt ihn nicht genügend, da das Schöpfungsgeheimrais
, das Vf. ausführlich behandelt, selbst eine
theologische Wahrheit ist.

Die angeführten Mängel sollen aber nicht verdecken,
daß Vf. tief in wichtige Problemstellungen des Cusanus
einführt, deren Bedeutung für die Gegenwartsproblematik
an vielen Stellen in die Augen springt.

Trier Reinhold Weier

Bach, Hedwig: Bernhard von Clairvaux und Martin Luther

(Erbe und Auftrag 46, 1970 S. 347-351 und S. 453-459).
Mordek, Hubert: Die historische Wirkung der Collectio

Hervolliana (ZKG 81, 1970 S. 220-243).
Müller, Georg: Jugendrevolte und Linksopposition im

Hochmittelalter (ZRGG 22, 1970 S. 113-130).
Stella, P. T.: La data delle „Quaestiones de habitibus" di

Durando di S. Porciano (Sälesianum 32, 1970 S. 407 bis

423).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Bell, George, u. Alphons Koechlin: Briefwechsel 1933-1954,

hrsg., eingeleitet u. kommentiert v. A. Lindt. Geleitwort
v. W. A. Visser-t Hooft. Zürich: EVZ-Verlag [1969]. IV,
448 S. gr. 8°. Lw. DM 44,-.

Bei der Aufhellung historischer Tatbestände können
zeitgenössische Briefwechsel oft unschätzbare Dienste
leisten. Das bedarf nicht der Begründung. Sie haben fast
immer den Vorzug der Unmittelbarkeit und Spontaneität,
brauchen keine Rücksicht zu nehmen auf unbefugte Zuschauer
und Zuhörer und haben keine Veranlassung,
Worte und Meinungen auf die Goldwaage zu legen.

Allerdings ist zu wünschen, daß die Briefpartner Rang
und Bedeutung haben, daß sie einander verstehen können
und aufeinander hören und voneinander lernen.

Solche Voraussetzungen sind in dem vorliegenden
Briefwechsel gegeben. Das Thema ist durchgängig der
Kampf der evangelischen Kirche in Deutschland 1933-1945.
Es geht nicht nur um eine akademische Beurteilung der
jeweiligen Lage, sondern auch um die drängende Frage,
welchen Dienst man trotz der Abschnürung und Isolierung
der deutschen Kirche von der' Ökumene her für sie tun
könnte. Trotz des vorzüglichen Buches von Armin Boyens
(Kirchenkampf und Ökumene 1933-39, München 1969)
waren und blieben unzählige Fragen offen, zu deren
Beantwortung Andreas Lindt durch seine intensive Arbeit
wesentlich beigetragen hat. 187 Briefe lagen ihm vor. Sie
stammen im Wechsel von zwei nach Herkunft, Konfession
und auch wohl Temperament erheblich verschieden gearteten
Persönlichkeiten, die der Herausgeber zu Anfang
seines Buches treffend geschildert hat. Man hat den Eindruck
, daß gerade die Verschiedenartigkeit der Persönlichkeiten
der Korrespondenz zugute gekommen ist und daß
man in gewisser Weise von einer Polarität sprechen kann.

Beide Männer waren fast gleichaltrig. George Bell
(geb. 1883) war Anglikaner, belesen, beredt, offenherzig,
von großer Leistungsfähigkeit, die er am Schreibtisch und
in führenden Positionen seiner Kirche einsetzte. Als Lordbischof
von Chichester (1929) wurde er Mitglied des House
of Lords, wo er nicht gerade linientreu, immer aber mutig
und ritterlich auftrat. Seine frühe Wendung zur werdenden
Ökumene brachten ihn im Lauf der Entwicklung in die
höchsten Ämter. Aber es hätte ihrer nicht bedurft - er
hätte auch ohnehin die unabdingbare Verantwortung für