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Ausgabe:

1971

Spalte:

360-362

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Álvarez-Gómez, Mariano

Titel/Untertitel:

Die verborgene Gegenwart des Unendlichen bei Nikolaus von Kues 1971

Rezensent:

Weier, Reinhold

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sich notwendig in der Eschatologie, insofern das Weltbild
des Mittelalters ein volles Einbringen der Geschieh e
ins Eschaton gar nicht gestattete (d. h. der „transitus Jesu
ad Patrem", von dem Bonaventura immer wieder spricht,
wurde faktisch nicht so sehr als Vollendurg der Geschichte
denn als Weggang aus ihr gesehen). Man muß
ohnehin staunen, daß Bonaventura - und darin ist er
unter den scholastischen Theologen eine Ausnahme - trotz
des im Grunde statischen mittelalterlichen Weltbildes
so viel Geschichtssinn verrät, dafj er etwa dem Chiliasmus
einen theologischen Ort anweist.

Das Gesagte hat Konsequenzen für das Problem des
„Heilsindividualismus' im Eschaton und für viele andere
Fragen. Es ist hier nicht möglich, den einzelnen Aussagen
St.s nachzugehen, da unser Problem sich praktisch in
allen Abschnitten des zweiten Kapitels anmeldet. Wir
müssen in diesem Zusammenhang gestehen: St. hat uns
davon überzeugt, dafj wir in unserer Interpretation Bonaventuras
(A. Gerken, Theologie des Wortes, Düsseldorf
1963, 304-306) die Bedeutung der Geschichte Jesu
in der Eschatologie Bonaventuras überinterpretiert haben.

Eine zweite Frage, in der St. die Aussage Bonaventuras
klar erkennt, aber u. E. bei der Interpretation zu wen'g
nach den Denkvoraussetzungen Bonaventuras fragt, ist die
Frage) nach der Verdammnis und den Verdammten. Wie
St. selbst an anderer Stelle, nämlich bei der Darstellung
des Chiliasmus Bonaventuras, sieht, ist Bonaventura wie
dem Mittelalter überhaupt ein prophetisches Denken nicht
zugänglich, das Entscheidungsmöglichkeiten statt kommender
Fakten vor den Menschen stellt. So konnte sich das
Mittelalter aber dann auch die Entscheidungssituation vor
dem endgültigen Anruf Christi nicht als wirklich entscheidend
vorstellen, wenn es nicht (in dinghafter und ja auch
naheliegender Interpretation von Mt 25) an eine bestimmte,
schon jetzt festliegende Anzahl von Seligen und Verdammten
dachte. U. E. überfordert St. das Denken Bonaventuras
mit seiner an sich richtigen Kritik (127-131).

Während wir in diesen beiden Fragen gerne ein tieferes
Hinterfragen des Denkens Bonaventuras gesehen hätten,
mit der Textinterpretation St.s aber einverstanden sind,
scheint uns in einem einzigen Punkt die Stellungnahme
des Verfassers unzureichend, nämlich in der meritum-Fragc
(bes. 86-96). U. E. macht Bonaventura genügend klar,
dafj alles Heilstun des Menschen ganz auf Christi Werk
aufruht. Daß aber in diesem Werk Christi die Antwort
des Menschen - auch Glaube ist für Bonaventura eine
Tat - nicht verschwindet, sondern gerade als freie Tat
des Menschen nicht nur ermöglicht, sondern gewährt wird,
das wird durch den Begriff „meritum" ausgesagt. Wir
geben zu, dafj Bonaventuras Diktion ab und zu synergistisch
klingt, glauben aber, dafj sie im Umkreis seines
Denkens und dieser für unsere Begriffe und Worte stets
in die Aporie führenden Frage nicht synergistisch zu verstehen
ist.

In allem anderen und d. h. in den meisten Fragen
stimmen wir der gründlichen und oft meisterhaften Interpretation
St.s zu. Hier möchten wir vor allem die Lehre
von der Seligkeit (167 - 303) nennen, eine ausgezeichnete
Darstellung. Besonders erwähnenswert ist es, dafj St. die
wesentliche Grundstruktur des Denkens Bonaventuras deutlich
erkannt und im dritten Kapitel so klar ausgesprochen
hat: das Denken in der Form der „reduetio". Kurz zusammengefaßt
sagt dieses Denken: die Schöpfung, von
Gott als sein Wort (im ewigen Wort) ausgegangen,
kehrt durch die Versöhnung im inkarnierten Wort
(= in Jesus Christus) so zu ihm zurück, dafj sie durch
die Erlösung in ihre Heimat bei Gott gelangt. Diese
Heimat ist oder wird sein die „patria perfectae caritatis",
da die Liebe die Kontinuität hält zwischen via und patria:
hier unvollendet, dort vollendet. Auch das „Gott allein",
das Bonaventura für diesen ganzen Weg ins Eschaton

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betont, ist von St. herausgestellt. Alles in allem: ein Werk,
das uns im Gespräch mit Bonaventura ernst und eindringlich
vor die ihn und uns angehende Frage nach der ewigen
Zukunft unserer Welt führt und das so mit dem oft
geäußerten Irrtum aufräumt, als verbinde das Mittelalter
und uns kaum etwas in der Eschatologie.

München Alexander Gerken

Alvarez-Gömez, Mariano: Die verborgene Gegenwart des
Unendlichen bei Nikolaus von Kues. München-Salzburg:
Anton Pustet [1968]. 258 S. 8° = Epimeleia. Beiträge
zur Philosophie, hrsg. für das Philosophische Seminar 1/2
der Univ. München von H. Kuhn in Verb, mit F. Wiedmann
und J. Müller-Strömsdörfer, 10. Kart. DM 29,-.
Einigermafjen zu Beginn seiner Darlegungen; stellt Vf.
zwei Thesen auf, die, recht bedacht, den Einstieg in das
Werk öffnen können: 1. Cusanus versucht, das Unendliche
als solches ohne Beziehung auf das Endliche zu charakterisieren
, 2. das Unendliche wird in Hinblick auf das
Endliche, das Endliche in Hinblick auf das Unendliche
gedacht (23).

Die erste dieser beiden, Thesen nennt einen Zielpunkt,
auf den das Werk zuläuft, der aber für seine Struktur
weniger entscheidend ist als die zweite These. Wir rücken
diese zunächst in den Mittelpunkt. Von ihr her ergeben
sich wichtige Abschnitte: Gott alles in allen (182) -
Alles in Gott (188). Ferner: Die Individuen im Universum
(144) - Das Universum in den Individuen (147).

Der hier auftauchende Begriff des Universums hat
selbstverständlich Bezug zu den Individuen. Er hat auch
interessanten Bezug zum Unendlichen.

„Gott alles in allen" und „Alles in Gott" wird umgriffen
von dem Thema: Transzendenz und Immanenz
(179). Das so benannte Kapitel, das den Kernteil des
ebenso benannten dritten und letzten Teiles des Gesamtwerkes
bildet (111), führt zu philosophisch-theologisch
zugespitzten, die Problematik zum äußersten treibenden
Aussagen.

Etwa den folgenden: Gott ist weder überall noch
nirgendwo, da diese Bezeichnungen entgegengesetzt sind.
In ihm sind „überall" und „nirgendwo" eingefaltet und
entgegengesetzt. „Deswegen ist er überall so, daß er nirgendwo
ist, und nirgendwo so, daß er überall ist" (195).
Oder: Alle Bezeichnungen, mit denen Jenseitigkeit angedeutet
wird, verweisen letztlich auf das non aliud: jenseits
aller positiven und negativen Bezeichnungen und nicht
im Gegensatz zu einer von ihnen (196).

Den Kapiteln über die Beziehungen zwischen Gott und
Endlichem, Individuum und Universum sind Darlegungen
zugeordnet, welche die Entfaltung der Problematik ermöglichen
: Darlegungen, die um den Begriff der Teilhabe
kreisen (119), die cusanische Begriffsgruppe Einheit - Vielheit
(122), complicatio - explicatio (134), contractum - ab-
solutum (141). Die Behandlung dieser Begriffe ergänzt die
Ausführungen des zweiten Teiles über die Schöpfung (61)
und leitet hinüber zur Behandlung des Problems der
Transzendenz und Immanenz.

Der erste Teil des Werkes setzt mit der Frage nach
dem Begriff des Unendlichen ein. Er wird in diesem Teil
im Hinblick auf das „finitum" und den „finis" geklärt (24).
Der dritte, bereits skizzierte Teil zeigt, wie sehr Vf. um
die Verschränk ung von Endlichem und Unendlichem bemüht
ist. Das zeigt sich auch schon im ersten Teil. Nicht
nur das absolut Unendliche interessiert Vf., sondern auch
das Unendliche, soweit die Welt daran Anteil hat: „Die
Unendlichkeit der Welt" (31). Dabei wird auch die Frage
nach der „Grenze" der Welt scharf durchleuchtet, und zwar
so, daß die Verbindung von Endlichem und Unendlichem
sowie die innere Dynamik der Welt auf das absolut Un-

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5